Der Ökonom Fred Luks argumentiert im Gastkommentar, dass es für eine zukunftsfähige Entwicklung eine "große Transformation" hin zu einer Ökonomie der Großzügigkeit braucht.

Illustration, die zwei Hände und ein Herz zeigt.
Großzügigkeit eröffnet neue Spielräume – in der Politik und in der Ökonomie.
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Wo Klimakrise, Krieg und künstliche Intelligenz für Unsicherheit und Orientierungssehnsucht sorgen, blühen Fantasien zur besseren Gestaltung unserer Zukunft. Bei ihrer Suche nach Lösungen wähnt sich die Politikwissenschafterin Florence Gaub in ihrem Gastkommentar auf einer "Insel des Pessimismus". Sie schwankt dabei zwischen einer Betonung der emotionalen Faktoren und einem großen Vertrauen in organisatorische Innovationen. Das Wort "Gefühl" kommt zahlreiche Male vor, gleichzeitig wird auf Institutionen verwiesen, die das Wort "Zukunft" im Namen tragen. Man darf bezweifeln, dass mit dieser Herangehensweise eine gute Zukunft wahrscheinlicher wird.

Gaub trifft dennoch einen entscheidenden Punkt, wenn sie diagnostiziert, dass "unsere alte Zukunft abgelaufen" sei und wir dringend eine neue bräuchten. Das zeigt sich in nahezu allen Bereichen – bei Themen wie Krieg und Frieden ebenso wie beim Umgang mit der Natur. Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zielt genau darauf ab. Auch wenn manche meinen, es gebe ein "Weiter so": Tatsächlich spricht alles dafür, dass eine zukunftsfähige Entwicklung eine "große Transformation" braucht. Damit muss sich eine Menge ändern: wie wir uns fortbewegen, wie wir mit Tieren umgehen, wie wir wohnen und vieles mehr. Anders gesagt: Was eine Transformation zur Nachhaltigkeit braucht, ist eine gründliche Infragestellung bisheriger Normalitäten.

Im Kulturkampfmodus

Die Normalität, wie wir sie kennen, wird nicht überleben. Denn entweder es findet eine umfassende Transformation statt – oder die Konsequenzen unseres Nichthandelns (zum Beispiel in der Klimapolitik) zerstören etablierte Selbstverständlichkeiten. Normalität sollte deshalb, ja, umgestürzt werden. Sehr frei nach Friedrich Nietzsche muss man stoßen, was ohnehin im Fallen begriffen ist. Anders und etwas pragmatischer gesagt: Wenn die Nichtnachhaltigkeit und also das Scheitern unserer Wirtschafts- und Lebensweise ohnehin immer offensichtlicher wird, ist darin vielleicht ja die Chance auf einen transformativen Wandel aufgehoben.

Stattdessen wird das Publikum allerdings mit populistischen Plattitüden bedacht, bei denen oft schwer zu sagen ist, ob man lachen oder weinen soll. Man muss leider feststellen, dass den Menschen die Wahrheit durchaus nicht zugemutet wird – und ist damit konfrontiert, dass manche Akteure in den Kulturkampfmodus übergehen und beispielsweise den täglichen Fleischkonsum als verbissen zu verteidigende Normalität präsentieren.

"Navigieren zwischen den Extremen Geiz und Verschwendung und zwischen überzogener Effizienzorientierung und moralisierender Konsumeinschränkung."

Was also tun? Man könnte sich zum Beispiel – ganz im Sinne Gaubs, die eine Besinnung aufs Gestaltbare fordert – herrschende ökonomische Leitbilder vornehmen und ihr naives Vertrauen auf die Segnungen von Effizienz, Wachstum und Technik. Auch wenn diese Orientierungen nicht selten selbstverständlich und geradezu natürlich wirken – sie sind es nicht: Sie sind historisch geworden und damit veränderbar. Nicht "einfach" und vom Schreibtisch aus, aber doch in Form eines gesellschaftlichen Lernprozesses auf der Suche nach einer nachhaltigen Zukunft, bei dem Normalitäten hinterfragt werden und vor allem eine "Ressource" gebraucht wird: Fantasie.

Dann kann man darauf kommen, dass eine Ökonomie der Großzügigkeit, die das Bestehende infrage stellt, ohne auf naive Weltverbesserungsfantasien zu setzen, ein Beitrag zu einer guten Zukunft sein kann. Großzügigkeit steht dabei vor allem für eine Orientierung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse am rechten Maß. Ein solches Maß navigiert zwischen den Extremen Geiz und Verschwendung und zwischen überzogener Effizienzorientierung und moralisierender Konsumeinschränkung. Eine Orientierung am Leitbild der Großzügigkeit könnte Spielräume für eine gesellschaftliche Entwicklung eröffnen, statt immer die (ökologischen) Möglichkeiten bis zum Äußersten auszureizen oder überzubeanspruchen.

Kein Geizen

Wer das für weltfremd hält, möge den Blick auf den sich bereits vollziehenden Wandel auf Feldern wie Biodiversität, Tierschutz und Handelspolitik richten. Tatsächlich passieren hier bereits Dinge, die sich im oben skizzierten Sinne als großzügig interpretieren lassen. Wo lange Effizienzorientierung, Kosteneinsparung und die Nutzung komparativer Vorteile unhinterfragte Dogmen waren, wird heute immer mehr die Relevanz von Resilienz, Verantwortung und Sicherheit betont. Das zeigt: Es ist durchaus nicht abwegig, für transformativen Wandel zur Nachhaltigkeit zu argumentieren und zu arbeiten.

Abwegig ist dagegen der Glaube, dass es ein "business as usual" und eine Sicherung der gewohnten Normalität geben könnte. Dass das Verunsicherung auslöst, sollte nicht überraschen. Die Frage ist, was man mit dieser Verunsicherung macht: Statt die Nachfrage nach Orientierung und Einfachheit mit populistischen einfachen Lösungen zu bedienen, könnte man "den Menschen" unbequeme Wahrheiten zumuten und die plausible Hoffnung auf eine erfolgreiche Wende zum Besseren vermitteln. Wir brauchen keine Politik der Nostalgie und keine Ökonomie des Geizes – sondern eine Politik der Zukunftsfähigkeit und eine Ökonomie der Großzügigkeit.