Wo soll die Cashcow Ö3 künftig grasen? Welche Strategie hat der neue Ö3-Chef Michael Pauser für den größten Mainstream-Popsender des Landes, der dem ORF gut 50 Millionen Euro Werbung pro Jahr einspielt? Und wie stellt der ORF seine übrigen, vielleicht öffentlich-rechtlicheren Radios drumherum auf? Das wollten Stiftungsräte vom ORF-Management und Pauser am Mittwochnachmittag im Programmausschuss des Stiftungsrats wissen. Die lange ausgearbeitete Radiostrategie könnte noch Überraschungen bringen.

ORF Screenshot wien.orf.at
Kein Witz des Tages: Radio Wien könnte eine grundlegende Neupositionierung ins Haus stehen.
ORF Screenshot wien.orf.at

Starprinzip bei Ö3

Die jüngste Klausur der ORF-Radios Anfang September soll sehr konstruktiv vonstattengegangen sein. Ohne Aufregungen des vergangenen Jahres, als Künstlerinnen und Künstler wegen avisierter Sparmaßnahmen lautstark um Ö1 bangten, andererseits ebenso laut vor einer Denkvariante warnten, aus FM4 ein jüngeres Ö3 zu machen, um dem großen Popsender nach unten Flankenschutz gegen Kronehit und Co zu bieten.

Diese Idee soll – in diesem radikalen Ausmaß – ebenso vom Tisch sein wie Überlegungen, FM4 in Richtung Rock umzupositionieren. Mit diesem Genre feiert der laufend weitere Frequenzen und Lizenzen sammelnde Privatsender 88.6 einige Erfolge. Durchhörbarer, mit weniger Wortbeiträgen in der Fläche wurde und wird FM4 schon seit einer kleinen Programmreform vor einem Jahr.

Junges Publikum – intern: Young Audiences – hat sich die ORF-Führung zum zentralen Ziel gesetzt, insbesondere auf dem Land. An jüngeres Publikum soll sich naturgemäß FM4 richten, und Ö3 muss es schon aus ökonomischen Gründen weiter möglichst breit erreichen. Bei Ö3 soll unter dem neuen Senderchef Pauser das "Starprinzip", wie es intern heißt, verstärkt werden.

So rockt das Leben

Im ORF beäugt man aufmerksam die deutlichen Zuwächse von 88.6 in Wien, Niederösterreich und vor allem dem Burgenland, statistisch signifikante Steigerungen beim Gesamtpublikum und ganz besonders beim Publikum unter 50 Jahren. "So rockt das Leben", um 88.6 zu zitieren.

Kolportiert wird nun nach STANDARD-Informationen die interne Überlegung, die Musikfarbe von Radio Wien grundlegend in diese Richtung zu drehen, um die offenbar relevante Zielgruppe anzusprechen. Wie realistisch das Szenario ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Ein Mitglied des Stiftungsrats winkt im Gespräch mit dem STANDARD ab: "Wir haben andere Baustellen", verweist dieser ORF-Aufsichtsrat auf Ö3, FM4 und auch Ö1. Im ORF-Landesstudio Wien zeigt man sich auf Anfrage verwundert: Derlei sei "kein Thema", heißt es dort.

Für das Kultur- und Inforadio Ö1 soll die interimistisch leitende Senderchefin Silvia Lahner bei der Klausur ein Konzept vorgelegt haben, das eine deutlich klarere Struktur für das Programm vorsehen soll. Derzeit besteht Ö1 aus einer Vielzahl von Sendungsmarken mit vielen jeweils eigenen Fanklubs. Diese Fanklubs reagieren üblicherweise recht allergisch auf eine Reduktion von Sendungen, damals aus Sparüberlegungen, oder Umbauten wie am Morgen nach dem Motto "Mehr Content, weniger Köchel-Verzeichnis" wie 2022 geplant.

Damals rockte das Leben erst einmal Radiodirektorin Ingrid Thurnher nach ihrem STANDARD-Interview zum Sparen bei Ö1 und möglichen Positionierungsideen für FM4.

Regionalradio-Klausur im Herbst

Bei der jüngsten Radioklausur war, quasi als vierter nationaler Sender, noch die 2022 gestartete ORF-Streamingplattform Sounds Programmpunkt. 2024 dürfte eher der ORF-Neustart mit Videostreaming im Gefolge von TVthek und Co im Vordergrund stehen.

Im Herbst ist eine weitere Klausur zur Radiostrategie geplant, die der Stiftungsrat dann Ende des Jahres beschließen soll. Dazu werden dann auch die regionalen ORF-Bundesländerradios eingeladen, von Radio Vorarlberg bis Radio Wien. (Harald Fidler, 13.9.2023)