Nationalpark Donau-Auen
Neben römischen Siedlungen wird auch der Nationalpark Donau-Auen aus geologischer Sicht erforscht.
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Jede Schicht hat a G’schicht – die Forschenden des Instituts für Geologie der Universität Wien könnten in Anlehnung an eine in geologischen Maßstäben brandneue Austropop-Nummer ein Lied über ihr "Carnuntum-Vienna Anthropocene field lab" singen. Müssen sie aber nicht, denn erste Ergebnisse des vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) geförderten und noch bis Mitte 2025 laufenden Projekts UrbAn.CVie offenbaren auch so bereits Wissenswertes vom Untersuchungsgebiet: dem Gebiet zwischen Wien und Hainburg. Etwa warum sich zwei römische Siedlungen an der Donau trotz ähnlicher Startbedingungen praktisch entgegengesetzt entwickelten.

Im ersten Jahrhundert nach Christus gründeten die Römer mit Carnuntum und Vindobona zwei Militärlager zur Sicherung des pannonischen Limes am Nordrand des Römischen Reichs. In der Folge bildeten sich um die Legionslager auch Zivilstädte mit zehntausenden Bewohnern. "Aus geologischer Sicht sind wir zum Schluss gekommen, dass die Römer ihre Siedlungen wahrscheinlich dort ansetzten, wo die Übergänge über die Donau am kürzesten waren", sagt Co-Projektleiter Michael Weissl. In den wiederholten Feldzügen gegen die nördlich der Donau ansässigen Germanen habe der Übergang bei Hainburg oder wahrscheinlich exakter beim direkt davor gelegenen Bad Deutsch-Altenburg eine strategisch wichtige Rolle gespielt. Im Falle des gut 40 Kilometer flussaufwärts gelegenen Vindobona vermuten die Geologen den kürzesten Donau-Übergang auf der Höhe des heutigen Nussdorf im 19. Wiener Gemeindebezirk.

Amphitheater
In Carnuntum ist bis heute das Amphitheater der Militärstadt der Römer zu sehen.
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Vindobonas Aufstieg

Carnuntum prosperierte als Provinzhauptstadt am Kreuzungspunkt zweier wichtiger transkontinentaler Handelsrouten, wurde aber im 4. Jahrhundert aufgegeben, erklärt Weissl: "Es scheint, dass die Gegend um Hainburg/Carnuntum so exponiert und ständig von kriegerischen Ereignissen betroffen war, dass sich dort langfristig nichts entwickeln konnte." Das ursprünglich unbedeutendere Vindobona schwang sich aufgrund der geschützteren Lage und der besseren Wasserversorgung über die Jahrhunderte zur stark befestigten Residenzstadt Wien auf. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden zur Erweiterung des Stadtgebiets die Stadtmauern abgetragen. Weil Hochwasser immer wieder weite Teile der Stadt überfluteten, wurde auch die Donau zunehmend reguliert. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam der Bau von Kraftwerken als weiterer menschlicher Einflussfaktor in Bezug auf das Ökosystem hinzu.

Auf Eintiefungen und Hochwasserschutz-Maßnahmen folgten Renaturierungsschritte. All das hat sich auf das Flusssystem sichtlich ausgewirkt, wie die Forschenden nun feststellen können. Im Nationalpark Donau-Auen analysieren sie vor allem Flutsedimente der Donau. Die teils sechs Meter hohen, frei liegenden Schichten wären nicht durch natürliche Prozesse entstanden, sie sind Resultat der menschlichen Eingriffe. "Die Donau würde von sich aus keine sechs Meter hohen Schichten aufsedimentieren", verweist Weissl auf ein Zusammenspiel von Effekten, vor allem aber den Wechsel von Befestigungsmaßnahmen und Eintiefungen. "Dadurch haben wir heute eine Au, die sehr hoch über dem Wasser liegt. Das ist nicht der natürliche Zustand."

Heidentor 
Südlich der Zivilstadt findet sich in Carnuntum das Heidentor.
APA/HELMUT FOHRINGER

Sichtbare und verborgene Spuren

"Der Einfluss des Menschen ist hier schon mit freiem Auge zu erkennen", sagt auch Diana Hatzenbühler, die sich im Projekt mit der jüngeren Geschichte und hier vor allem dem Einfluss Wiens auf die Umgebung beschäftigt: "Wir haben beispielsweise Makroplastik in Form von Mistkübeln, Töpfen und allen möglichen anderen Dingen gefunden." Auch die Struktur der Ablagerungen habe sich deutlich verändert. "Die Lagen werden immer mächtiger und auch gröber. Also nicht mehr siltiges, sehr feines Material, sondern ein bisschen gröberes wie Sand."

Hatzenbühler erwartet, dass im Zuge geochemischer Analysen noch feinere Spuren wie Flugasche, Mikroplastik oder radiogene Nuklide gefunden werden, die auf den anthropogenen Einfluss rückschließen lassen. Die Vermutung kommt nicht von ungefähr, konnte doch Principal Investigator Michael Wagreich bereits im Wiener Stadtboden, genauer an der Baustelle für die Neugestaltung des Wien-Museums am Karlsplatz, Radionuklide wie Plutonium 239 und 240 von den atmosphärischen Atombombentests zwischen 1950 und 1964 nachweisen. Diese chemischen Überreste im Boden sind für Expertinnen und Experten ein maßgeblicher, weil weltweit vorkommender Marker ("Bomb Spike") für das Ausrufen des Anthropozäns, eines eigenen geochronologischen Zeitalters, das den beispiellosen Einfluss des Menschen auf die Erde widerspiegeln soll.

Donau
Entlang der Donau zeigen sich teils lange zurückreichende menschliche Einflüsse.
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Anbruch eines neuen Erdzeitalters

Derzeit befinden wir uns erdgeschichtlich gesehen offiziell noch im Holozän, das vor knapp 12.000 Jahren nach dem Ende der letzten Eiszeit begann. Der genaue Zeitpunkt, wann das Holozän enden und das Anthropozän beginnen soll, ist derzeit Gegenstand eines intensiven Diskussionsprozesses innerhalb der Anthropocene Working Group. Als Mitglied des Gremiums von Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt, das dieser Tage per Mehrheitsentscheid über das Datum abstimmen wird, hat Wagreich schon einen eng eingegrenzten Verdacht. Allein er darf ihn nicht äußern. Herauskommen werde am Ende einer noch monatelangen Prozedur wohl eine vierstellige Jahreszahl, die mit 195 beginnt – so viel sei (kein Geheimnis) verraten. Bleibt noch die Frage, ob denn auch ein Ende des Menschenzeitalters absehbar ist. "Tatsächlich schreiben wir an einem Artikel über die Dauer des Anthropozäns. Aber bei der Frage, wie lange der Klimawandel anhält – da ist man bei Zehntausenden von Jahren –, ist es gar nicht so von Bedeutung, ob jetzt der Mensch ausstirbt oder nicht. (Mario Wasserfaller, 17.10.2023)