Uschi Ulrich
Uschi Ulrich holt 1976 zu einer Rückhand aus. In jungen Jahren verblüffte sie die heimische Tennisszene.
Picturedesk/Votava

Im Café Engländer kennt man Uschi Ulrich. "Sie werden von Frau Uschi erwartet", sagt der Ober zur Begrüßung und führt einen direkt zum Tisch der ehemaligen Tennisspielerin. Hier, in der Inneren Stadt von Wien, trinkt die 64-Jährige regelmäßig ihren Tee mit Milch. Dazu liest sie die Süddeutsche, die Zeit und, ja, auch den STANDARD. Diesmal hält Ulrich keine Zeitung in der Hand, sondern ein dickes Sammelbuch mit Fotos und Zeitungsausschnitten. Das Album im Ledereinband ist das Tor in eine vergangene, fast vergessene Tenniswelt.

"Erkennen Sie die zwei Frauen neben mir?", fragt Ulrich und deutet auf ein Schwarz-Weiß-Foto. Das geschulte Auge identifiziert auf der Stelle die junge Martina Navratilova, bei Nummer zwei stößt das Fachwissen an seine Grenzen. "Das ist Regina Maršíková, eine tolle Spielerin. Sie stand dreimal im Halbfinale von Paris. Leider war ihre Karriere durch einen Autounfall unterbrochen."

Als Zwölfjährige hatte Ulrich die Wiener Meisterschaften der unter Achtzehnjährigen gewonnen. Daraufhin tingelte das Mädchen durch die Welt, um sich mit den Besten zu messen. Der Kurier nannte sie "Uschi, die Vielversprechende".

Die kleine Sportskanone wuchs auf dem Tennisplatz auf. Die Mutter war eine begeisterte Hobbyspielerin, der Vater Vizepräsident des Wiener Athletiksport Club. In der Rustenschacherallee wurde Ulrich vom Ballschani zur Spielerin. "Ich war eine WAC-Spielerin mit Herz und Seele", erzählt Ulrich, "nicht wie diese Fußballer, die heute die Vereine wie die Unterwäsche wechseln." An der Seite der 19-fachen Staatsmeisterin Sonja Pachta gewann Ulrich im Alter von 13 Jahren das Damendoppel der Wiener Meisterschaften. Eine Sensation. "In drei Jahren könnte sie mich schlagen", mutmaßte Pachta damals. Und sie sollte recht behalten.

Underdog Down Under

Die große Stunde der Uschi Ulrich schlug 1978 bei den Australian Open. Damals wurde das Grand-Slam-Turnier noch auf Rasen im Kooyong Lawn Tennis Club ausgetragen. "Das waren andere Zeiten", erinnert sich Ulrich. In der Tat wäre die Tschickbude Marlboro als Hauptsponsor der Veranstaltung heute undenkbar. Ulrich trat im Doppel jedenfalls mit der Australierin Chris O’Neil an. Zum Auftakt gegen die als Nummer vier gesetzte Paarung Judy Chaloner / Patricia Gregg galt man als krasser Underdog. Ein beinahe aussichtsloses Unterfangen. Am Ende stand ein Sieg in drei Sätzen.

Auf Rasen hatte Ulrich bis dahin keine Erfahrungen gesammelt. In Down Under kam ihr Spielstil den Bedingungen aber entgegen. "Ich wollte immer so schnell wie möglich ans Netz", sagt Ulrich, "meine Stärken waren der Aufschlag und der Volley." Kein Nachteil im Doppel.

Nach einem weiteren Sieg standen Ulrich/O’Neil schließlich im Halbfinale von Melbourne. Große Bühne, großes Tennis. Gut, gegen die späteren Turniersiegerinnen Nagelsen/Tomanova war kein Kraut gewachsen, das Turnier behielt Ulrich "trotzdem in wunderschöner Erinnerung".

Partnerin O’Neil fand im Einzel mehr als nur Trost. Sie triumphierte als Nummer 112 der Weltrangliste und als erste ungesetzte Spielerin bei den Australian Open. Es sollte ihr einziger Titel im Profitennis bleiben. "Sie ist über sich hinausgewachsen und war eine Klasse besser als ich. Ich war nicht Weltklasse, aber ich habe immer mein Bestes gegeben." Knapp vierzig Jahre nach Karriereende möchte sich die Hallenstaatsmeisterin von 1979 beim Wiener und beim österreichischen Tennisverband für die Unterstützung bedanken: "Sonst wäre das alles nicht möglich gewesen."

Uschi Ulrich
Uschi Ulrich ist Stammgast im Café Engländer in Wien. Hier lässt sie die Seele baumeln. An den Tennissport denkt sie nur noch selten. Ihr Interesse gilt heute dem Reisen und der Kunst.
Philip Bauer

Mit 25 Jahren war dann Schluss mit dem Tennis. Ulrich hatte Erfolge gefeiert und Grenzen zur Kenntnis genommen. Sie legte das Racket ab und trat in den Betrieb ihres Vaters ein. Das Unternehmen ließ Handschuhe im Fernen Osten produzieren und verkaufte die Kleidungsstücke in Österreich an große Handelsketten. "Ich war immer viel unterwegs, zuerst im Tennis, dann im Betrieb und jetzt in der Pension." Die bevorzugten Destinationen sind Paris und New York, aber am schönsten sei es dann doch in Wien: "Hier schmeckt das Leitungswasser nicht nach Chlor."

Ulrich erzählt voller Enthusiasmus von ihrem Faible für die Werke von Mark Rothko, einem Vertreter der Farbfeldmalerei und des abstrakten Expressionismus. Sie liebt Streetfood in Bangkok und die Filme der französischen Schauspielerin Fanny Ardant. Ulrich ist ein Schöngeist. Den Tennissport verfolgt sie nur noch peripher. Wer die aktuelle Nummer eins bei den Frauen ist? "Keine Ahnung." Den Namen Novak Djokovic schon mal gehört? "Schon, ein toller Spieler. Das muss man erst mal hinkriegen. Aber mein Fall ist er nicht."

Esel für Kenia

Als Spielerin war Ulrich oft in Kenia unterwegs. Wenn es in Österreich Minusgrade hatte, schlugen die heimischen Tennis-Asse in Nairobi und Mombasa auf. Die Verbindung mit Land und Leuten ist geblieben. Jedes Jahr zu Weihnachten erwirbt die Wienerin über die Caritas fünf Esel. Die Lastentiere sollen schwer arbeitenden Frauen in Kenia den Alltag erleichtern. "Ich habe gutes Geld verdient, davon kann ich etwas weitergeben", sagt Ulrich. Sie trinkt ihren Tee mit Milch aus, schlägt das Fotoalbum zu und zieht zufriedene Zwischenbilanz: "Ich würde alles wieder so machen." (Philip Bauer, 26.12.2023)