DSN-Direktor Omar Haijawi-Pirchner (links) und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) präsentierten am Freitag den Verfassungsschutzbericht.

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Islamistischer Terrorismus, rechts- und linksextreme Szene, Staatsverweigerer, radikaler Klimaaktivismus und künstliche Intelligenz (KI), die für Cyberterrorismus eingesetzt werden kann – der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022, der am Freitag von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und dem Direktor der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, präsentiert wurde, spannt einen weiten Bogen von bedrohlichen Tendenzen in der Republik Österreich. Es ist der erste Jahresbericht, der vollständig von der im Dezember 2021 geschaffenen DSN, die damals das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ersetzte, verfasst wurde.

  • Islamistischer Terrorismus: Die größte latente Gefahr geht demnach weiterhin von islamistisch motivierten Personen aus. Der Staatsschutz hält eine "mittlere zweistellige Zahl" von sogenannten Gefährdern unter Beobachtung, wie der DSN-Direktor ausführte. Besonderes Augenmerk gelte auch wegen terroristischer Delikte verurteilten Straftätern, die in naher Zukunft aus der Haft entlassen werden. Dabei geht es auch um Personen, die beim Versuch, als Foreign Terrorist Fighters (FTF) in Gebiete des "Islamischen Staates" (IS) zu gelangen, verhaftet wurden. Seit 2021 wurden kaum mehr derartige Ausreiseversuche registriert.

Die Gefahr von radikalisierten Einzeltätern, die tatsächlich Anschläge oder Attentate planen, bleibt hingegen hoch. Innenminister Karner erinnerte in diesem Zusammenhang nicht nur an den Terroramoklauf von Wien mit vier Toten und 23 Verletzten im November 2020 sondern auch an eine Situation im vergangenen März, als die Polizei nach geheimdienstlichen Hinweisen die Öffentlichkeit vor islamistischen Anschlägen im Umfeld vor Kirchen in Wien warnte. Schwerbewaffnete Sondereinheiten patrouillierten damals mehrere Tage in der Stadt.

  • Rechtsextremismus: Auch im Bereich Rechtsextremismus gibt es laut Haijawi-Pirchner eine zweistellig Zahl von mutmaßlich gewaltbereiten Personen, in deren Umfeld die Polizei immer wieder Schusswaffen sicherstellt. 2022 seien mehr als 660 Personen in diesem Bereich angezeigt worden, mehr als 100 Hausdurchsuchungen wurden durchgeführt, es gab 37 Festnahmen. Erst vor wenigen Tagen gab es eine Razzia in der rechtsradikalen Szene.

Die Neonazi-Szene oder die sogenannte Neue Rechte, also Gruppierungen wie etwa die Identitären, machte laut Bericht zuletzt verstärkt etwa bei den Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen auf sich aufmerksam. Auch entsprechende Aktivitäten im virtuellen Raum seien intensiviert worden, zum Beispiel durch die Einrichtung der Website "Corona-Querfront". Ziel der Maßnahmen sei es, Akzeptanz weit über das übliche Publikum hinaus zu generieren, wird im Bericht ausgeführt.

Geplanter Anschlag auf Volksstimme-Fest

Ein Verdächtiger soll aber viel weiter gegangen sein. Der langjährige Unterstützer der Identitären soll einen Anschlag auf das traditionelle Volksstimme-Fest der KPÖ in Wien geplant haben. Der Fall ist im Verfassungsschutzbericht exemplarisch aufgeführt: Der Mann sei schon oft durch rechtsextreme Umtriebe aufgefallen und habe Sprengstoff sowie Anleitungen zum Bau von Waffen und Bomben gehortet. Entsprechende Beweise seien auf einem USB-Stick mit der Aufschrift "Nationale Wehrkraft" gefunden worden. Auf Videos seien Sprengübungen dokumentiert. Mittlerweile wurde der Mann laut Staatsschutz zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Kritik an Teuerung

Es gibt auch Schnittmengen von rechtsradikalen Gruppierungen und Staatsverweigerern. Letztere sind ebenfalls zum Teil aus den Protesten gegen die Pandemiemaßnahmen hervorgegangen. Nach dem Ende der Pandemiemaßnahmen gehe es heute etwa um Kritik im Hinblick auf die Teuerung. Asyl- oder fremdenfeindliche Erklärungsmuster sind aber ebenfalls weiter zentraler Bestandteil derartiger Bewegungen. Bei Kundgebungen wurden auch Holocaustverharmlosungen registriert.

  • Staatsverweigerer: Die Staatsverweigererszene schätzt Haijawi-Pirchner weiter auf rund 4.000 Personen in Österreich. Auch wenn es in Einzelfällen Waffenfunde gegeben habe, werde die Mehrheit dieser Gruppierungen, die Verschwörungstheorien verbreiten, als wenig direkt gewaltbereit eingestuft. Vielmehr gehe es hier um "Papier-Terrorismus", wie es im Staatsschutzbericht heißt. Im Vorjahr sei ein starker Anstieg von entsprechenden Drohschreiben an Behörden und Institutionen festgestellt worden. Den Versuch, Strukturen einer einheitlichen Staatsverweigererszene aufzubauen, gebe es nach etlichen Verhaftungen in den späten 2010er-Jahren derzeit nicht.

  • Linksextremismus: Linksradikalen Gruppierungen wird hingegen nach wie vor eine erhöhte Gewaltbereitschaft attestiert. Als Hinweise darauf werden mehrere Brandanschläge auf Polizeifahrzeuge im Vorjahr genannt. In der linksextremen Szene gebe es mehrere Splittergruppen, wie marxistisch-leninistische oder autonome-anarchistische Gruppierungen mit staatsfeindlichen Tendenzen. Sowohl links- als auch rechtsextreme Gruppen fischen im Teich der Klimaprotestbewegung.

  • Militanter Umweltschutz: Auf Journalistennachfrage zog Innenminister Karner eine klare Trennlinie zwischen "militanten Umweltschutzgruppen" und der Klimaschutzbewegung, deren Aktivisten sich derzeit auf vielbefahrenen Straßen festkleben. Letztere stellt Karner unter das Motto "Kleben und kleben lassen". Wenn Proteste aber die öffentliche Sicherheit gefährdeten, müsse die Polizei einschreiten. "Selbstverständlich stehen auch radikale Klimaaktivisten unter Beobachtung des Staatsschutzes", so der Innenminister. Zum aktuellen Vorwurf, dass Klimakleber einen Rettungseinsatz behindert haben sollen, wollte er sich nicht konkret äußern, da die Angelegenheit noch nicht geklärt sei.

Der Verfassungsschutzbericht geht erstmals auch auf das Thema künstliche Intelligenz ein. Einerseits könnten entsprechende Programme die Polizeiarbeit unterstützen, andererseits könnte KI in Zukunft auch eine Rolle auf der Täterseite bei Cybercrimedelikten spielen, heißt es zusammenfassend.

Generell wird im Bericht betont, dass sich multiple Krisen und Herausforderungen, wie Russlands Krieg gegen die Ukraine sowie die grassierende Inflation, auch auf die Sicherheitslage auswirken. Gefahren von Extremismus und Terrorismus, Cyberattacken oder auch Spionage seien damit erhöht. (Michael Simoner, 12.5.2023)

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