Klimawandel, Dürre
Der Klimawandel bedroht vor allem Länder des Globalen Süden.
APA/AFP/ASAAD NIAZI

Dieser Tage wird in Bonn die nächste Weltklimakonferenz vorbereitet, die im November in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet. Schon zu Beginn der Bonner Gespräche warf die Nothilfeorganisation Oxfam reichen Industrieländern vor, ärmere Staaten nicht ausreichend beim Klimaschutz zu unterstützen und außerdem die Zahlen zu schönen.

Laut einem am Montag veröffentlichten Oxfam-Bericht floss im Jahr 2020 statt der bereits seit 2009 versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich (93 Milliarden Euro) höchstens ein Viertel der Summe. Die Geberländer hätten hingegen angegeben, knapp über 83 Milliarden Dollar gezahlt zu haben. Auch der beim Klimagipfel in Ägypten 2022 vereinbarte neue Fonds, der besonders vulnerable Staaten für Schäden und Verluste entschädigen soll, müsse rasch aufgefüllt und eingesetzt werden.

Sieben Prozent des globalen BIP

Wie viel Geld wirklich nötig wäre, um globale Klimagerechtigkeit herzustellen, hat ein Team der britischen Universität Leeds rund um Andrew Fanning nun umfassend ausgerechnet. Demnach müssten die Länder des Globalen Norden bis 2050 sage und schreibe 170 Billionen Dollar an Kompensationszahlungen für exzessive CO2-Emissionen an Länder des Globalen Süden zahlen, damit die Klimaziele eingehalten werden können. Das wären fast sechs Billionen Dollar pro Jahr oder ungefähr sieben Prozent des weltweiten BIP, schreiben die Forschenden in der Studie, die am Montag im Fachjournal "Nature Sustainability" veröffentlicht wurde.

Fanning, Hickel

Zum Vergleich: Für Österreich wurde auf Basis seiner Kohlenstoffemissionen seit 1960 ein Kompensationsbetrag von 860 Milliarden Dollar bis 2050 errechnet, das entspricht in etwa 30 Milliarden Dollar, die ab sofort jährlich aufgebracht werden müssten. Dem gegenüber nehmen sich die realen Beträge wie ein Tropfen auf den heißen Stein aus: So hat Österreichs Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) beim Klimagipfel 2022 zugesagt, mindestens 50 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre für den neuen Klimaschädenfonds zur Verfügung zu stellen.

USA haben die größten Klimaschulden

Mit Abstand den höchsten Bedarf an Wiedergutmachung haben die USA: Sie müssten 80 Billionen Dollar oder eine jährliche Summe von 7.200 Dollar pro Einwohner bis 2050 an ärmere Länder abgeben. Die EU und Großbritannien kommen auf 46 Billionen Dollar, ungefähr der Betrag, der Subsahara-Afrika zustehen würde. Indien führt jene Nationen an, die Kompensationen erhalten sollten, nämlich in Höhe von 57 Billionen Dollar. Auch bei China stünden die Industrienationen mit 15 Billionen Dollar in der Kreide. Insgesamt sind wohlhabende Staaten für 90 Prozent der überschießenden Kohlendioxidemissionen verantwortlich, schreiben Fanning, der auch an der Universität Oxford tätig ist, und sein Co-Autor Jason Hickel von der Universität Barcelona.

Ihr evidenzbasierter Kompensationsmechanismus stützt sich auf die Idee, dass die Erdatmosphäre ein Allgemeingut ist, eine natürliche Ressource, die jedem gleichermaßen zustehe. Dementsprechend verwenden sie den Begriff "atmosphärische Aneignung". Um die historischen Verantwortlichkeiten für Emissionen und deren Vermeidung zu beziffern, nahmen die Forscher die jüngsten Daten zum verbleibenden Kohlstoffbudget der Erde zur Hand, die der Weltklimarat IPCC veröffentlicht hat. Ausgehend vom Jahr 1960 entspricht das Kohlenstoffbudget, das ausgestoßen werden darf, um das 1,5-Grad-Ziel einhalten zu können, einem Äquivalent von 1,8 Billionen Tonnen CO2. Mehr dürfte nicht in die Atmosphäre gelangen.

Gerechter Anteil

Auf dieser Basis errechneten die Wissenschafter den jeweils gerechten Anteil an diesem Kohlenstoffbudget für 168 Länder und verglichen diesen Anteil mit den tatsächlichen CO2-Emissionen seit 1960. Was die zukünftige Entwicklung betrifft, gingen sie von einem sehr optimistischen Szenario aus, in dem die Welt es schafft, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen (was vielen Fachleuten zufolge kaum noch möglich ist), und bis 2050 das Netto-null-Emissionsziel erreicht. Als monetäre Grundlage wurden CO2-Preise aus vergangenen IPCC-Szenarios hinzugezogen.

Während die USA mehr als viermal den Betrag an CO2-Emissionen, der gerecht wäre, übersteigen, hat Indien erst weniger als ein Viertel seines ihm zustehenden Anteils verbraucht. Österreich liegt im Mittelfeld jener Staaten, die notorisch zu viel Kohlendioxid emittieren: Es hat bereits mehr als das Doppelte seines gerechten Anteils am Kohlenstoffbudget verbraucht und müsste etwa 3000 Dollar Ausgleich pro Einwohner und Jahr zahlen. Österreich ist damit auf einem ähnlichen Niveau wie die Niederlande, die Schweiz oder Polen. Insgesamt übersteigt der globale Norden seinen fairen Anteil am Kohlenstoffbudget um den Faktor 3.

Klimawandel, Emissionen
Die fünf Länder mit den höchsten überschießenden CO2-Emissionen müssten mehr als zwei Drittel der Kompensationen bezahlen (oben). Den fünf Niedrigstemittenten würde mehr als die Hälfte der Zahlungen zustehen.
Fanning, Hickel, Nature Sustainability

"Der Klimawandel spiegelt deutlich Muster einer atmosphärischen Kolonisation wider", sagt Jason Hickel, Co-Autor der Studie. Soziale Bewegungen und Verhandler aus dem Globalen Süden würden schon lange fordern, dass jene Staaten, die exzessiv Emissionen ausgestoßen haben, Kompensationen zahlen für die mit dem Klimawandel verbundenen Verluste und Schäden, von denen ärmere Länder viel stärker betroffen sind. Dabei fokussiere die Studie nur auf den Kohlendioxidausstoß, die Kosten für Klimawandelanpassungen, etwa in der Landwirtschaft, zum Schutz vor künftigen Unwetterkatastrophen und dem steigenden Meeresspiegel seien da gar nicht eingerechnet.

Und für wie realistisch halten es die Forscher, dass derartige Reparationssummen jemals aufgebracht werden? "Es sind keine kleinen Beträge, aber ich denke nicht, dass es unmöglich ist, sie Ländern mit geringen Emissionen zukommen zu lassen – dafür, dass sie ihren gerechten Anteil opfern, um die überschießenden Emissionen anderer auszugleichen", sagt Andrew Fannings dem STANDARD. "Wenn es einen Willen gibt, auf faire Weise die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden, indem die Erwärmung unter 1,5 Grad gehalten wird, denke ich, dass wir gemeinsam einen Weg finden könnten." (Text: Karin Krichmayr, Grafiken: Robin Kohrs, 6.6.2023)