Zwei junge Frauen starren angestrengt durch die großen Schaufenster eines Wiener Fitnessstudios. Drinnen wird gerade ein Zirkeltraining vorbereitet. Schwere Kurzhanteln liegen neben den Trainingsbänken bereit, die Kettlebells sind nach Farben sortiert, die Langhanteln werden gerade noch mit Gewichten bestückt. Gleich geht es los. Krafttraining? "Ich dachte, für heute ist Cardio geplant", sagt die eine zur anderen und klingt enttäuscht.

Wer stärker werden will, muss sich an schwerere Gewichte trauen. Dafür braucht es weniger Wiederholungen.
Wer stärker werden will, muss sich an schwerere Gewichte trauen. Dafür braucht es weniger Wiederholungen.
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Was nach einem Witz ohne Pointe klingt, kennen Fitnesstrainerinnen aus ihrem Berufsalltag zu gut. "Nur ja nicht zu muskulös", das ist ein Wunsch, den die Personal Trainerin Christiane Christian bei Erstgesprächen häufig hört. Auch Saye Vedrilla, Inhaberin des "Sayyes Women’s Gym" für Frauen im 3. Bezirk in Wien, kennt die Bedenken. Und noch ein anderer Mythos kommt ihr bei Erstgesprächen oft unter: "Viele glauben, dass sie ausschließlich durch Cardio-Training abnehmen und Krafttraining daher gar nicht brauchen."

In vielen Fitnessstudios waren Laufbänder, Stepper und Rad-Ergometer aus diesem Grund lange in weiblicher Hand, während die Männer an den Gewichten ganz unter sich waren. Die klassische Rollenverteilung war im Gym lange Realität.

Doch in den letzten Jahren haben Frauen die Muckibuden erobert. In den meisten Fitnessstudios machen heute genauso viele Frauen wie Männer Deadlifts und Bench-Presses. "Krafttraining durfte bei Frauen nie sein", sagt Fitnesstrainerin Saye Vedrilla. Jahrzehntelang sei ein ausgehungerter, nicht gesunder Körper das Ideal gewesen. "Aber nun gelten Muskeln langsam auch bei Frauen als schön – und vor allem gesund."

Straff, knackig, definiert

Wenn auch immer noch oft mit Einschränkungen. Der Körper soll straff, knackig und definiert aussehen – so lässt sich die Idealvorstellung vieler Frauen und das Versprechen vieler Personal Trainerinnen zusammenfassen. Die Scheu davor, plötzlich zu stark und zu muskulös auszusehen, gibt es weiterhin. Dabei ist es eine für Frauen völlig unbegründete Angst, sind sich Expertinnen einig: "Muskelaufbau passiert nicht zufällig. Das ist ein ziemlich großes Commitment", sagt Trainerin Christiane Christian.

Nämlich eines, bei dem es nicht nur ums Training, sondern vor allem auch um die Ernährung geht – bei vielen Frauen die größere Herausforderung. Sie würden für einen richtigen Muskelaufbau schlichtweg nicht genug essen, ist Christian überzeugt.

Auch der Sportwissenschafter Heinz Kleinöder von der Deutschen Sporthochschule Köln betont, dass der Aufbau von sichtbarer Muskulatur viel Arbeit ist. Der Grund: Im Vergleich zu den Männern fehlt bei Frauen das Testosteron weitgehend. Das ist für Muskelwachstum aber wichtig.

Und selbst Männer würden rein durch Krafttraining, und sei es noch so hart, niemals Muskelberge wie ein Hulk auftürmen. Dabei spiele nämlich ein weiterer Faktor eine gewichtige Rolle: "Jemand wie Arnold Schwarzenegger hat da sicher eine genetische Prädisposition."

Es dauert nicht lange

Umso wichtiger ist, das Krafttraining richtig anzugehen (siehe Infokasten). Die gute Nachricht: Man braucht dafür nicht so viel Zeit wie fürs Cardio-Training. Zwei- bis dreimal in der Woche 30 Minuten, in denen unterschiedliche Körperpartien angesteuert werden, können schon ausreichen, um nach vier Wochen die ersten, kleinen Resultate – etwa an den Armen – zu sehen.

Dafür muss man sich aber auch an schwere Gewichte trauen, betont Kleinöder: "Viele Frauen tendieren dazu, mit leichten Gewichten viele Wiederholungen zu machen." Effektiver sei, den Muskel durch schwerere Gewichte und weniger Wiederholungen an seine Grenze zu bringen. So wächst er – das ist das, was man nach wenigen Wochen an den Armen oder am Bauch wahrnimmt. "Abgesehen davon passiert bei den meisten sonst nicht viel", sagt Kleinöder.

Für viele ist die Optik auch der wichtigste Faktor, um mit dem Krafttraining zu beginnen. "Jeder hat ein Idealbild im Kopf", sagt Christiane Christian, und das sei auch okay so. Viele würden gern wieder so ausschauen wie vor drei Jahren. Und manche kämen gleich mit dem Foto einer Fitfluencerin. Nach dem Motto: So will ich bitte auch ausschauen.

Wichtig seien den Kundinnen vor allem Arme, Schultern und Rücken. Sie müssen dann aber mitunter auf den Boden der Realität zurückgeholt werden: "Diese Vorbilder trainieren seit Jahren hart und stecken alles rein, das muss man manchmal schon klarstellen."

Frauen haben oft weniger Kraft im Oberkörper als Männer – doch ein Klimmzug lässt sich lernen.
Frauen haben oft weniger Kraft im Oberkörper als Männer – doch ein Klimmzug lässt sich lernen.
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Und noch etwas sollte einem bewusst sein: Das Körperideal, das Fitfluencerinnen in sozialen Netzwerken gern als "Strong is the new skinny" bezeichnen, wenn sie ihren trainierten Hintern in Szene setzen, kann auch unnötigen Druck aufbauen: Schön und schlank reichen als ohnehin schon unerreichbare Ziele für Frauen nicht mehr, jetzt sollte man also auch noch stark sein. Aber keinesfalls zu muskulös. Das kann sich negativ auf die eigene Körperwahrnehmung auswirken.

Einen Klimmzug lernen

Allerdings betont Christiane Christian auch, dass der Fokus auf die Optik mit der Zeit mehr in den Hintergrund tritt, weil andere Aspekte beim Training wichtiger werden. "Eine Kundin hat mir gerade geschrieben, dass sie wieder schmerzfrei Stiegen steigen kann", erzählt sie. Auch Sportwissenschafter Kleinöder sieht die Entwicklung zu mehr Muckis durchwegs positiv: "Da geht es um die Angleichung der Körperkraft von Frauen und Männern", sagt er. "Das schafft Selbstbewusstsein."

Fitnesstrainerin Vedrilla empfiehlt, sich andere Ziele als das Aussehen zu stecken. Und zwar welche, die motivieren und Spaß machen. Ein gutes Ziel: einen Klimmzug schaffen. Weil Männer im Schnitt mehr Muskelmasse am Oberkörper haben, tun sie sich anfangs zwar oft leichter. "Aber jede Frau kann einen Klimmzug lernen", sagt Vedrilla. Dafür müssen Rumpf, Rücken und Oberarme gestärkt und die Koordination geschult werden.

Das kann dauern – aber nur wenig macht glücklicher als der erste richtige Klimmzug. Genauso wie der Griff zu den Neun-Kilo-Hanteln, weil die acht Kilo bei den Bench-Presses viel zu leicht geworden sind.

Gegen den Muskelschwund

Krafttraining ist aber nicht nur gut für die Psyche und die Körperwahrnehmung. Es stärkt auch die Knochen. Das ist speziell für Frauen wichtig, weil sie in späteren Jahren häufiger an Osteoporose erkranken. Und es wirkt dem Abbau der Muskulatur entgegen – der beginnt nämlich schon ab 30. Es ist übrigens nie zu spät, mit Muskeltraining anzufangen. Saye Vedrillas älteste Kundin ist 82. "Und sie kann jetzt wieder aufrecht gehen."

Mit einer stärkeren Rumpfmuskulatur verbessert sich auch die Haltung. Das ist besonders für jene Menschen wichtig, die tagein, tagaus im Büro sitzen und über Rückenschmerzen klagen. Und jede, die es schon einmal probiert hat, kennt das erhebende Gefühl, wenn man plötzlich den Koffer im Zug ohne Hilfe ins Gepäckfach hieven kann.

Einen ganz großen Vorteil haben Frauen beim Krafttraining gegenüber Männern übrigens auch: "Sie sind viel beweglicher", betont Fitnesstrainerin Vedrilla. Die klassische Kniebeuge können viele Frauen daher sehr schnell und außerdem besser als Männer. "Dieser Vorteil ist den meisten Frauen gar nicht bewusst", sagt Vedrilla.

Rein ins Gym, möchte man den beiden anfangs erwähnten jungen Frauen also zurufen – und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen des Krafttrainings. Es zahlt sich aus. (Franziska Zoidl, 21.10.2023)