Zur Jahresmitte rückt die Award-Season näher. Das heißt, dass Filme, die sich etwa für Oscars, Globes oder Baftas qualifizieren möchten, jetzt ihren Kinostart ankündigen. Filmbiografien, kurz Biopics, stehen hier besonders hoch im Kurs: Wahre Geschichten, historische Settings und eine legendäre Hauptfigur erhöhen die Preischancen, gerade für Hauptdarsteller und -darstellerinnen, denn der Vergleich zwischen echter Person und Rolle erleichtert das Urteil über das schauspielerische Können: Wie groß ist die Ähnlichkeit? Wie perfekt wurden Mimik, Gestik, Tonfall und Ticks imitiert?

Napoleon, Maria Callas, Bob Marley, Leonard Bernstein, Priscilla Presley und Audrey Hepburn
Napoleon, Maria Callas, Bob Marley, Leonard Bernstein, Priscilla Presley und Audrey Hepburn: Bald in ihrem Kino.
Standard

Läuft es gut, winken Anerkennung und Erfolg. Nicht von ungefähr sind seit 2000 zwölf Oscars an Schauspieler gegangen, die echte Personen porträtierten – von Adrien Brodys Pianist Władysław Szpilman 2002 bis zu Will Smiths Tennisvater Richard Williams 2022. Bei den Schauspielerinnen waren es zehn, von Julia Roberts (Erin Brockovich, 2000) über Meryl Streep (Die Eiserne Lady, 2011) bis Jessica Chastain (The Eyes of Tammy Fay, 2021).

Erfolgsrezept?

Es kann aber auch in die Hose gehen, denn nirgends ist die Grenze zwischen Qualität und Parodie so dünn wie beim Biopic. Der deutsche Regisseur Oliver Hirschbiegel deckt beide Pole ab. Der Untergang (2004) wurde zwar kontrovers diskutiert, war letztendlich aber ein riesiger Erfolg – das lag insbesondere an Bruno Ganz, der Hitler als gleichermaßen absurde und charismatische Persönlichkeit anlegte. Hirschbiegels Lady-Di-Biopic Diana (2013) mit Naomi Watts fiel beim Publikum hingegen durch. Nationale Befindlichkeiten spielen hier sicherlich eine Rolle – denn warum dreht auch ein Hamburger einen Film über die legendäre englische Prinzessin? Diana war denn auch Hirschbiegels vorerst letzter Ausflug in internationale Gewässer.

Ein sicheres Erfolgsrezept gibt es also nicht. Wo früher noch Kindheit, Jugend, Höhe- und Tiefpunkte eines Lebens auserzählt wurden, setzen zeitgemäße Filmbiografien oft auf Momentaufnahmen und spielen ästhetisch und erzählerisch mit den Erwartungen des Publikums. Die Biopics der kommenden Kinomonate machen jedenfalls nicht nur wegen ihrer Hauptfiguren neugierig, sondern auch wegen beteiligter Regiegrößen wie Sofia Coppola, Luca Guadagnino oder Ridley Scott. Worauf darf man also jetzt schon gespannt sein?

Napoleon

Auf Ridley Scotts Napoleon-Biografie wartet man schon gespannt. 23 Jahre nach Gladiator arbeitete Scott erstmals wieder mit Joaquin Phoenix zusammen und schickt den Charakterdarsteller ins Oscar-Rennen. Der Trailer setzt Napoleon als meisterhaften Feldherrn in Szene, der "aus dem Nichts kam und alle besiegte". Drehbuchautor David Scarpa arbeitet mit Scott derzeit auch an Gladiator 2 (der gerade wegen der Streiks auf Eis liegt) und mit Dune-Regisseur Dennis Villeneuve an einem Biopic über Cleopatra. Ob Scott und Scarpa die Vormachtsansprüche des französischen Imperators auch kritisch kommentieren, bleibt abzuwarten. Eines ist aber sicher: Napoleon wird das Historienepos des Kinoherbsts.

Sony Pictures Entertainment

Amy und Priscilla

Beide liebten auftoupierte Vogelnestfrisuren, schwarzen Kajal und böse Buben: Amy Winehouse und Priscilla Presley. Im September feiert Sofia Coppola mit Priscilla auf dem Filmfestival von Venedig Premiere. Nach der Autobiografie von Elvis’ Ex-Frau zeigt Coppola die weibliche Perspektive auf ein Leben mit Superstar Elvis, der ja bereits letztes Jahr in der Gestalt Austin Butlers die Leinwand schmückte.

Und die Tiroler Schnittmeisterin Monika Willi verriet schon rund um ihre Oscar-Nominierung für Tár Anfang des Jahres, dass sie gerade einen Film über die zu früh verstorbene Sängerin Amy Winehouse schneidet: Back to Black. Regie führte Sam Taylor-Johnson, die schon mit John Lennons Jugendgeschichte Nowhere Boy bewiesen hat, dass sie das Genre beherrscht.

A24

Bob

Momentan ist er noch als einer der Kens in Barbie zu sehen, bald aber schon als Bob Marley in One Love. Der Brite Kingsley Ben-Adir hat Erfahrung im Biopic-Fach, im famosen One Night in Miami verkörperte er Malcom X. Auch Regisseur Reinaldo Marcus Green ist ein aufgehender Stern in Black Hollywood. Zuletzt inszenierte er Will Smith in King Richard, für den dieser einen Oscar gewann, aber dann den Abend mit der berühmten Watsche für Komiker Chris Rock verdarb. Kingsley Ben-Adir wirkt dagegen sehr gentlemanlike, ob er sich in der Rolle der Reggae-Legende und des politischen Aktivisten Bob Marley bewährt, wird man im Jänner sehen.

Paramount Pictures

Leonard

Musik spielt auch in Maestro eine zentrale Rolle. Bradley Cooper führt nach A Star Is Born zum zweiten Mal Regie – mit Rückendeckung zweier Ikonen: Steven Spielberg und Martin Scorsese produzieren. Die Hauptrolle spielt Cooper wieder selbst: Diesmal ist es kein abgehalfterter Countryrocksänger, sondern der legendäre Dirigent Leonard Bernstein. Das Netflix-Biopic fokussiert auf seine Beziehung zur chilenischen Schauspielerin Felicia Montealegre, gespielt von Carey Mulligan, und wird im September in Venedig Premiere feiern – allerdings ohne Schauspielstars, die haben wegen der Streiks in den USA abgesagt.

Maestro Bradley Cooper Bernstein
Carey Mulligan spielt Felicia Montealegre, Bradley Cooper ihren Ehemann, den Dirigenten Leonard Bernstein in "Maestro"
AP/Netflix/Jason McDonald

Maria

Ein zweites Drama aus der Klassikwelt setzt Pablo Larraín vor. Nach Jackie (Kennedy, mit Natalie Portman) und Spencer (mit Kristen Stewart als Lady Di) hat er sich einer Maria gewidmet – die Rede ist von Maria Callas. Für das Skript über die letzten Tage der Callas im Paris der 1970er ist wie schon bei Spencer Steven Knight verantwortlich. Die Titelrolle übernimmt leider nicht Lady Gaga, sondern Angelina Jolie. Sie hat es wohl nach dem Rosenkrieg mit ihrem Ex-Mann Brad Pitt auf ein Comeback abgesehen – allerdings erst zu den Oscars 2025.

Audrey

Nachdem sie Audrey Hepburn begegnet war, unterzog sich die Callas bekanntlich einer Hunger- und Stilkur. Bereits seit einem Jahr wird nun berichtet, dass auch über die niederländisch-britische Aktrice ein Film in Produktion ist. Regisseur Luca Guadagnino wagt sich damit – nach Call Me by Your Name und Bones and All – an sein erstes Biopic.

Rooney Mara Oscars
Rooney Mara, hier zu sehen bei den Oscars 2023 (nominiert war sie mit "Women Talking"), spielt Audrey Hepburn.
EPA/CAROLINE BREHMAN

Die Hauptrolle übernimmt die grandiose Rooney Mara. Dass sie die Lebensgefährtin von Joaquin Phoenix ist, ist kurioserweise nur eine von drei Verbindungslinien zum ebenfalls von Apple TV produzierten Napoleon. Schließlich hätte in einem nie verwirklichten Film Stanley Kubricks über den korsischen Imperator Audrey Hepburn dessen Frau spielen sollen. Kubricks Script liegt übrigens noch in der Schublade Steven Spielbergs – der Quell an Biopics versiegt wohl noch lange nicht. (Valerie Dirk, 5.8.2023)