Erst im November 2022 hatte Wladimir Putin seine Warnung an den Westen vor der Überschreitung "roter Linien" wiederholt. Der brutal angegriffenen Ukraine Luftverteidigung, moderne Kampfpanzer und Offensivfähigkeiten zu übergeben, sei inakzeptabel. Eine direkte Kriegsbeteiligung sei das, eine Kriegserklärung der Nato an Moskau.

Mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht: Russlands Präsident Wladimir Putin.
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Tatsächlich saß die Atomwaffenkeule im Kreml von Beginn der Invasion an recht locker. Besonders Ex-Präsident Dmitri Medwedew tat sich mit beinahe wöchentlichen Drohungen hervor. Das machte bei jenen, die Russlands Regime seit jeher freundlich oder verteidigend nahestehen, viel Eindruck; aber auch bei vielen Menschen und einst zögerlichen Politikern, denen keinerlei Kreml-Nähe nachgesagt werden kann – einfach weil sie ein Weltkriegsszenario fürchteten.

Viel Mut und etliche gelieferte Patriots, Leoparden und MiG-29 später hat Putin zwar seine nuklearwaffenfähigen Streitkräfte Manöver abhalten lassen und Bomber in Stellung gebracht, das nukleare Tabu blieb und bleibt aber ein Tabu. Seine jüngsten Vergeltungsschläge für die, was Waffenlieferungen betrifft, erfolgreiche Europa-Tour Wolodymyr Selenskyjs wurden von Kiews Luftabwehr erneut abgefangen.

Mittlerweile belächeln sogar russische TV-Propagandisten Putins rote Linien als unglaubwürdig. Litauens Präsident Gitanas Nausėda hat recht, wenn er sagt, dass es im Kampf gegen Aggressoren nur jene roten Linien gibt, die wir selbst ziehen. (Fabian Sommavilla, 17.5.2023)