Ein solches Verhalten kann nicht durch die US-Verfassung geschützt sein, schreibt der Rechtsprofessor Richard K. Sherwin in seinem Gastkommentar.

Donald Trump steht derzeit wegen Verschwörung vor einem US-Bundesgericht. Ihm wird vorgeworfen, er habe die Präsidentschaftswahl von 2020 beeinflussen wollen, um im Amt zu bleiben. Trumps Anwälte und Verteidiger behaupten, er habe lediglich sein Recht auf Redefreiheit gemäß dem ersten Verfassungszusatz der US-Verfassung ausgeübt. Um diesen Fall zu verstehen, muss man zunächst verstehen, wo die Redefreiheit endet und strafbarer Betrug anfängt.

Ex-US-Präsident Donald Trump vor Gericht
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump muss sich in Washington vor Gericht verantworten.
Foto: Reuters / Jane Rosenberg

Nur weil Trumps Taten aus Worten bestehen, sind sie nicht automatisch durch die Verfassung geschützt. Im Gegenteil, es setzen viele Straftatbestände voraus, dass die Redefreiheit Grenzen hat. So ist es verboten, Strafverfolgungsbeamte oder Geschworene anzulügen oder ein Produkt als sicher zu bezeichnen, wenn es das nicht ist. Man darf nicht absichtlich zu unmittelbarer Gewalt anstiften, bewusst den Ruf eines Menschen schädigen oder Minderjährige in eindeutig sexueller Weise darstellen. Diese und andere Vorschriften, die Informationen einschränken, gibt es aus gutem Grund: Sie schützen die Gesellschaft vor schwerwiegenden Schäden.

Bewusste Irreführung

In einer liberalen Gesellschaft ist die vorsätzliche Aushöhlung des Wahlsystems womöglich der schwerste Schaden überhaupt. Daher gibt es Gesetze, die vorsätzliche oder fahrlässige Verbreitung von nachweislich falschen Aussagen verbieten und die Legitimität und Fairness von Wahlen schützen. In vielen Bundesstaaten ist es verboten, mit Lügen über das Wahlverfahren oder mit gefälschten Stimmzetteln vorsätzlich den Wahlprozess zu beeinflussen. Ebenso wenig erlaubt sind Lügen über die Zugehörigkeit zu einem Wahlkampfteam, in Wahlkampfaussagen oder politischer Werbung. In jedem dieser Fälle kann die bewusste Täuschung oder Irreführung der Wählerinnen und Wähler über einzelne Themen oder Kandidatinnen und Kandidaten als Straftat eingestuft werden.

Die Regierung sollte gesellschaftlich wichtige Meinungen nie unterdrücken. Sprechakte, die einen moralischen oder gewerblichen Betrug darstellen und in Wirklichkeit als "Antisprechakte" dienen, müssen dagegen geächtet oder sogar verboten werden, um schwere gesellschaftliche und politische Schäden zu verhindern. Niemand hält die Freiheit des Einzelnen für eingeschränkt, weil es eine Straftat darstellt, das FBI anzulügen oder vorsätzlich falsche Angaben über die Umsätze oder Produkte eines Unternehmens zu machen. Der Nutzen solcher Schutzmechanismen für die Gesellschaft ist wesentlich höher als die Kosten. Die Regulierung von Sprechakten, die den demokratischen Prozess beschädigen, folgt einer ähnlichen Logik.

"Liberale demokratische Gesellschaften haben das Recht, der Intoleranz gegenüber intolerant zu sein."

Die Furcht davor, geschützte Meinungsäußerungen könnten unterdrückt werden, steht im Wettstreit mit der ebenso dringenden Notwendigkeit, die Mindestbedingungen für einen robusten Markt der Meinungen und Ideen aufrechtzuerhalten, und überschattet diese oft. In manchen Fällen verursacht staatliches Handeln, das die freie Rede bedroht, tatsächlich unvertretbare Schäden. In anderen Fällen jedoch ist es zur Vermeidung solcher Schäden geradezu erforderlich, den Zugang zu Informationen zu beschränken oder die Meinungsfreiheit einzuschränken. Deshalb sind Sprechakte, die zur Gewalt aufrufen oder einen Betrug an der Öffentlichkeit darstellen, gesetzlich reguliert.

Die Integrität des Wahlprozesses zu gewährleisten ist ein Gebot, das über jede parteipolitische Loyalität hinausgeht. Liberale demokratische Gesellschaften haben das Recht, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Integrität von Wahlen zu schützen. Und sie haben das Recht, der Intoleranz gegenüber intolerant zu sein, weil, um es mit den Worten von Robert Jackson, seines Zeichens Richter am Obersten Gerichtshof, zu sagen, Demokratie ist kein Selbstmordpakt. Die oberste Regel jeder funktionierenden Verfassung muss es sein, die Mindestbedingungen zu schaffen und zu schützen, die notwendig sind, damit das verfassungsmäßige System überleben und gedeihen kann. Wer im Namen der Redefreiheit das Recht aufgibt, illiberale Praktiken zu verbieten, die eine sinnvolle Nutzung der Redefreiheit konterkarieren, beruft sich auf ein Paradox, das wir weder akzeptieren können noch sollten.

"Es geht darum, die Infrastruktur der Demokratie zu schützen."

Es geht nicht darum, unliebsame Ideen zu zensieren oder lästige Meinungen zum Schweigen zu bringen. Vielmehr geht es darum, die Infrastruktur der Demokratie zu schützen, damit möglichst viele Meinungen und Ideen frei kursieren können. Nur so kann eine faktengestützte Meinungsbildung gelingen. Oberste Priorität jeder Demokratie muss es sein, ein Kommunikationsökosystem aufrechtzuerhalten, an dem alle Bürgerinnen und Bürger ungehindert teilhaben können, ohne dass Akteurinnen und Akteure versuchen, jede sinnvolle politische Kommunikation unmöglich zu machen. Wenn es einer Demokratie nicht gelingt, Vertrauen in den Prozess der Meinungsbildung selbst zu schaffen, sind ihre Tage gezählt.

Notwendige Einschränkung

Wer den demokratischen Diskurs vorsätzlich zerrüttet, um sich bei Wahlen einen unlauteren Vorteil zu verschaffen, verdient den Schutz nicht, der dem demokratischen Diskurs zusteht. Das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung schützt keine wissentlich falschen Aussagen. Diese Einschränkung ist notwendig, um die Integrität der Wahlen, das demokratische Ideal des freien Meinungsaustauschs und sogar den ökonomischen Markt zu schützen.

Ein Freiheitsversprechen ohne den zu seinem Schutz erforderlichen rechtlichen und politischen Rahmen ist ein hohles Versprechen. Grundlegende Mechanismen, die Würde, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit des Einzelnen schützen, müssen auf einer klugen Einschätzung der Bedingungen basieren, die inakzeptabel schwere soziale und politische Schäden verursachen. So gesehen dient die Anklage gegen Trump vor einem Bundesgericht wegen der Verschwörung zur Beeinflussung der Präsidentschaftswahl von 2020 zentralen nationalen Interessen und der Integrität des ersten Verfassungszusatzes selbst. (Richard K. Sherwin, Copyright: Project Syndicate, 21.8.2023)