Im geplanten EU-Medienfreiheitsgesetz liegt "eine gewisse Sprengkraft für das bestehende System der Bestellung von Gremien" im ORF: Darauf verwies der renommierte Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer am Freitag beim juristischen Rundfunkforum in Wien zum European Media Freedom Act (EMFA). Dieses Medienfreiheitsgesetz hat allerdings in Brüssel noch einen weiten Weg vor sich. Schneller könnte der österreichische Verfassungsgerichtshof Sprengkraft für die ORF-Gremien entwickeln.

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Auge auf Brüssel, ORF: Der geplante European Media Freedom Act könnte "Sprengkraft" für die Bestellung von ORF-Management und ORF-Gremien entwickeln.
Harald Fidler

Noch weiter Weg für EU-Medienfreiheitsgesetz

Der European Media Freedom Act liegt als Entwurf der EU-Kommission vor, der Rat empfahl Verbesserungen, das EU-Parlament berät darüber am 3. Oktober. Danach geht das Vorhaben in den "Trilog" der drei EU-Institutionen. Frühestens 2025 ist laut Lehofer damit zu rechnen, wenn überhaupt, und fraglich noch, wie. Lehofer analysierte die derzeit vorliegenden Entwürfe zu öffentlich-rechtlichen Medien bei der Medienjuristentagung in Wien.

In zwei Punkten würde Österreich nach Lehofers Analyse dem EMFA in den aktuellen Entwürfen derzeit nicht entsprechen.

Kriterien für Räte und ORF-General fehlten

Derzeit verlangen die Entwürfe für den EMFA eine Auswahl des Verwaltungsrats und des obersten Managements öffentlich-rechtlicher Medien "nach transparenten, objektiven, nicht diskriminierenden und verhältnismäßige Kriterien". Die derzeitigen Vorgaben des ORF-Gesetzes - etwa "persönliche und fachliche Eignung durch eine entsprechende Vorbildung oder einschlägige Berufserfahrung" - sind nach Ansicht Lehofers "Mindestkriterien, aber keine Auswahlkriterien" nach den Anforderungen des EMFA. Er vermisst etwa entsprechende Kriterien für die Auswahl von neun Stiftungsräten durch die Bundesregierung oder der neun Bundesländer-Stiftungsräte. "Das würde dem EMFA so nicht entsprechen", sagt Lehofer.

Aufsicht fehlt

Zudem fehle eine Überprüfung dieser Auswahl durch eine unabhängige Aufsichtsbehörde, wie sie der EMFA fordert. Die Medienbehörde KommAustria hat Beschwerden gegen die jüngste Bestellung von ORF-Publikumsräten durch Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) mangels Zuständigkeit zurückgewiesen. Die Bestellung von Publikumsräten ist auch relevant für die Besetzung des entscheidenden ORF-Stiftungsrats. Der Publikumsrat entsendet mit Mehrheit – die die Medienministerin dort bestimmt – sechs Mitglieder in den Stiftungsrat.

"Auf Dauer ist nicht mit dem EMFA vereinbar, wenn die Überwachung nicht funktioniert", stellte Lehofer fest. Die mangelnde Überprüfbarkeit von Bestellungen zum Stiftungsrat und teilweise Publikumsrat "könnte gravierende Auswirkungen haben", so der renommierte Rundfunkjurist: "Hier läge, wenn der EMFA so käme, eine gewisse Sprengkraft für das bestehende System der Bestellung von Gremien" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Rat und Kommission grenzen auf Management ein

Matthias Traimer, Leiter der Medienrecht-Abteilung im Bundeskanzleramt, verwies dazu aber auf die aktuelle Position im EU-Rat, die auch die Kommission teile: Die genannten Vorgaben des EMFA würden sich alleine auf das Management (Governing Board) beziehen und nicht auf die Aufsichtsgremien wie den Stiftungsrat. Bei der künftigen Bestellung eines ORF-Generaldirektors könnten solche Vorgaben aber eine Rolle spielen. Derzeit nehme der Stiftungsrat durchaus Funktionen eines Governing Board im britischen Verständnis wahr, wandte Lehofer ein. Aber auch Lehofer hat "Zweifel, dass das in Hinblick auf den Verwaltungsrat so kommt".

Weit rascher könnte der österreichische Verfassungsgerichtshof eine Sprengkraft für die Gremien des ORF und ihre Besetzung entwickeln. Das Land Burgenland hat 2022 eine Normenkontrolle verlangt. Der Verdacht: Stiftungsrat und Publikumsrat des ORF würden nicht ausreichend staats- und regierungsfern beschickt. Zwei Drittel des Stiftungsrats besetzen direkt oder indirekt politische Institutionen, Bundesregierung, Landesregierungen, Parteien – und der Publikumsrat, wo die Medienministerin die Mehrheit bestimmt.

ORF-Gremien vor dem Höchstgericht

Am 26. September verhandelt das Höchstgericht öffentlich dazu, eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wird noch in diesem Jahr erwartet.

Der European Media Freedom Act würde in derzeit diskutierter Form die Mitgliedsstaaten verpflichten, Objektivität und Pluralität öffentlich-rechtlicher Medien zu garantieren. Er sieht Unabhängigkeit der Organe vor, die in transparenten, offenen und nicht diskriminierenden Verfahren zu bestellen seien. Aber, so Lehofer: Der EMFA nenne keine materiellen, also sachlichen Kriterien – "Wer ist wann unabhängig" – und mache rein verfahrenstechnische Vorgaben.

Die Entwürfe zum EMFA untersagen aber allgemein für alle Medien staatliche Einflussnahme auf redaktionelle Strategien und Entscheidungen. Daraus, sagt Lehofer, könnte man auch ein "verschämtes Staatsfernegebot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk herauslesen". (Harald Fidler, 15.9.2023)