Marco Schwarz führte am Sonntag bei Abbruch des Riesentorlaufs zu Sölden. In Zukunft will der Kärntner in allen vier Disziplinen des Skiweltcups siegfähig sein.
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Im Frühwinter 2004 war Bode Miller wie im Rausch – nicht nur an der Bar, wie ihm oft nachgesagt wurde, sondern vor allem auf der Piste. Die Skilegende aus den USA feierte binnen 16 Tagen fünf Siege in vier verschiedenen Disziplinen. Bis heute ist Miller der letzte Mann, dem Weltcupsiege in allen Kerndisziplinen gelangen. Geht es nach dem Österreichischen Skiverband (ÖSV), soll ihm bald jemand folgen.

Marco Schwarz gilt im ÖSV als heißeste Aktie für den Gesamtweltcup. Während sich die Konkurrenz zunehmend auf einzelne Disziplinen spezialisiert, will der 28-Jährige von der Abfahrt bis zum Slalom um Siege mitfahren. Am Sonntag fuhr er im Riesenslalom von Sölden Bestzeit, ehe Windböen das Rennen noch während des ersten Laufs abbliesen. Kann Schwarz’ Experiment gutgehen? Wie plant man einen Sieg im Gesamtweltcup?

Gar nicht, sagt Schwarz. Er gliedert das Projekt in Teilaufgaben; erfülle er diese, passiere der Triumph in der Gesamtwertung von selbst. Im Slalom gewann er bereits die Kristallkugel der Disziplinenwertung, im Riesenslalom im vergangenen Februar sein erstes Weltcuprennen. Schwarz nimmt in dieser Saison zusätzlich die Speed-Rennen ernster, er möchte Vielabfahrer werden. Bis Weihnachten plant er Starts in jedem Weltcuprennen. "Mir hat es schon immer getaugt, viel zu trainieren und viel Ski zu fahren. Das kommt mir jetzt zugute." Im März fuhr er im Super-G erstmals auf das Podest. "Das hat mich sehr angetrieben", sagt Schwarz.

Spaß am Allesfahren

Sein ökonomischer Fahrstil kommt Schwarz gelegen, regelmäßig holt er in Rennen im Schlussabschnitt Zeit auf Kontrahenten heraus. In Sölden nahm er am Sonntag Titelverteidiger Marco Odermatt im unteren Streckenteil knapp sechs Zehntel ab. Den Schweizer zu schlagen wird schwer genug, im vergangenen Winter stellte Odermatt mit 2042 Zählern einen neuen Punkterekord bei den Männern auf.

"Es ist sehr trainingsaufwendig", sagt Schwarz über sein Programm. Im Sommer verbrachte er fünf Wochen in Chile, pendelte dort zwischen zwei Skigebieten, um technische sowie Speed-Disziplinen zu trainieren. Schwarz hat Spaß an seiner Arbeit, er sucht die Abwechslung. "Wenn ich nur eine Disziplin fahren würde, würde ich durchdrehen." Der Franzose Alexis Pinturault, Gesamtweltcupsieger 2020/21, folgt dem Gegenteil: Er pfeift auf den Slalom, will im fortgeschrittenen Alter zum Abfahrer werden.

Marco Odermatt aus der Schweiz ist der Gejagte.
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Schwarz kam in Villach zur Welt und wuchs in Radenthein auf. Die Eltern stellten den Knirps mit drei Jahren erstmals auf die Skier, mit sieben Jahren trat er dem Skiklub Bad Kleinkirchheim bei. Auf den Sprung in den Jugendkader Kärntens folgte der Aufstieg in jenen des ÖSV. Er nahm sich den US-amerikanischen Riesenslalom-Star Ted Ligety zum Vorbild. Mit 15 startete Schwarz in ersten internationalen Rennen, ein Jahr später gewann er zwei Goldmedaillen bei den Olympischen Jugendspielen 2012. Der heutige Männer-Cheftrainer Marko Pfeifer ermöglichte ihm als Slalom-Coach im November 2014 das Debüt im Weltcup in Levi, seither fährt Schwarz auf der höchsten Rennebene.

Österreichs bis dato letzter Gesamtweltcupsieger, der nicht ganz unbekannte Marcel Hirscher, traut Schwarz den großen Wurf zu. "Wer eine Kugel gewonnen hat, kann auch eine große gewinnen", sagt er, "wenn die Rahmenbedingungen zu hundert Prozent stimmen."

Dafür soll der Betreuerstab sorgen. Schwarz verzichtet auf ein Privatteam, wie es etwa Hirscher, Pinturault oder die Gesamtweltcupsiegerinnen Petra Vlhova und Mikaela Shiffrin betrieben. Mit Coach Pfeifer und Techniktrainer Martin Kroisleitner bespricht er die Renneinsätze, "damit wir uns nicht sinnlos abschießen", sagt Schwarz. Kim Erlandsson präpariert die Skier, Konditionstrainer Hannes Schwarz sorgt für die nötige Physis. Schwarz: "Ich hatte zum Ende der Saison noch gut Kraft."

Der Kombinationsweltmeister von 2021 ist kein Mann der großen Töne, er behält sie entweder für sich oder lässt sie nur im Skikeller heraus. Bei Erfolgen hebt er nicht, im Misserfolg fällt er nicht ab.

Die größte Unsicherheit ist laut Schwarz, "ob sich das mit der Reiserei ausgeht. Alle Rennen werden sich nicht ausgehen. Das Körperliche und das Mentale müssen da sein. Sonst wird es gefährlich, vor allem in Speed-Rennen." Laut Pfeifer müsse er "die fetten Punkte" holen: "Platz fünf, sechs, sieben ist nett, aber damit gewinnst du nichts." Im Verlauf entscheidet sich, ob Schwarz neben Riesenslalom und Super-G größere Siegchancen in Abfahrten oder in Slaloms hat.

Ein Denkmal hat er schon

Sollte Schwarz tatsächlich die große Kristallkugel gewinnen, müssen sie sich in seinem Heimatort Radenthein etwas überlegen. Dort sind sie stolz auf den bekannten Sohn der Gemeinde, vor zwei Jahren wurde eine fünf Meter hohe Skulptur des slalomfahrenden Schwarz vor den Sportpark gepflanzt. Am Ortseingang hängt ein Banner, der alle daran erinnert, dass Schwarz hier lebt. Der Gesamtweltcup sei "ein sehr schwieriges Projekt", sagt Schwarz, "aber nicht unmöglich". (Lukas Zahrer, 30.10.2023)