Ein Mann hält ein kleines Kind mit rosa Pulli auf dem Arm, sie sitzen in einem Flugzeug
Ein kleines Kind, das gerade mobil wird, stundenlang auf dem Schoß zu halten gleicht einer Mammutaufgabe.
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Es scheint ein sehr emotionales Thema zu sein: schreiende Kinder in einem Flugzeug. Clips von sogenannten "Horrorflügen" gingen bereits mehrmals im Netz viral. Dabei sind das doch einfach nur Babys, die weinen? Möge man meinen. Der Boulevard teilt die Videos von Tiktok, Instagram und Youtube mit Handkuss und verpasst dem eigentlich banalen Geschehen einen reißerischen Titel. "Dämonisches Kind schreit stundenlang im Flugzeug", heißt es dann. Die Kommentarspalten jener Beiträge gehen jedes Mal über. Weil: Jeder hat eine Meinung dazu.

Letztes Jahr teilte etwa der Musiker Henry Beasley ein Video auf seinem Tiktok-Kanal, das bisher über 14,5 Millionen Menschen gesehen haben. DER STANDARD berichtete darüber. Er löste damit eine Debatte über kinderfreie Flüge aus. Der Beitrag auf Tiktok zeigt Beasley selbst und sein zuckendes Auge während eines Langstreckenfluges von Auckland nach Berlin. Im Hintergrund hört man laut schreiende Kinder. Viele User können den Frust oder Ärger über die Lärmkulisse im Flieger gut nachvollziehen. Andere geben den Eltern die Schuld: "Die Eltern sollten sich schämen. Wenn man sein Kind nicht unter Kontrolle hat, sollte man in kein Flugzeug steigen!" Einige schreiben, sie wären auf jeden Fall bereit, mehr zu bezahlen, um ungestört zu fliegen.

Die meisten Userinnen zeigen Mitleid mit dem Musiker, der mit einem schreienden Kind im Flieger saß.

Kinderfreie Zone im Flugzeug

Die Idee kinderfreier Zonen im Flugzeug ist nicht neu. Zwei asiatische Airlines richteten bereits vor zehn Jahren Ruhezonen ein, in denen Passagiere ab 16 Jahren gegen einen Aufpreis von etwa 50 Euro Platz nehmen durften. Das Konzept setzte sich nicht durch.

Nun ein Neuversuch: Die Airline Corendon, Teil einer türkisch-niederländischen Tourismusgruppe, will in einem Airbus A350 für Langstreckenflüge in die Karibik einen Adults-only-Bereich einrichten. Losgehen soll es am 3. November 2023 auf einem Flug von Amsterdam nach Curaçao. Von den 432 Sitzen werden dann 102 ausschließlich für Erwachsene reserviert sein. Damit tue man nicht nur den Ruhe suchenden Passagieren einen Gefallen, sondern auch den Eltern, die sich nicht so viele Sorgen um ihre lärmenden Kinder machen müssten, heißt es vonseiten der Airline.

Stress für die Eltern

Damit hat die Fluggesellschaft nicht unrecht: Die Eltern selbst leiden in solchen Situationen mindestens genauso stark wie die anderen Passagiere. Bestimmt würden sie sich auch gerne in ein Buch vertiefen, ein bisschen schlafen, Ruhe finden. Stattdessen sind sie damit beschäftigt, in den nächsten Stunden ihr aufgewecktes Kleinkind von diversen Dingen abzuhalten: sich aus dem Gurt zu lösen etwa, oder aufzustehen, herumzukrabbeln, dem Fluggast eine Reihe davor auf den Kopf zu schlagen, gegen den Sitz zu treten, zu brüllen.

Das Kind beschäftigen, ohne sich zu bewegen und ohne dabei laute Geräusche zu machen? Schwierig. Sehr schwierig. Das können die meisten Eltern bestätigen. Was geht, sind digitale Medien: Filme, Hörbücher, Gaming. Ein kleines Kind stundenlang ins iPad starren zu lassen ist auch nicht die beste Idee. Was also tun?

Nuckeln, nuckeln, nuckeln

Eine, die es garantiert weiß, ist Jenny Schweinzer-Tropper, Pädagogin und Reisebloggerin. Mit ihren beiden Kindern ist sie bereits in 86 Länder rund um den Globus gereist. Ihr Sohn war gerade einmal sieben Wochen alt, als er das erste Mal flog. Damals ging es nach Zypern. Die Flugzeit von Wien nach Zypern beträgt vier Stunden. "Ich war total aufgeregt, da ich nicht wusste, wie mein Sohn reagiert", sagt die zweifache Mutter. Wird das Baby schreien? Im schlimmsten Fall die ganzen vier Stunden?

Jenny Schweinzer-Tropper gibt auf Instagram hilfreiche Tipps für Reisen mit Kindern.

Doch es kam anders: "Der Kleine hat den gesamten Flug ganz einfach verschlafen." Sie hatte Glück. Häufig haben kleine Babys Probleme mit dem Druckausgleich bei Start und Landung. Das verursacht Schmerzen, das Baby schreit. "Bei Start und Landung sollten Eltern ihr Baby unbedingt stillen oder dem Baby ein Fläschchen geben", sagt Schweinzer-Tropper. Auch ein Schnuller kann helfen. "Das Saugen an der Flasche oder am Schnuller hilft den Kleinen beim Druckausgleich." Ansonsten ist das Reisen mit kleinen Babys meist entspannt, findet die Wienerin. Das liegt vor allem daran, dass sie noch viel schlafen.

Immer freundlich bleiben

Es gab aber auch Flüge, da lief es anders. Da hat das Baby geweint. Die zweifache Mutter erinnert sich zurück an einen Langstreckenflug mit ihrem damals dreimonatigen Sohn. "Er hatte Bauchweh und ließ sich schwer beruhigen. Ich bin mit ihm den Gang auf und ab spaziert. Man hat den Leuten angesehen, dass sie genervt vom Geschrei sind. Ich habe mich auch entschuldigt und erklärt, dass ich bereits alles versuche, um ihn zu beruhigen." Doch dann hat ein Passagier ein paar Reihen weiter "Shut the fuck up" nach vorne gerufen. Was in etwa heißt: "Halte dein Maul." "Solche Reaktionen sind nicht hilfreich, das stresst Eltern zusätzlich und damit auch das schreiende Kind", sagt Schweinzer-Tropper.

Die Reisebloggerin ist sich sicher, die meisten Eltern sind bemüht darum, ihr Kind möglichst ruhig zu halten. Wenn ein Kind anfängt zu weinen, macht das auch den Eltern keinen Spaß. Alle Augen sind auf die Eltern gerichtet. Die fremden Blicke sagen: "Beruhige endlich dieses Kind!" Schweinzer-Tropper rät Eltern: "Lasst euch nicht unter Druck setzen. Ein Flugzeug ist ein öffentliches Verkehrsmittel, kein Privatjet. Jeder hat das Recht, es zu benutzen." Sie ist sich sicher: Mit diesem Mindset bringen Eltern etwas Entspannung in die Situation. Das gilt übrigens für alle Verkehrsmittel, ob Flugzeug, Bahn oder Bus.

Die ehemalige Volksschullehrerin findet es absolut letztklassig, in solchen Situationen Videos von schreienden Kindern im Netz zu teilen. Sollte das Kind darauf zu erkennen sein, ist es zudem illegal. Stattdessen könnten Mitmenschen Hilfe anbieten. "Wenn Fremde das Baby anlächeln, winken, bewirkt das oft Wunder", sagt sie. "Wenn ein Kleinkind am Rücksitz nervt, kann man das auch freundlich sagen – dem Kind und den Eltern. Irgendwie haben wir verlernt, direkt miteinander zu reden, auf respektvolle Art." (Nadja Kupsa, 1.9.2023)