Ein aufgeschlagenes Buch vor einem Regalreihe voller Bücher.
Die Welt der Bücher bleibt 15 von 100 Menschen in Österreich verschlossen, weil sie nicht ausreichend lesen können. Basisbildungskurse helfen das Kino im Kopf beim Lesen einzuschalten.
IMAGO/Zoonar

Rund eine Million Erwachsene in Österreich können nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen. Das zeigt die sogenannte PIAAC-Studie der OECD, die grundlegende Fähigkeiten von Erwachsenen zuletzt 2012 erhoben hat. 720.000 Menschen zwischen 16 und 65 befanden sich auf Lesekompetenzstufe eins. Das bedeutet, dass sie nur kurze Texte mit einfachen Vokabeln lesen und darin eine einzelne Information finden können, sofern der Text nur wenige widersprüchliche Informationen enthält. 140.000 Personen lagen unter der Kompetenzstufe eins. Sie haben Schwierigkeiten, Verträge zu lesen, Formulare auszufüllen, Beipackzettel von Medikamenten zu lesen oder sich an Fahrplänen zu orientieren. Die Mehrheit der Betroffenen hat Deutsch als Erstsprache, einen niedrigen formalen Schulabschluss trotz in Österreich erfüllter Schulpflicht.

Im Alltag stoßen die Betroffenen damit immer wieder auf große Hürden. Im Krankenhaus oder auf Ämtern heißt es etwa: "Füllen Sie schnell einen Fragebogen aus." Nicht wenigen Menschen fällt das schwer. Einige können lediglich ihren Namen schreiben und nur einfache Wörter und Sätze lesen. Auch Automaten zu bedienen ist für manche Menschen unmöglich. In ländlichen Regionen, wo ÖBB-Schalter immer öfter durch Fahrscheinautomaten ersetzt werden, wird das für Betroffene zum Problem. Energiegutscheine einzulösen oder Zuschüsse oder Beihilfen zu beantragen stellt für viele eine Hürde dar. In Salzburg etwa hat nicht einmal die Hälfte der Menschen, denen der Heizkostenzuschuss zustehen würde, einen beantragt.

Anlaufstelle Alfatelefon

Es gibt zahlreiche Hilfsangebote für Erwachsene in Österreich. Das Alfatelefon (0800 244 800) ist eine zentrale Anlaufstelle und bietet eine kostenlose telefonische Beratung für Betroffen oder für Menschen, die sich für jemand anderen über Basisbildungsangebote informieren wollen. In jedem Bundesland gibt es regelmäßig Kurse in Kleingruppen, die genau auf die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugeschnitten sind.

Das Basisbildungszentrum Abc-Salzburg etwa bietet kostenlose Kurse an. Dort werden Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben, Rechnen neu erlernt, aufgefrischt oder erweitert. Auch Grundlagen in Englisch und für den Umgang mit digitalen Medien und Smartphones werden trainiert. Zuvor findet eine individuelle Eingangsberatung statt. In dem ausführlichen Gespräch wird abgeklärt, was die Themen sind, die die Personen lernen möchten, erklärt Anna Stiftinger von Abc-Salzburg. 85 Prozent der Kursteilnehmer sind erwerbstätig, und oft wissen nicht einmal die engsten Angehörigen von ihrer gefühlten Unzulänglichkeit.

Rückgeld kontrollieren und Formulare ausfüllen

Ob E-Mails schreiben, Formulare ausfüllen, Betriebskostenabrechnungen nachprüfen oder Informationen im Internet suchen – die Bandbreite der Kursinhalte ist groß. Auch das Ausrechnen von Rabatten im Supermarkt oder das Rückgeld kontrollieren sind oft nachgefragte Fertigkeiten, die in den Kursen geübt werden. Betroffene würden immer mit großen Scheinen zahlen, damit sie genug Geld hergeben, gibt die Erwachsenenbildnerin ein Beispiel.

"Wenn ich nicht gut lesen und schreiben kann, vermeiden ich Situationen, wo das gebraucht wird", sagt Stiftinger. Deshalb gehen viele Informationen an den Personen vorbei. "Sie erfahren gar nicht davon", sagt die Projektleiterin, die seit 20 Jahren in der Basisbildung tätig ist. Die größte Herausforderung liege darin, betroffene Menschen zu erreichen. "Über herkömmliche Wege wie Plakate und Flyer sind die Menschen nicht erreichbar", sagt Stiftinger. Um auf die Kurse aufmerksam zu machen, werden die Erwachsenenbildner kreativ.

Information zu Kursen weitertragen

Am Weltalphabetisierungstag, Freitag, den 8. September, gibt es viele Aktionen in ganz Österreich. In Salzburg werden im Einkaufszentrum Forum 1 am Salzburger Hauptbahnhof kostenlose Bücher verteilt, um Menschen zu erreichen, die die Information weitertragen. Der Satz "Die Welt der Bücher bleibt 15 von 100 Menschen verschlossen" leitet die dazugehörige Info ein, die in jedem Buch beigelegt ist. Auch in Büchertankstellen werden Bücher damit bestückt und bei Schulsachentauschbörsen Give-aways verteilt.

Die Gründe, warum Menschen trotz des Besuchs der Pflichtschule in Österreich nur schlecht lesen oder schreiben können, sind vielfältig. Sie reichen von schlechten Erfahrungen in der Schule über Krankheit, Probleme in der Familie bis zu häufigen Schulwechseln, sagt Stiftinger. "In unserem Schulsystem lernen Kinder zwar, wie es geht, aber das Einüben muss außerhalb der Schule passieren. Wenn es die Eltern selbst nicht können, können sie die Kinder nicht unterstützen. In Österreich wird Bildung vererbt."

Seit 2018 läuft die zweite PIAAC-Studie, deren Ergebnisse 2024 veröffentlicht werden. Im internationalen Vergleich schnitt Österreich bei der letzten Pisa-Studie für Erwachsene übrigens unterdurchschnittlich bei der Lesekompetenz ab. Ein sehr geringer Anteil der Erwachsenen befand sich in den höchsten Lesekompetenzstufen vier und fünf, während die Gruppe der Personen in der Lesekompetenzstufe zwei in Österreich mit 37,2 Prozent überdurchschnittlich groß war. (Stefanie Ruep, 8.9.2023)