ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker rückte am Freitag zur Verteidigung von Kanzler Karl Nehammer aus.
APA/HELMUT FOHRINGER

Nachdem ein Video öffentlich geworden ist, in dem umstrittene Aussagen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu Kinderarmut und in Teilzeit arbeitenden Frauen zu hören sind, hat sich nun seine Partei zu Wort gemeldet. Das vor wenigen Tagen bekannt gewordene SPÖ-Strategiepapier des Meinungsforschungsinstituts Sora müsse sich wohl längst in der Umsetzung befinden, meinte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zu Beginn einer eigens einberufenen Pressekonferenz am Freitagvormittag. Stocker vermutet die SPÖ hinter der Verbreitung des Videos. Und er kritisiert, dass das Video zusammengeschnitten wurde und der Kanzler damit bewusst schlechtgemacht werden solle.

Nehammers Aussagen verteidigt Stocker damit, dass es sich um eine interne Veranstaltung gehandelt habe, wo es "natürlich eine andere Wortwahl" gebe als bei einem öffentlichen Auftritt. In Inhalt und Richtung gäben die Aussagen zudem das wieder, was die Volkspartei vertrete. "Nämlich dass sich Leistung lohnen muss", sagt Stocker.

Davon, dass das Land so schlecht dastehe wie von Opposition und Co dargestellt, will der Generalsekretär der Volkspartei nichts wissen. Für ihn liegt der Schluss nahe, dass sich die Opposition im Wahlkampf befinde und eine Entwicklung instrumentalisiere, die nicht instrumentalisiert werden solle. "Wir haben eines der besten Sozialsysteme weltweit, und letztlich ist es dieser Bundesregierung und diesem Bundeskanzler gelungen, dass trotz aller Krisen die Armut nicht explodiert, sondern gleich geblieben ist, wie sie unter der letzten sozialdemokratisch geführten Regierung war."

Video: "Unachtsame Aussagen": Kogler und Schallenberg relativieren Kanzlervideo
DER STANDARD

"Sturm im Wasserglas"

Auch den Koalitionspartner beschäftigte am Freitag das Nehammer-Video weiterhin. Als "unachtsame Aussagen, manche sagen: Parolen" bezeichnete Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Ausführungen in dem Video. "Diese Aussagen waren natürlich schon weit weg von den Lebensrealitäten dieser Frauen", sagte Kogler am Freitag bei einer Pressekonferenz. Gleichzeitig lobte der Vizekanzler die Regierungsarbeit bei der Armutsbekämpfung. "Jahrzehntelang wurde darüber geredet, diese Regierung hat es gemacht", meinte Kogler im Hinblick auf Steuerentlastungen. "Da haben wir immer die unteren Einkommen stärker adressiert, da war keine Gießkanne." Wichtig sei der weitere Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten.

Von einem "Sturm im Wasserglas" sprach Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). "Ich muss bitten, auf die Sprache zu achten. Von humanitärer Krise zu sprechen ist völlig überzogen." In der Ukraine würden täglich Menschen sterben, "wir haben Äthiopien, die Sahelzone – da reden wir tatsächlich von einer humanitären Krise?". Ja, es gebe Probleme und Herausforderungen, aber Stimmungen zu erzeugen, "als wären wir mit dem Rücken zur Wand, halte ich für verfehlt", meinte Schallenberg am Rande der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Vizekanzler. Leistung müsse zählen sowie Eigenverantwortung – und ein Blick über den Tellerrand sei wichtig, um zu sehen, was "wirklich eine humanitäre Krise" sei.

"Stellt Ibiza-Video in den Schatten"

Gewohnt äußerst scharfe Worte kamen am Freitag seitens der FPÖ. "Wir sind gestern Zeuge eines Auftritts unseres Bundeskanzlers geworden, wie es ihn in der Geschichte unseres Landes nicht gegeben hat", sagt Generalsekretär Michael Schnedlitz Freitagmittag in einer Pressekonferenz. Das Kanzler-Video würde Schnedlitz zufolge das Ibiza-Video "in seiner Erbärmlichkeit und Unfassbarkeit in den Schatten stellen".

Die Sprengkraft des Videos sei deshalb so groß, "weil es sich nicht um ein Urlaubsvideo handelt, sondern weil es den Kanzler in vollem Bewusstsein mitten in Österreich zeigt". Darin würde man "Empathielosigkeit, Eiseskälte, Abgehobenheit und Menschenverachtung gegenüber dem eigenen Volk" zu sehen bekommen, meint Schnedlitz. "Was wir hier gesehen haben, ist tiefster Hass gegen die eigene Bevölkerung, wenn sie ihm nicht huldigt und nicht kommentarlos schluckt, wie sehr sie unter der Teuerung leidet." Der freiheitliche Generalsekretär kritisiert, dass die Volkspartei "einfach zur Tagesordnung" übergehen würde und fordert den sofortigen Rücktritt des Kanzlers.

"Nur ihre Klientel im Auge"

Scharfe Kritik an Nehammers Aussagen übte Freitagvormittag Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger bei einer Pressekonferenz. Für eine Partei, die sich als christlich-sozial verstehe, sei es höchst problematisch, wenn sie "nur ihre eigene Klientel im Auge hat". Die Burger-Äußerung des Kanzlers lasse darauf schließen, dass Nehammer die Chancen von Kindern aus ärmeren Verhältnissen weniger wichtig seien als jene "seiner Leute". Auf die Zukunft bezogen sei eine solche Einstellung für die ÖVP "auch als Wirtschaftspartei fatal". Österreich brauche "jeden Einzelnen und jedes Kind", um die aktuellen Herausforderungen zu meistern.

Bemerkenswert sei auch, dass die ÖVP Teilzeitarbeit von Frauen nun derart geißle. Denn immerhin habe sie führend dazu beigetragen, "dass es in Österreich so viele Anreize für Teilzeitarbeit gibt", sagte Meinl-Reisinger. (Irene Brickner, Ricarda Opis, Sandra Schieder, 29.9.2023)