Ex-Bundeskanzler Christian Kern
Der ehemalige Bundeskanzler Christian Kern sieht sich mit einer Betrugsanzeige in seiner Rolle als Unternehmer konfrontiert. Eine Million wurde gezahlt, das Bauprojekt kam dann allerdings nicht zustande.
APA/ROLAND SCHLAGER

Was wurde aus einer Million Euro, die 2021 auf dem Bankkonto einer Christian Kern nahestehenden Firma landeten? An dieser Frage entzündet sich eine Auseinandersetzung unter Geschäftsleuten, die mittlerweile die Staatsanwaltschaft Wien beschäftigt.

Im Februar hatte die Wiener Immobiliengesellschaft Sveta Group den Verdacht des schweren Betrugs in Zusammenhang mit einem geplatzten Bauprojekt angezeigt. Im Zentrum der Sachverhaltsdarstellung stehen der Unternehmer und Investor Christian Kern, vormals SPÖ-Chef und -Bundeskanzler, sowie S., ein im Baugewerbe tätiger Geschäftsmann.

Nie realisiertes Wohnbauprojekt

Beide werden beschuldigt, die Sveta Group im Jahr 2021 um 1,004 Millionen Euro geschädigt zu haben. Es gilt die Unschuldsvermutung, der STANDARD berichtete.

"Fakt ist: Der Herr Kern hat eine Million übernommen, und es ist nichts passiert." Das sagen jetzt Avial Yosopov und Alexander Waiz, zwei Vertreter der Wiener Sveta Group GmbH, im Gespräch mit dem STANDARD.

2020/2021 wollte die Sveta Group demnach in Eßling im 22. Wiener Gemeindebezirk ein Wohnbauprojekt realisieren, das bis heute nicht steht. Bauunternehmer S. sollte für die Sveta Group dort 27 Wohnungen in Fertigteilbauweise errichten, als Auftragswert waren 1,438 Millionen Euro netto vereinbart worden.

Und obwohl die Sveta Group laut vorliegenden Kontoauszügen 2021 insgesamt 1,004 Millionen Euro zahlte, also rund 70 Prozent des Auftragswerts, hat sie nichts dafür bekommen. Bis heute sei "keine einzige vertragliche Leistung erbracht" worden, heißt es in der Sachverhaltsdarstellung des Sveta-Anwalts Volkert Sackmann.

Vertrauen in die Sache

Wie kommt hier nun Christian Kern ins Spiel? Laut den Vertretern der Sveta Group waren sie im Herbst 2020 über den Bauunternehmer S. mit Kern in Kontakt gekommen. Bei einem Meeting im Sveta-Büro habe Kern im Beisein von S. ein "modulares Bausystem" präsentiert. "Man hat uns Unterlagen gezeigt. Herr Kern hat bei dem Gespräch erklärt, dass er selbst von der Technologie überzeugt sei und voll dahinterstehe", berichtet der damals zuständige Projektmanager Alexander Waiz. "Er versicherte auch, dass er selbst investiert. Wenn Herr Kern gegenüber von mir sitzt und mir vermittelt, dass er Vertrauen in die Sache hat und selbst da mit im Boot sitzt, dann vertraue ich ihm."

Man kam ins Geschäft. Im Oktober 2020 bestellte die Sveta Group auf Grundlage eines Generalunternehmervertrags bei S. die Errichtung von 27 Fertigteil-Wohneinheiten für besagte 1,438 Millionen Euro.

Für ein Geschäft dieser Art war der vertragliche Rahmen allerdings einigermaßen komplex: Die Sveta Group GmbH beauftragte zunächst eine slowakische Firma des Bauunternehmers S. mit der Errichtung der 27 Wohnungen.

Österreich, Slowakei, Bosnien und Herzegowina

Die Abrechnung sollte allerdings nicht über diese slowakische Firma laufen, sondern über die Christian Kern nahestehende Blue Minds Living GmbH mit Sitz in Wien.

Laut dem Generalunternehmervertrag hatte Kerns GmbH einerseits die Vollmacht, die slowakische Gesellschaft "in allen rechtlichen und tatsächlichen Belangen zu vertreten", andererseits sollte sie auch als "Zahlungsabwicklungsstelle" für das Geschäft dienen.

Produziert werden sollten die für das Projekt benötigten Fertigteile wiederum in Bosnien und Herzegowina, in einer Fabrik, die damals ebenfalls dem Bauunternehmer S. gehörte.

Christian Kern kennt das Werk persönlich. Im August 2021 war er auf dort Einladung von S. – übrigens gemeinsam mit Hans Peter Haselsteiner.

"Zeichen des guten Willens"

Abseits des Generalunternehmervertrags schlossen die Sveta Group und die Blue Minds Living im März 2021 noch eine weitere Vereinbarung, die Christian Kerns Gesellschaft eine Option auf 45 Prozent des Sveta-Wohnbauprojekts in Wien-Eßling einräumte. "Ein Zeichen des guten Willens", wie es die Sveta-Vertreter nennen.

Zusammengefasst heißt das: Ein Wiener Bauträger bestellte 2020 bei einer slowakischen GmbH Bauteile aus bosnischer Produktion, die über Kerns Blue Minds Living abgerechnet werden sollten, wobei diese Firma zugleich die Option bekam, sich an dem Bauprojekt zu beteiligen. Daraus wurde allerdings nichts, die Optionsvereinbarung wurde Ende 2021 aufgelöst.

Tatsächlich überwies die Sveta Group zwischen März und Juni 2021 insgesamt 1,004 Millionen Euro auf ein Wiener Bankkonto der Blue Minds Living, ehe die Partner offenbar in Streit gerieten und das Projekt platzte.

Aber was ist nun mit der Million geschehen? Kern ließ dem STANDARD über seinen Anwalt Paul Kessler eine ausführliche Stellungnahme übermitteln, in der er den Schädigungsvorwurf als "verleumderisch" zurückweisen lässt: "Die Anzeigerin will lediglich davon ablenken, dass sie Verträge nicht eingehalten hat und sich mit dem Investment offenbar übernommen hat."

Reine Zahlstelle

Die Blue Minds Living (BML) habe "als reine Zahlstelle die vereinbarten Zahlungen der Sveta an den Modulbauer weitergeleitet. Sämtliche erhaltenen Zahlungen wurden weitergeleitet, es wurde hierfür weder eine Provision noch ein Honorar vereinnahmt."

Laut Kessler hatte die BML damals Interesse an der Bautechnologie, da sie "erhebliches Skalierungspotenzial versprach". Seiner Darstellung nach hatten Sveta und der Modulbauer einen "zügigen Zahlungsplan" vereinbart, den die Auftraggeber aber nicht halten konnten. Sveta und der Modulbauer seien daraufhin in Streit geraten, weshalb BML "sich entschlossen hat, den Kauf der notwendigen Baumaterialien mit 130.000 Euro vorzufinanzieren".

Das Geld hat Kerns Beteiligungsfirma nicht mehr wiedergesehen. "Es ist nachweisbar kein Vermögensschaden dokumentiert, den die Blue Minds Living hätte verursachen können. Im Gegenteil: Die Gesellschaft, an der Mag. Kern beteiligt ist, hat selbst in das Projekt investiert, musste dieses Investment jedoch in der Folge abschreiben", schreibt sein Anwalt Kessler.

Bono Mamuzic, der Anwalt des Bauunternehmers S., kündigte auf Anfrage am Dienstag eine Rückmeldung an, zu Redaktionsschluss am Mittwoch lag diese jedoch nicht vor. (Michael Nikbakhsh, 19.7.2023)