Enthüllungen des STANDARD und weiterer Partnermedien unter der Leitung des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) könnten ein juristisches Nachspiel haben. Wie nun bekannt wurde, leitete die estnische Finanzfahndungsstelle, das Financial Intelligence Bureau (FIU), im Mai 2023 – just als die ersten Reporteranfragen eingingen – ein Verfahren gegen den estnischen Finanzdienstleister Cresco Securities ein. Dieses Unternehmen soll - wie das estnische Medium Delfi herausfand - Arkadi Rotenberg dabei geholfen haben, eine Luxusimmobilie in Tirol vor den Sanktionsbehörden zu verstecken.

Ein Chalet in Kitzbühel
Die Recherchen führten auch nach Kitzbühel. Dieses Chalet am Oberleitenweg wurde mit Oligarchengeld finanziert.
Maria Retter

Dies zeigen monatelange Recherchen. Journalistinnen und Journalisten haben mehr als 50.000 Dokumente aus dem Umfeld der russischen Oligarchenbrüder Arkadi und Boris Rotenberg ausgewertet und erstmals im Detail aufgezeigt, wie ihr Vermögen in der EU systematisch vor Sanktionen geschützt wurde. Auch in Kitzbühel. 

Dort liegt, in besonders exklusiver Lage am Oberleitenweg mit freiem Blick auf die Streif, ein zweistöckiges Chalet. Rotenberg hatte den Kauf, der mit 10,8 Millionen Euro zu Buche schlug, im Jänner 2013 über ein Darlehen einer seiner zypriotischen Firmen, Olpon Investments, finanziert. Mehreren befragten Personen zufolge wurde die Villa danach regelmäßig von Putins ältester Tochter Maria Woronzowa und ihrem damaligen Partner genutzt.

Das Netzwerk rund um die Sanktions-Trickser

Kurz nach dem Erwerb wurde Rotenberg auf die Sanktionsliste der EU aufgenommen. Eigentlich sollte das Haus deshalb schon längst eingefroren sein. Doch der Deal wurde über ein größeres Netzwerk abgewickelt, Rotenberg taucht als Eigentümer nicht auf. Der Kredit von Rotenbergs Firma Olpon Investments wurde von der ebenfalls Rotenberg zuzurechnenden SMP-Bank in Lettland per Vermögensverwaltungsvertrag einer weiteren zypriotischen Firma, Wayblue Investments, gewährt, die die Villa in Kitzbühel dann kaufte. Im Jahr 2017 trat die Bank diesen Vermögensverwaltungsvertrag, der einen Betrag von 11,5 Millionen Euro umfasst, an Cresco Securities ab – jene Firma, gegen die nun ermittelt wird. Cresco dürfte dadurch hunderttausende Euro verdient haben.

Ein Darlehen, das nie zurückgezahlt wurde

Fakt ist: Das Chalet gehört einer zypriotischen Firma namens Wayblue Investments. Wer hinter Wayblue steckt, lässt sich nicht herausfinden. Eigentlich hätte Wayblue den Kredit im Jänner 2016 an Olpon zurückzahlen müssen. Cresco-Eigentümer Olev Schults erklärte der estnischen Zeitung "Ekspress", dass er nicht wisse, ob Wayblue das Geld jemals zurückgezahlt hat. "Sicherlich nicht über uns", gab Schults zu Protokoll.

Bei Tom Keatinge, Leiter des Zentrums für Finanzkriminalität und Sicherheitsstudien am Royal United Services Institute (RUSI), einem Thinktank für Verteidigungs- und Sicherheitsfragen, schrillen die Alarmglocken. Auch dass am Kauf der Immobilie mehrere in unterschiedlichen Ländern registrierte Unternehmen beteiligt waren und an der Adresse seit 2013 niemand gemeldet ist, wie dem STANDARD seitens der Stadt Kitzbühel bestätigt wurde, sei verdächtig. Es sei üblich, dass solche Systeme dazu genützt werden, den wahren Eigentümer zu verschleiern, sagt Keatinge.

Grafik über den Hauskauf
Ein kompliziertes Geflecht: Am Hauskauf waren mehrere Firmen aus unterschiedlichen Ländern beteiligt.
Fatih Aydogdu

Ein leeres, eingefrorenes Konto in Estland

Cresco hatte die estnischen Behörden 2017 über ihren sanktionierten Kunden informiert. Das Unternehmen wies ein separates Bankkonto für Olpon aus, das auch eingefroren wurde. Auf dem Bankkonto befand sich allerdings in Wirklichkeit gar kein Geld. Cresco will die Geschäftsbeziehung zu Wayblue bereits im Jahr 2021, also noch vor Ausbruch des Ukrainekriegs, beendet haben. Dennoch scheint die Beschlagnahmung im RAB-Register noch immer auf. "Ein Versäumnis", kommentiert Schults gegenüber "Ekspress".

Die estnische Behörde hat nach der ersten Anfrage des Mediums vor einem Monat offiziell mit der Untersuchung der Angelegenheit begonnen. Und zwar, "um der Kontrollpflicht nachzukommen, die uns durch das internationale Sanktionsgesetz auferlegt wurde", schrieb Laura Aus von der Finanzfahndungsstelle FIU in einer Stellungnahme. "Nach Abschluss des Verfahrens werden die ausgewerteten Informationen gegebenenfalls an die zuständigen Ermittlungs- und Aufsichtsbehörden weitergeleitet."

Außenministerium bereitet Gesetzesänderung vor

Gleichzeitig bereitet das Außenministerium eine Gesetzesänderung vor, die es ermöglichen würde, eingefrorene Vermögenswerte von Oligarchen zu beschlagnahmen und zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine zu verwenden, wenn sie einer Person gehören, die unmittelbar an der Unterstützung der russischen Aggression beteiligt war.

Dies könnte dazu führen, dass der estnische Staat, wenn auch nicht das Haus selbst, dann zumindest das Darlehen in Höhe von 11,5 Millionen Euro zurückfordern könnte, das Rotenberg für den Kauf der österreichischen Villa gewährt wurde. Erki Kodar, der im estnischen Außenministerium arbeitet, gab jedenfalls zu Protokoll, dass die Untersuchung eine "internationale juristische Zusammenarbeit" erfordern würde. (Maria Retter, Holger Roonemaa, 27.6.2023)