Es war in den 1970er-Jahren, als in den USA der Begriff "Elendsindex" populär wurde. Der Ökonom Arthur Okun addierte einfach die Inflations- und Arbeitslosenrate und behauptete, dass dieser Wert die Zufriedenheit der Menschen über die Wirtschaftslage, die Politik und die Leistung der jeweiligen Regierung prägt. Und da damals die Teuerung in den Industriestaaten hoch war und die Arbeitslosigkeit stieg, war die Stimmung entsprechend schlecht.

Die Inflation ist hoch, das merkt man auch im Supermarkt.
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Eine solche Phase der Stagflation hat es in den folgenden Jahrzehnten nicht gegeben, was vor allem an der niedrigen Inflation lag. Die Wirtschaft in der westlichen Welt wuchs meist, wenn auch oft langsamer als gewünscht.

Ausgeprägte Proteststimmung

Erst der unerwartete Inflationsschub, den erst die Corona-Pandemie und dann der Ukrainekrieg ausgelöst haben, hat zur Rückkehr dieser toxischen Mischung geführt, wenn auch mit einer Besonderheit. So leidet Österreich unter einer historisch hohen Inflation, weist aber einen robusten Arbeitsmarkt vor. Und da staatliche Zuschüsse und gute Lohnabschlüsse die Kaufkraft für den Großteil der Bevölkerung laut Statistikern erhalten oder gar gesteigert haben, sollte man mit der Wirtschaftslage eigentlich zufrieden sein.

Weit gefehlt, wie alle Umfragen zeigen. Und dafür gibt es gute Gründe. So sorgt Inflation, obwohl sie eine Gesellschaft längerfristig nicht ärmer macht, für besonders viel Unmut, weil sie jeder täglich spürt. Arbeitslosigkeit trifft, solange sie nicht zum Massenphänomen wird, nur eine Minderheit. Auch die verschärfte Armut am unteren Rand der Gesellschaft dürfte nicht der Grund für die ausgeprägte Proteststimmung sein, die viel eher von einer zornigen Mittelschicht ausgeht.

Für diese Stimmung spielen auch die weiteren wirtschaftlichen Aussichten eine entscheidende Rolle. Und da haben die Volkswirte von Wifo und IHS gerade eine spannende Erkenntnis geliefert: In diesem Jahr leidet Österreich nicht nur unter einer massiven Teuerung, sondern auch unter einer milden Rezession. Dazu kommen steigende Zinsen für alle, die einen Kredit laufen haben oder gerne Wohnungseigentum erwerben würden. In vielen Unternehmen bekamen die Menschen zu spüren, dass es nicht rundläuft. Kein Wunder, dass die Umfragewerte der Koalitionsparteien im Keller liegen und die FPÖ mit ihren verbalen Rundumschlägen gegen das, was sie System nennt, davonzieht; die SPÖ schlägt aus diesem Missmut viel weniger Kapital.

Fehlendes Personal

Dass die Arbeitslosigkeit niedrig ist und nur in wenigen Branchen steigt, hilft den anderen Parteien wenig. Denn der damit verbundene Arbeitskräftemangel sorgt seinerseits für Unzufriedenheit. Die Menschen fürchten zwar nicht um ihre Jobs, aber sehr wohl um die Qualität der Pflege, des Gesundheitssystems und sogar der Bedienung in der Gastronomie, weil überall Personal fehlt.

Nun sagen die Wirtschaftsforscher für das nächste Jahr einen Rückgang der Inflation und ein Ende der Rezession voraus; der Elendsindex wird sinken. Das sollte eine gute Nachricht für ÖVP und Grüne sein und die FPÖ ein wenig bremsen. Sinnvolle Maßnahmen, etwa zur Belebung der Bauwirtschaft, könnten die positive Entwicklung noch verstärken.

Aber die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die Stimmung der Wählerschaft oft wenig mit konkreten Wirtschaftsdaten zu tun hat. Eine Politik, die gleichzeitig klug und populär ist, gleicht heutzutage der Quadratur des Kreises. (Eric Frey, 6.10.2023)