Es scheint, als würde 2023 ein weiteres düsteres Jahr für die Demokratie werden. In Afrika hat es mehrere Staatsstreiche gegeben. In Tunesien, das lange Zeit als die einzige demokratische Erfolgsgeschichte des Arabischen Frühlings gepriesen wurde, hat sich ein autoritäres Regime konsolidiert. Und Donald Trump befindet sich offenbar auf Kurs, um sich die Nominierung der Republikaner für die US-Präsidentschaftswahlen 2024 zu sichern.

Wie wir solche Entwicklungen beschreiben, ist wichtig. Der im Englischen gebräuchliche Ausdruck "Backsliding" für den weltweiten Rückzug der Demokratie hat allerdings zu einer merkwürdigen Passivität prodemokratischer Kräfte beigetragen.

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Ist Vorbild für Politikerinnen und Politiker in der EU: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, im Bild mit dem polnischen Premier Mateusz Morawiecki und der italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni.
Foto: IMAGO/Nicolas Economou

Die Welt bewegt sich nicht zurück in Richtung einiger bekannter Regime der Vergangenheit oder gar zurück zu Entwicklungen und Umständen, die wir schon einmal beobachtet haben und leicht nachvollziehen können. Lange Zeit besagte die landläufige Meinung, dass Demokratien zwar Fehler begehen, aber aus diesen Fehlern auch lernen und sich entsprechend anpassen – eine Eigenschaft, die sie von allen anderen politischen Systemen unterscheidet. Allerdings haben autoritäre Kräfte inzwischen bewiesen, dass auch sie sich anpassen können.

Keine "Angstdiktatoren"

Tatsächlich haben moderne Autokraten ein neues Konzept zur Konsolidierung, Ausübung und Erhaltung ihrer Macht entwickelt, das in erheblichem Maße von der Erhaltung einiger Merkmale der Demokratie abhängt. Wie die beiden Sozialwissenschafter Sergej Gurijew und Daniel Treisman darlegen, sind diese sogenannten Spin-Diktatoren mit den brutalen und zuweilen völkermordenden "Angstdiktatoren", die das 20. Jahrhundert beherrschten, keinesfalls zu vergleichen. Spin-Diktatoren verzichten auf offene Repression zur Festigung ihrer Macht. Darüber hinaus vermeiden sie auch den offenkundigen Rechtsbruch und setzen das Recht sogar ein, um ihre Ziele zu erreichen.

Diese Autokraten konzentrieren sich auf die Manipulation der öffentlichen Meinung, während sie demokratische Normen und Institutionen – von denen sie ihre Legitimität ableiten – schrittweise schwächen. Anstatt etwa altmodisch auf unverblümte Repression zu setzen, nutzen sie möglicherweise moderne Überwachungstechnologien, um potenziell Andersdenkende zu enttarnen. Und anstatt Sicherheitsdienste zu beauftragen, spät nachts an die Türen von Regimekritikerinnen zu klopfen, schicken sie womöglich Steuerprüfer los, um einer Nichtregierungsorganisation oder einer Zeitung am Zeug zu flicken.

Spin-Diktatoren schaffen auch "Fakten". So ist es den Rechtspopulisten in Polen und Ungarn gelungen, die Europäische Union lange genug zu täuschen, um in der Zwischenzeit zur Festigung ihrer Herrschaft nationale Institutionen umzubauen und Personal auszutauschen. Obwohl es nicht unmöglich ist, diese Schäden zu beheben, wird es doch mit jedem Tag schwieriger.

Aber auch diese Autokraten begehen zahlreiche Fehler, die ihre Herrschaft gefährden können, weswegen sie Gewaltanwendung und andere Mittel der offenen Unterdrückung in petto halten. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte etwa kein Problem damit, nach der von ihm angeordneten Invasion in der Ukraine jeden Anschein von Legalität oder Toleranz gegenüber Andersdenkenden aufzugeben. Trotzdem bleibt es dabei: Wir kehren nicht einfach zu einer Art von Autoritarismus zurück, die wir schon einmal beobachtet haben.

Kein natürlicher Prozess

Aber nicht nur der Wortteil "back" führt in die Irre, auch "sliding" (schlittern). Ähnlich wie der Begriff "Erosion der Demokratie" suggeriert dieses "Schlittern", dass wir es mit einer Art Versehen oder gar mit einem fast natürlichen Prozess zu tun haben. Viele aufstrebende Autoritäre verfolgen jedoch sehr wohl einen Plan, und dieser enthält oftmals von anderen kopierte Elemente. Nachdem etwa der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán vorgeführt hatte, wie er zur Festigung seiner Autokratie die EU täuschen und auf Zeit spielen konnte, war es für andere ein Leichtes, es ihm nachzumachen – wie es etwa Polens Regierungspartei getan hat.

In Wirklichkeit erlebt die Welt heute genauso wenig einen umfassenden – geschweige denn unvermeidlichen – Wandel hin zur Autokratie wie eine endgültige Rettung der Demokratie. Die Tatsache, dass autoritäre Populisten manchmal – wenngleich nicht immer – abgewählt werden, macht dies überdeutlich.

Diese fluktuierende Dynamik ist in der Tschechischen Republik und in der Slowakei zu beobachten. In der Slowakei hat der Putin-freundliche Erzpopulist Robert Fico nach einer Phase des liberalen Widerstands gegen Autoritarismus und Korruption die Neuwahlen gewonnen. Vielleicht sollten wir – wie von den Forschenden Seán Hanley und Licia Cianetti vorgeschlagen – den Begriff "Backsliding" durch "Careening" (schlingern) ersetzen, um eine oftmals nicht vorhersehbare Zickzackbewegung zu beschreiben.

Fatalismus und Faulheit

Wenn wir davon ausgehen, dass sich Demokratien auf einem linearen, praktisch zwangsläufigen Weg zurück zum Autoritarismus alten Stils befinden, vergessen wir, über mögliche Wege aus dem neuen Autoritarismus nachzudenken. Vor Wahlen, bei denen autoritäre Amtsinhaber auf dem Stimmzettel stehen – wie in Ungarn im letzten Jahr oder in der Türkei in diesem Jahr – stellen liberale Beobachtende in der Regel klar, welches Ergebnis sie sich wünschen. Für den Tag nach der Wahl haben sie allerdings nur selten einen Plan parat.

Man könnte dieses Versäumnis einem gewissen Fatalismus zuschreiben: Niemand rechnet wirklich mit einem Machtwechsel. Es könnte sich aber auch um ein Zeichen intellektueller Faulheit handeln, wenn Beobachtende davon ausgehen, dass man einfach vorgefertigte Lehren aus früheren Transformationsprozessen anwenden kann – und damit die neuartigen Elemente der heutigen autokratischen Systeme kaum berücksichtigt.

Derartige Verallgemeinerungen können irreführend sein, aber genau das ist der Punkt. Um die Demokratie weltweit zu bewahren, wiederherzustellen oder zu fördern, brauchen wir sorgfältige Analysen von Einzelfällen und nicht nur allgemeine Annahmen über "globale Trends". (Jan-Werner Müller, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 3.10.2023)