Das hätte sich Norbert Darabos nicht gedacht. Günther Platter auch nicht. Oder Herbert Scheibner. Dass nämlich eine Verteidigungsministerin Pressekonferenz auf Pressekonferenz abspult und dabei fast immer millionenschwere Investitionen in die Streitkräfte verkündet. Aber dafür nicht abgewatscht, sondern abgefeiert wird. Und das in Österreich.

Denn während ihren Vorgängern allesamt die undankbare Aufgabe zukam, eine marode Armee zu verwalten, wird der amtierenden Ressortchefin Klaudia Tanner (ÖVP) das seltene historische Glück zuteil, viele Milliarden für das Militär ausgeben zu dürfen. So viele wie noch nie, genau genommen: Mehr als 16 Milliarden Euro bis 2032 sieht der nach Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beschlossene Aufbauplan für Investitionen ins Bundesheer vor. Auch für das kommende Jahr erhielt das Heeresressort vom Finanzminister gerade wieder eine kräftige Budgeterhöhung um gut 700 Millionen Euro.

Neues Selbstbewusstsein

Putins Krieg mitten in Europa bedeutete eine Zeitenwende für die Armeen des Kontinents. Selbst für die jahrzehntelang so stiefmütterlich behandelte in Österreich. Schlagzeilen von schrottreifem Gerät und baufälligen Kasernen? Im Angesicht der neuen Bedrohung aus dem Osten? Das kann und will sich auch die Bundesregierung längst nicht mehr leisten. Und auch die Terrorattacke der Hamas auf Israel spülte wieder eine Botschaft in die Bevölkerung: Eine funktionierende Armee ist wichtig.

Höhere jährliche Budgets und 16 Milliarden für Investitionen hat die Regierung dem Heer versprochen. Wofür reicht das?
APA/FLORIAN WIESER

Das Selbstbewusstsein im Militär ist mit dem neuen Geldregen merklich gestiegen. Nicht nur die Ressortchefin selbst scheint ihre häufigen Medientermine zu genießen. Generalmajor Günter Hofbauer, der Planungschef des Bundesheers, tingelt seit Monaten routiniert durch TV-Auftritte und Interviews, um Waffengattungen und neue Anschaffungen zu erklären. Oberst Markus Reisner ist seit dem Angriff auf die Ukraine gar zum international gefragten Kriegserklärer avanciert.

Peinlicher Zwischenfall

Und auch die Social-Media-Auftritte des Bundesheers haben sich gewandelt. Zeigte man früher oft Rekruten beim Auftürmen von Sandsäcken nach Flutkatastrophen, sieht man auf Instagram und Tiktok heute rollende Panzer zu E-Gitarren-Sounds und Soldaten im Tarnfleck, die MG-Salven in die Landschaft feuern. Ungewohnt für Österreich. Aber plötzlich gilt es auch in der kleinen Alpenrepublik als ein bisschen cool, Soldat zu sein.

Dass das einst notorisch ausgehungerte Bundesheer mehr Geld braucht, dass man in etlichen Bereichen investieren muss, um auch nur Basisaufgaben zuverlässig erfüllen zu können, ist weitgehend Konsens – auch über Parteigrenzen hinweg. Die Notwendigkeit von Investitionen zeigte jüngst auch ein für das Verteidigungsministerium besonders peinlicher Vorfall: Die Hercules-Transportmaschine des Bundesheers hätte Österreicherinnen und Österreicher aus Israel holen sollen, konnte aber wegen eines technischen Defekts nicht starten. Die Nachfolge der völlig veralteten Militärtransporter hat das Ministerium kürzlich auf Schiene gebracht.

Umstrittenes Prestigeprojekt

Aber: Muss das kleine, von EU- und Nato-Staaten umgebene Österreich wirklich in alle Waffengattungen und Geräte von Haubitzen bis zu schweren Kampfpanzern investieren? Und braucht es tatsächlich in jedem Bereich genau die Millioneninvestitionen, die die Entscheider im Heer sich selbst verordnen? Vor allem letztere Frage würden schon nicht mehr alle so eindeutig mit Ja beantworten. Auch nicht alle im Verteidigungsministerium.

Dass etwa der lange geplante Bau einer neuen Großkaserne in Villach nun 370 Millionen Euro kosten soll und die Kosten des Prestigeprojekts sich damit im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen verdreifachen, DER STANDARD berichtete, sehen auch im Ressort längst nicht alle positiv. Man habe dank des Aufbauplans nun eben mehr Geld zur Verfügung – und deshalb zusätzliche Bauvorhaben am Kasernengelände beschlossen, erklärte man im Ministerium auf Nachfrage.

Rechnungshof will Transparenz

Bereits Ende des Vorjahrs hatte der Rechnungshof die Intransparenz bei Beschaffungen des Bundesheers kritisiert. In den Bedarfsprogrammen mit Planungshorizont von zehn Jahren "war kein aktueller und vollständiger Überblick über den notwendigen Investitionsbedarf gegeben", monierten die Prüfer im November. Zudem kritisierten sie, dass bei Beschaffungen weder Monitoring noch systematische Überprüfung vorgesehen seien.

Auch vom Verteidigungsministerium unabhängige Fachleute mahnen zu engmaschiger Kontrolle bei Beschaffungen – und zu Besonnenheit bei langen und schnell erstellten Einkaufslisten. "Große Anschaffungsprogramme wirken weit in die Zukunft", sagt Franz Eder, Experte für Sicherheitspolitik an der Uni Innsbruck, zum STANDARD. "Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, picken auch noch in zehn oder 20 Jahren."

"Burgfrieden" im Bundesheer

Die Notwendigkeit größerer Investitionen ins Heer ist für Eder unbestritten. Er kritisiert aber, dass zu viel Geld mit der Gießkanne verteilt werde. "Am Ende des Tages ist das Bundesheer auch eine große Bürokratie", sagt er. "Da geht es auch darum, wer sich im Ministerium letzten Endes durchsetzt."

Als "Lösung" für entsprechende Interessenkonflikte habe man sich im Heer häufig für eine Art Burgfrieden entschieden: Das Geld werde möglichst breit verteilt, um alle ein wenig zufriedenzustellen. Gerade kleinere Armeen weltweit würden aber mehr auf Spezialisierung in der Nische setzen und andere Bereiche "solidarisch organisieren", also mittels internationaler Kooperationen abdecken. Etwas mehr von diesem Zugang hielte Eder auch für das Bundesheer für sinnvoll.

So sei der Ausbau der Transportkapazitäten etwa mit den neuen Embraer-Transportjets als Hercules-Nachfolgern, neuen Hubschraubern und einer moderneren Lkw-Flotte "sicher richtig und wichtig". Auch die Beteiligung an Sky Shield ist für Eder im Sinne von europäischer Zusammenarbeit und Synergieeffekten sinnvoll. Die Panzerflotte auszubauen hält er dagegen für weniger prioritär: "Aus geografischen Gründen muss Österreich nicht sehr stark auf Kampfpanzer setzen."

Grundstock vor Debatte

Das sieht der Militärexperte und Politikberater Franz-Stefan Gady, selbst auch Offizier der Miliz, grundlegend anders. "Die Grundlage moderner Streitkräfte ist der Kampf der verbundenen Waffen", sagt er im STANDARD-Gespräch. Dabei gehe es um die Integration verschiedener Fähigkeiten. "Ist man nicht Mitglied eines Militärbündnisses wie der Nato, wo man sich Fähigkeiten aufteilen kann, muss man sie selbst bereitstellen."

In der Praxis bedeute das: Man brauche eine Teilfähigkeit in allen Waffengattungen. "Das ist wie Schere, Stein, Papier. Wenn ein Teil fehlt, gerät das Gesamtgefüge aus dem Gleichgewicht." Damit offenbare eine Armee automatisch Schwächen der eigenen Verteidigung. "Die Diskussion über Spezialisierung kann durchaus geführt werden", sagt Gady. "Aber erst, wenn wir den Grundstock wieder überall funktionsfähig aufgebaut haben." (Martin Tschiderer, 26.10.2023)