Nicht den Kopf in den Sand stecken. Lieber ins Kino gehen, zum Beispiel in den tollen Viennale-Eröffnungsfilm "Explanation for Everything" des ungarischen Neo-Regisseurs Gábor Reisz.
Viennale

Die diesjährige Viennale hat Dienstagabend ihr Programm enthüllt, das Festival startet kommende Woche. Der Eröffnungsabend am 19. Oktober gehört dem grandiosen ungarischen Stationendrama Magyarázat mindenre (Explanation for Everything).

Es ist erst der dritte Film des 1980 geborenen Regisseurs Gábor Reisz, doch er war eine Sensation im heurigen Orizzonti-Wettbewerb von Venedig. Vollkommen verdient, denn Reisz wirft sich hinein in die schmuddelige Politik Ungarns, ohne Stereotype zu bedienen oder politische Ansichten abzukanzeln. Aber doch mit Haltung.

Politischer Auftakt aus Ungarn

Der Abschlussschüler Ábel verhaut seine Geschichte-Prüfung und erwähnt später vor seinem Vater, dass es womöglich an dem National-Pin an seinem Revers gelegen sein könnte. Das bekommt eine ehrgeizige Journalistin mit. Die Story schlägt ein, die Dinge verkomplizieren sich, ohne ins Drama zu kippen.

Ein wunderbares, über verschiedene Figuren erzählendes Porträt einer Gesellschaft, die zwischen liberalen und autoritären Ideen zerrissen ist. Dass sich das verdammt nah anfühlt, liegt nicht zuletzt daran, dass Budapest bei Nacht Wien nicht ganz unähnlich sieht.

EXPLANATION FOR EVERYTHING - Official Trailer
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Retros und Gäste

Explanation for Everything ist ein gelungener Auftakt für die 61. Viennale unter der Leitung von Eva Sangiorgi, die heuer zum fünften Mal für das Programm verantwortlich zeichnet. Wie in den Vorjahren ist dieses eine gelungene Mischung aus aktuellen Festivallieblingen, Geheimtipps und Rückblicken in die Filmgeschichte. Von Alba Rohrwacher bis Radu Jude stehen außerdem viele Regisseurinnen und Regisseure für Filmgespräche zur Verfügung – als Stargast ist für den 26. Oktober Catherine Deneuve angekündigt.

Catherine Deneuve
Catherine Deneuve, hier am diesjährigen Festival von Cannes, reist auch gern mal nach Wien. Zur Viennale am 26. Oktober etwa.
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Fokus auf Chile

Besondere Aufmerksamkeit liegt auf Südamerika mit einer umfassenden Retrospektive des chilenischen Filmemachers Raúl Ruiz, einer Monografie zur argentinischen Experimentalfilmemacherin Narcisa Hirsch und einem Fokus auf die letzten fünfzig Jahre des chilenischen Kinos.

Auch der heimische Film ist vertreten. "Keine Angst" zeigt eine Kostprobe auf das paranoide österreichische Kino der 1980er-Jahre abseits verkitschter Nostalgie mit Filmen von Kitty Kino, Gerald Kargl oder Käthe Kratz. Neues kommt von Jessica Hausner (Club Zero), Sudabeh Mortezai (Europa) und Adrian Goiginger mit Rickerl.

Festivallieblinge

Auch die Vorfreude auf die Festivallieblinge des Jahres darf für die Glücklichen, die sich zum Vorverkaufsstart am 14. Oktober Tickets sichern können, gestillt werden. Alle drei Gewinnerfilme aus Berlin, Cannes und Venedig sind vertreten: Nicolas Philiberts Doku Sur l'Adamant, Justine Triets Gerichtsdrama Anatomie d'une chute und Yorgos Lanthimos' Kinospektakel Poor Things. Ergänzt wird das Bouquet etwa durch Sofia Coppolas Priscilla und Wim Wenders' Perfect Days.

Anatomy of a Fall - Official Trailer
Madman Films

Im Programm finden sich aber auch unscheinbarere Blümchen, deren Kinostart nicht fix ist. Hong Sangsoos Neuling In Our Day oder Rebecca Millers Anne-Hathaway-Kuriosum She Came to Me etwa, und vieles mehr vom filmischen Nachwuchs aus aller Welt. (Valerie Dirk, 10.10.2023)