Beim Thema Inflation treibt die österreichische Bundespolitik seltsame Blüten. Seit nunmehr fast zwei Jahren wütet die Teuerung in ganz Europa, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß – wobei Österreich seit langem zu den unrühmlichen Spitzenreitern zählt. Umso erstaunlicher wirkt es, wenn sich am Dienstag ÖVP-Spitzen wie Bundeskanzler Karl Nehammer, Finanzminister Magnus Brunner und Wirtschaftsminister Martin Kocher unter wohlwollendem Zunicken des grünen Juniorpartners selbst auf die Schulter klopfen: In Sachen Inflationsbekämpfung habe man alles richtig gemacht, lautet offenbar das zu verbreitende Narrativ.

Allein, einer kritischen Betrachtung dürfte es allerdings ebenso wenig standhalten wie nackten Zahlen: In der Eurozone ist der Preisauftrieb im Oktober auf 2,9 Prozent gesunken, während er nach gleicher Berechnung hierzulande immer noch stattliche 4,9 Prozent beträgt. Eine zusätzliche wirtschaftliche Mehrbelastung für Haushalte und Unternehmen, die schon seit vielen Monaten besteht und noch länger anhalten wird.

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Immer mehr Geld für immer weniger im Gegenzug: In der Eurozone ist der Preisauftrieb im Oktober auf 2,9 Prozent gesunken, während er nach gleicher Berechnung hierzulande immer noch stattliche 4,9 Prozent beträgt.
APA/dpa/Sven Hoppe

Geld aus der Gießkanne

Dazu beigetragen hat auch, dass die Regierung den durch den Beginn des Ukrainekriegs enorm verstärkten Preisauftrieb zunächst mit wenig treffsicherem Geld aus der Gießkanne begegnete. Dort, wo es eigentlich gar nicht benötigt wurde, hat dies die Nachfrage der Bevölkerung erhöht, also zusätzlichen Spielraum für Preiserhöhungen geschaffen. Dazu kommt, dass sich die ÖVP mit Preiseingriffen schwertut – obwohl sich die im Dezember 2022 eingeführte Strompreisbremse bewährte. Dadurch wurde die Inflation laut Wifo-Schätzungen um etwa einen Prozentpunkt gedrosselt. Bei den Mieten wurde die Regierung zu spät und nur halbherzig tätig.

Die Folgen der durch die in Österreich höheren Inflation entstandenen Verwerfungen sind kaum übersehbar: Viele Haushalte tun sich immer schwerer, über die Runden zu kommen und den Lebensstandard halbwegs zu halten. Gleichzeitig fürchten Teile der Wirtschaft wegen stärkerer Lohnanstiege als im Ausland um Konkurrenzfähigkeit und Ertragskraft. Beides zusammen stellt auch eine Zerreißprobe für die über lange Zeit bewährte Sozialpartnerschaft dar. Das zeigen die verhärteten Fronten beim Ringen um höhere Gehälter und Löhne für Metaller und im Handel – oder bei Journalisten, denen der Kollektivvertrag gänzlich gekündigt wurde.

Wenig glaubhafte Lobeshymnen

Daher wirken die Lobeshymnen von Nehammer und Co wenig glaubhaft. Zumal diese just am Weltspartag erfolgten – knapp nachdem bekannt wurde, dass heimische Sparer allein heuer wegen der hohen Inflation laut Neos Lab 19 Milliarden Euro Kaufkraft verlieren. Also Geld, das zuvor jahrelang angespart wurde. Wohl trägt die Europäische Zentralbank die Hauptverantwortung, dass sich die Teuerungswelle so weit aufgeschaukelt hat. Aber die Regierung hätte Dämme und Deiche so platzieren sollen, dass die Schäden geringer ausfallen.

Nach publicityträchtigem Aktionismus riecht aber auch die Forderung von SPÖ-Chef Andreas Babler, der die Inflation gewissermaßen mit der österreichischen Verfassung bekämpfen will. Recht auf leistbares Leben ist eine nachvollziehbare Forderung, die aber – wie auch Bargeld – keinen Verfassungsrang benötigt. Statt bei jeder Aussage auf die Wahl im nächsten Jahr zu schielen, sollten sich die Parteien mit schlüssigen Konzepten rüsten, etwa gegen hohe Inflation. (Alexander Hahn, 1.11.2023)