Es war klar, dass Ruqia Jaffary Nachhilfe brauchte. Damals, in der vierten Klasse der Volksschule, war sie erst drei Jahre in Österreich. Geboren ist sie in Afghanistan. Vor allem Mathe und Deutsch bereiteten ihr Probleme.

Wie Jaffary geht es vielen Kindern. Fast jedes dritte Kind nahm 2023 in Österreich Nachhilfe in Anspruch, wie eine Studie der Arbeiterkammer herausfand. 17 Prozent davon bekommen diese von privaten Anbietern, die Stunden werden also aus eigener Tasche bezahlt. Die allermeisten Kinder erhalten sie in Mathematik, aber auch in Deutsch ist der Bedarf hoch. Im Schnitt wurden pro Schulkind 720 Euro im Schuljahr 2022/23 für Nachhilfe ausgegeben. Solche Zahlen zeigen auch, wie sehr Bildungserfolg oft vom Geldbeutel der Eltern abhängt.

Jaffary will sich nicht vorstellen, was ohne das Leo gewesen wäre

Jaffary stößt in ihrer Schule in Wien schließlich auf die Initiative "Lern Leo", bei der sie zweimal in der Woche Gratisnachhilfe erhält. Schnell verbessern sich ihre Leistungen in der Schule. Bis zur vierten Klasse des Gymnasiums besucht sie die Einrichtung, mit der sie viele gute Erinnerungen verbindet: Sie lernt dort ihre beste Freundin kennen und erinnert sich gerne an die warme Atmosphäre. "Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ohne das Lern Leo gewesen wäre", sagt sie heute.

Das Lern Leo gibt es seit zehn Jahren und richtet sich explizit an Kinder, deren Eltern sich keine private Nachhilfe leisten können. Viele von ihnen sprechen Deutsch nicht als Muttersprache und können ihre Kinder auch deswegen nur bedingt in der Schule unterstützen. Zweimal die Woche kommen Kinder zwischen sechs und 14 für ein paar Stunden und bekommen von ehrenamtlichen Helfern und Pädagogen Unterstützung bei den Hausarbeiten. Die Kinder erhalten vor Ort auch Stifte und Hefte. Speziell für Mädchen gibt es Workshops, in denen sie unterstützt werden, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Aktuell hat das Lern Leo drei Standorte in Wien.

Jeder investierte Euro zahlt sich aus

Forschende der Wirtschaftsuniversität Wien haben nun im Auftrag des Arbeiter-Samariter-Bundes analysiert, welchen Mehrwert das Projekt bringt. Das Ergebnis: Aus jedem in das Lern Leo investiertem Euro entsteht ein Gegenwert von 22,09 Euro. Das bedeutet: Der Nutzen, den das Projekt für Beteiligte hat, wie zum Beispiel verbesserte Deutschkenntnisse der Kinder, beträgt in Geld ausgedrückt 22,09 Euro pro jeden Euro, der in das Projekt fließt.

"Dieser hohe Wert hat mich total überrascht", erzählt Ökonom Christian Grünhaus, der die Studie geleitet hat. Normalerweise finde man solche hohen Werte vor allem bei der Analyse von Projekten, die in Entwicklungsländern durchgeführt werden. Der hohe Wert entsteht laut den Autoren der Studie, weil die Kosten für das Projekt vergleichsweise gering sind, die Wirkung aber groß. So sind die Kinder durch den größeren Bildungserfolg zum Beispiel beruflich erfolgreicher und benötigen deshalb später mit geringerer Wahrscheinlichkeit Unterstützung vom Staat.

Doch Projekte wie das Lern Leo sind letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn die Nachfrage nach kostenloser Nachhilfe ist groß. Zwanzig Prozent der Eltern wünschten sich im Schuljahr 2022/23 Nachhilfe für ihre Kinder, konnten sich diese aber nicht leisten, wie die Studie der Arbeiterkammer herausfand. Diesen Andrang bekommt auch Birgit Greifeneder zu spüren, die das Lern Leo leitet. "Durch die vielen Krisen ist der Bedarf extrem gestiegen – erst die Pandemie, die für die Schülerinnen und Schüler eine Katastrophe war, dann die hohe Inflation", sagt Greifeneder. Die Wartelisten seien lang, und es mache sie traurig, Kinder ablehnen zu müssen.

Für Ruqia Jaffary war die Nachhilfe ein Gamechanger. Sie studiert heute Kommunikationswirtschaft und sagt über sich selbst: "Ich bin sehr zielstrebig und möchte mich immer weiterbilden." (Milena Wurmstädt, 9.11.2023)

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