Das neue ORF-Gesetz mit einem ORF-Beitrag für alle statt der GIS "muss auch noch zur EU": Das findet selbst ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, wie er Donnerstag seinen Publikumsräten erklärte. Doch dass Brüssel die neue ORF-Finanzierung nicht nur oberflächlich prüft, dafür wollen private Medien sorgen.

Margrethe Vestager ist in der EU-Kommission für Wettbewerb zuständig.
EU-Beschwerde aus Wien: Margrethe Vestager ist in der EU-Kommission für Wettbewerb zuständig.
Reuters/YVES HERMAN

Zeitgleich mit dem Publikumsrat auf dem Küniglberg berieten die Gremien des Zeitungsverbands VÖZ über das neue ORF-Gesetz, das der Nationalrat Anfang Juli beschließen soll. Das Ergebnis: Der Interessenverband der großen Verlagshäuser schickt nun formell eine Beschwerde an die EU-Kommission.

Neu zu prüfen

Die Brüsseler Wettbewerbsbehörden mögen den neuen ORF-Beitrag eingehend prüfen. Denn: Die Haushaltsabgabe sei – zusammen mit einem neuen Bundeszuschuss von 70 bis 100 Millionen Euro an den ORF – keine geringfügige Änderung der von Brüssel 2009 unter Bedingungen akzeptierten GIS-Gebühr. Sondern eine neue Beihilfe, die die EU neu notifizieren müsse, so der EU-Fachjargon.

Medienministerium "gelassen"

"Wir sehen der Beschwerde sehr gelassen entgegen. Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes ist in engem Austausch mit der EU-Kommission, die auch über alle Schritte informiert ist. Die neue Finanzierung des ORF ist aus Sicht des Verfassungsdienstes aus mehreren Gründen jedenfalls mit dem Beihilfenrecht der EU vereinbar", heißt es in eine Reaktion des Medienministeriums von Susanne Raab (ÖVP). Und: "Erstens hat hinsichtlich der Höhe der Finanzierung der EuGH bereits 2018 festgehalten, dass die bloße Umstellung auf ein Beitragssystem beihilfenrechtlich unproblematisch ist. Zweitens sieht das Gesetz noch strengere Regeln für die  Überblicksberichterstattung auf orf.at vor, weshalb auch dies keinen Verstoß gegen das EU-Beihilfenrecht darstellt, im Gegenteil."

Haushaltsabgabe statt GIS-Gebühr

Der Verfassungsgerichtshof hat die bisherige GIS-Gebühr als verfassungswidrig aufgehoben, weil sie Streamingnutzung von der Zahlungspflicht ausnimmt. ÖVP und Grüne ersetzen die GIS laut geplantem ORF-Gesetz durch eine Haushaltsabgabe für alle Haushalte – bis auf schon bisher befreite – und Firmen. Statt für 2023 kalkulierter 676 Millionen Euro aus der GIS soll der ORF aus dem Beitrag ab 2024 bis 710 Millionen Euro einnehmen können.

Der Bund streicht die bisher auf die GIS eingehobenen Abgaben, insbesondere die Mehrwertsteuer. Damit kann der ORF keinen Vorsteuerabzug mehr geltend machen. Die Republik ersetzt die rund 70 Millionen Euro pro Jahr durch einen Zuschuss aus dem Bundesbudget. 2024 bis 2026 legt der Bund noch 10 bis 30 Millionen drauf, damit der ORF noch bis 2026 das Radiosymphonieorchester und den Spartenkanal ORF-Sport Plus als TV-Programm weiterbetreibt; auch Abgeltungen für Sparmaßnahmen sind hier einkalkuliert.

Diese Abgeltung des Bundes mache die neue Finanzierung "zu einer neuen und somit anmeldepflichtigen Beihilfe", konstatiert der Zeitungsverband in seinem Schreiben an die Brüsseler Behörden.

Im Gegensatz zu einer Entscheidung des EU-Gerichtshofs über die deutsche Haushaltsabgabe für öffentlich-rechtlichen Rundfunk werde mit dem ORF-Gesetz auch das Angebot des Rundfunks verändert, argumentiert die Beschwerde des Zeitungsverbands. Und schließt: "Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt daher eine anmeldepflichtige Änderung der Beihilfe vor."

"Bedrohliche Ausmaße"

Ausführlich argumentiert der Zeitungsverband in seinem Schreiben nach Brüssel die Wettbewerbssituation zwischen privaten Medien und dem ORF im Internet.

Mit den künftig 710 Millionen Euro aus dem ORF-Beitrag habe der ORF "gegenüber privaten Medienunternehmen einen deutlichen Wettbewerbsvorteil, der angesichts der Notwendigkeit für Medienunternehmen verlegerischer Herkunft, journalistischen Content im Zuge der digitalen Transformation zu monetarisieren, bedrohliche Ausmaße erreicht hat."

Schon das aktuelle ORF-Gesetz geht wesentlich auf Beschwerden österreichischer Medienhäuser zurück. Das Beihilfenverfahren der EU endete 2009 mit Vorgaben für Österreich und seinen gebührenfinanzierten Rundfunk. Seit damals untersagt das ORF-Gesetz dem großteils gebührenfinanzierten ORF, privaten Verlagen mit einem "zeitungsähnlichen" Angebot im Internet Konkurrenz zu machen.

ORF.at als "72-seitige Zeitung"

Dieses Verbot halte der ORF schon jetzt nicht ein, argumentieren die Verleger in ihrem Schreiben: ORF.at sei "nicht nur zeitungsähnlich, sondern tatsächlich eine Zeitung". Der Zeitungsverband hat das ORF-Angebot eines Tages als Zeitung gedruckt, um diesen Befund anschaulich zu dokumentieren. Ergebnis: "Dabei ist eine 72-seitige Zeitung herausgekommen, die vom Format her genau den Zeitungen entspricht, die von den Verlagen gedruckt werden, die dem VÖZ als Mitglieder verbunden sind."

Der Zeitungsverband verweist auf eine beim deutschen Bundesgerichtshof erfolgreiche Klage gegen die Tagesschau-App der ARD wegen Zeitungsähnlichkeit.

Die dominierende Marktposition und umfangreiche Berichterstattung von ORF.at führe zur "Marktverstopfung im Internet". Und: "Die umfassend kostenfreie Berichterstattung des ORF führt im Ergebnis zu einer Reduzierung der Bereitschaft von Nutzern, kostenpflichtige Angebote der Tageszeitungen im Internet zu nutzen." Zudem generiere ORF.at "erhebliche Werbeeinnahmen,durch die zusätzlicher Druck auf die Tageszeitungen ausgeübt wird", argumentiert der Zeitungsverband. (Harald Fidler, 22.6.2023)