ORF-Auge-Logo vor ORF-Zentrum
Entscheidung über die ORF-Entscheider: Der Verfassungsgerichtshof prüft Politeinfluss im ORF.
Harald Fidler

Wie viel GIS oder künftig "Beitrag" wird für den ORF fällig? Was passiert mit dem Geld? Was bekommt man dafür zu hören und zu sehen? Wer führt den öffentlich-rechtlichen Milliardenkonzern ORF, der bei TV, Radio und Online den Markt dominiert? Darum geht es.

Über diese gewichtigen Themen entscheiden 13 Stiftungsrätinnen und 22 -räte des ORF. 30 dieser 35 Räte werden politiknah bestellt. Doch ist dieser Politeinfluss mit der Unabhängigkeit vereinbar, die ein Verfassungsgesetz verlangt? Das hat der Verfassungsgerichtshof nun zu entscheiden. Dienstag lädt er zur öffentlichen Verhandlung darüber.

Im Extremfall fällt der General

Die Höchstrichter grübeln schon mehr als ein Jahr über der Frage. Das und die öffentliche Verhandlung können ein Indiz sein, dass der Verfassungsgerichtshof eher nicht alles paletti finden wird bei Stiftungs- und Publikumsrat. Hebt er die Bestimmungen über die Besetzung der ORF-Gremien auf, könnte das im Extremfall auch die Amtszeit von ORF-Chef Roland Weißmann vorzeitig beenden.

Die ÖVP-Mehrheit im ORF-Stiftungsrat war entscheidend für Weißmanns Bestellung 2021. Dass der ORF, jedenfalls einzelne Sendungen, auch 2023 noch so kritisch hinterfragt und berichtet, sorgt regelmäßig für Verstimmung in der Volkspartei. Ein häufiges Missverständnis vor allem von Kanzlerparteien mit starker Präsenz in den ORF-Gremien über Sinn und Aufgabe von öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Da könnten die Höchstrichter mit einer weiteren Entscheidung helfen, wie Unabhängigkeit zu verstehen ist.

Höchstgericht verlangte unabhängige ORF-Finanzierung

2022 erst hat der Verfassungsgerichtshof die GIS aufgehoben und dabei festgehalten: Das Verfassungsgesetz über die Unabhängigkeit des Rundfunks und seiner Organe bedeute auch, dass die Republik für unabhängige Finanzierung des ORF sorgen muss. ÖVP und Grüne lösten diese Aufgabe mit einem ORF-Beitrag von allen ab 2024 statt der GIS.

Worum es geht

Worum geht es jetzt vor dem Höchstgericht? Der im ORF entscheidende Stiftungsrat wird von Bundesregierung, Bundesländern und Parteien im Nationalrat beschickt– zusammen 24 der 35 Räte und damit schon eine Zweidrittelmehrheit. Weitere sechs Stiftungsräte entsendet der Publikumsrat mit Mehrheit. Und diese Mehrheit bestimmt laut Gesetz der Bundeskanzler oder die Medienministerin allein.

In Deutschland entschied das Bundesverfassungsgericht 2014: Höchstens ein Drittel der Mitglieder in den ZDF-Gremien dürfe "staatsnah" besetzt sein. In Deutschland verlangt das Höchstgericht vom öffentlichen Rundfunk "Staatsferne".

Grafik ORF-Gremien Staatsnähe
Staatsnähe im ORF Stiftungs- und Publikumsrat - und wer die Gremien beschickt
STANDARD-Grafik

In Österreich gibt es diesen verfassungsrechtlichen Begriff der Staatsferne bisher nicht. Aber Österreich hat ein eigenes Verfassungsgesetz über die Unabhängigkeit des Rundfunks. Und: Die Menschenrechtskonvention mit Meinungs- und Medienfreiheit steht hier in Verfassungsrang. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass dominanter Einfluss einer politischen oder wirtschaftlichen Gruppe oder des Staates, der Druck auf eine Rundfunkanstalt ermöglicht, die Menschenrechtskonvention verletzt. Das war eine Entscheidung über den moldawischen Rundfunk. Dessen damalige Lage sei "nicht eins zu eins" mit der des ORF zu vergleichen, erklärte der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Christoph Grabenwarter, schon.

Im Gegensatz etwa zu Deutschland dürfen aktive und teils auch ehemalige Politiker und Parteiangestellte nicht in den Stiftungs- und Publikumsrat. Die Räte entscheiden laut Gesetz weisungsfrei und haften persönlich dafür. Die Räte stimmen sich aber auch hier in (parteipolitischen) Fraktionen ab.

Einfacher Angriffspunkt: Kanzleramt und Publikumsrat

Ein Ansatzpunkt für die Höchstrichter liegt nahe: die Auswahl der Mehrheit von Publikumsräten durch Kanzler oder Medienministerin. Hier könnte der Verfassungsgerichtshof einhaken, ohne gleich den entscheidenden Stiftungsrat aufzulösen, sollte das Höchstgericht nicht so weit gehen wollen.

Hebt das Verfassungsgericht auch die Besetzung des Stiftungsrats auf, erfüllte er langjährige Forderungen von ORF-Redakteursvertretern nach unabhängigeren Gremien. Er könnte damit aber auch einer in den Umfragen gerade führenden FPÖ vor dem Wahljahr 2024 in die Hände spielen – für einen radikaleren Umbau des ORF bei Regierungsbeteiligung. FPÖ-Chef Herbert Kickl hat für den Fall schon ein Ende des ORF-Beitrags, Finanzierung aus dem Bundesbudget und deutliche Reduktion des ORF angekündigt.

Der aktuelle Stiftungsrat ist bis Frühjahr 2026 bestellt, der General bis Ende 2026. Hebt der Verfassungsgerichtshof die Regeln über seine Bestellungen mit früherer Wirkung auf, wäre er vorzeitig neu zu bestellen. Neue Gesetze über die ORF-Gremien nutzten die SPÖ 1974 sowie ÖVP und FPÖ 2001 schon, um ORF-Chefs vorzeitig zu ersetzen. Daran könnte sich eine neue Regierung erinnern, die sich vom ORF nicht so freundlich behandelt fühlt, wie sie das erwartet.

Schon wieder dieser Doskozil

So erging es auch Hans Peter Doskozil 2021. Der burgenländische Landeshauptmann von der SPÖ wünschte sich nachdrücklich den langjährigen Chefredakteur des ORF Burgenland, Walter Schneeberger, als Landesdirektor. Auch wenn der amtierende Werner Herics, ein erfahrener Medienmanager, aus der Sicht des ORF einen sehr guten Job machte.

Unpraktisch nur: Die ÖVP hatte schon in diesem ORF-Wahlsommer 2021 ganz allein eine Mehrheit im Stiftungsrat, die nach dem Generaldirektor auch Direktorinnen und Landesdirektoren bestellt. Und der – ohnehin im ORF nicht entscheidenden – SPÖ war die Wiener Landesdirektion letztlich wichtiger als jene in Eisenstadt. Herics blieb auf Vorschlag des ORF-Generals Direktor. Dafür darf Doskozil-Wunsch Schneeberger noch eineinhalb Jahre über seinen 65. Geburtstag hinaus Chefredakteur bleiben.

Das Land Burgenland beantragte daraufhin* im Juni 2022 beim Verfassungsgerichtshof die Prüfung des Politikeinflusses in ORF-Gremien. Doskozils Angebot, als "Zeuge" über seine persönlichen Erfahrungen damit zu berichten, nahm das Höchstgericht leider nicht an. (Harald Fidler, 24.9.2023)