Alexander Bismarck (li.), Peter Reichl (Mitte) und Wolfgang Kandioller.
Auch heuer findet wieder die traditionelle Weihnachtsvorlesung statt.
Xmas-Vorlesungs-Mastermind Peter Reichl (Mi.) bringt die Informatik ein, Alexander Bismarck (li.) und Wolfgang Kandioller (re.) steuern erstmals Chemie bei –und spezifische Expertise in Krampus- bzw. Santa-Claus-Kunde.
Inge Timea Dreyer

Noch zweimal schlafen, dann ist es wieder so weit: Im Carl-Auer-von-Welsbach-Hörsaal der Universität Wien geht das über die Bühne, worauf viele Studierende auch heuer wieder ungeduldig, neugierig und vorfreudig warten – die traditionelle, ja eigentlich ein bisschen legendäre Weihnachtsvorlesung (hier geht's zum Livestream), die der Informatiker Peter Reichl nun schon zum achten Mal organisiert. Heuer lautet der Titel "Chemical Cyber Christmas", es wird also ein cyber-chemikalisches Crossover zwischen wissenschaftlichen Disziplinen und Fakultäten, das Mastermind Reichl, Professor für Informatik und Leiter der Forschungsgruppe Cooperative Systems (Cosy) der Universität Wien, diesmal organisiert hat.

Was lustig und unterhaltsam klingt – und natürlich auch sein soll –, hat immer auch einen wissenschaftlichen und bildungs- bzw. gesellschaftspolitisch doppelten Boden. Denn der leidenschaftliche Hochschullehrer Reichl beschäftigt sich seit langem intensiv mit "Homo cyber" und der "Frage nach dem Menschen", nicht zuletzt in seinem neuen Buch "Homo cyber. Ein Bericht aus Digitalien" (Müry Salzmann 2023). Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat über das Buch des philosophieaffinen Informatikers geschrieben: "Mit 'Homo cyber' ist Peter Reichl ein großer Wurf über den Menschen im Computerzeitalter gelungen: kenntnisreich, fundiert, originell, verständlich und immer für eine Überraschung gut." Die deutsche Wochenzeitung "Der Freitag" rezensierte es als "ein philosophisch grundiertes, fachlich solides Traktat in guter aufklärerischer Tradition, launig formuliert, unterhaltsam und instruktiv".

Für seine ebenso unterhaltsame und instruktive Weihnachtsvorlesung holt er sich alljährlich Gleichgesinnte, die der Veranstaltung so viel Event-Charakter geben, dass heuer sogar die ORF-"Seitenblicke" vorbeischauen wollen. In diesem Jahr wird es dabei besonders interdisziplinär, mit inhaltlichen und personellen Zutaten aus der Informatik, der Physik (einschließlich des obligatorischen Krampus Werner Gruber) und erstmals auch der Chemie, vertreten durch Alexander Bismarck, den Leiter des Instituts für Materialchemie und -forschung an der Uni Wien, der für seine Disziplin als zweiter Krampus bei der Show auftreten wird, Wolfgang Kandioller, stellvertretender Vorstand des Instituts für Anorganische Chemie der Uni Wien, sowie Norbert Kandler, ebenfalls vom Institut für Anorganische Chemie, als umtriebiges Faktotum für alle Fälle. Sie alle werden Reichls "Santa Crew" verstärken.

Was also ist zu erwarten? Worauf darf das gespannte Auditorium hoffen für den 13. Dezember? DER STANDARD hat im Vorfeld mit Peter Reichl gesprochen.

STANDARD: Herr Professor, im vorigen Jahr widmeten Sie Ihre traditionelle Weihnachtsvorlesung dem großen Informatikpionier Alan Turing. Welche Legende wird denn heuer im Mittelpunkt Ihrer weihnachtlichen Mottoparty stehen?

Reichl: Nun ja, eigentlich feiern wir ja heuer den 400. Geburtstag des ersten digitalen Computers, der im Jahr 1623, also mitten im Dreißigjährigen Krieg, von dem Tübinger Hebräischprofessor Wilhelm Schickard gebaut wurde und gleich darauf einem Brand zum Opfer fiel. Das wäre aber schon von daher eine ziemlich hölzerne Angelegenheit geworden, und ganz ehrlich: Wenn schon, dann verbrennen wir in dieser Vorlesung lieber richtige Weihnachtsbäume.

STANDARD: Damit das nicht schiefgeht, haben Sie sich sicher wie in den Jahren davor physikalisch versierte Partner geholt, die so etwas kontrolliert ablaufen lassen können, oder? Langjährige Begleiterinnen und Begleiter Ihrer Weihnachtssause wissen, dass die befreundete Riege aus der Physik alljährlich eine wichtige Rolle spielt. Werner Gruber gab mehrfach den Krampus. Aber heuer deutet der Vorlesungstitel eher auf den Einsatz chemischer Substanzen, genauer: chemischer Substanz hin: Chemical Cyber Christmas. Was hat es damit auf sich?

Reichl: Ja, Interdisziplinarität ist ja in aller Munde, und das ist auch gut und richtig so. Dass es heuer so interdisziplinär zugeht, daran ist aber wie immer unser Weihnachtsmann schuld. Er wollte dieses Jahr endlich einmal pünktlich sein und hat sich daher einen dieser neumodischen selbstfahrenden Tesla-Schlitten besorgt, der allerdings in einer besonders steilen Kurve in die Leitplanken krachte. Daraufhin rief er seinen Kollegen aus der Chemie an, der Gott sei Dank samt Krampus für ihn einspringt (Anm. siehe Bild oben), was allerdings zu ungeahnten Verwicklungen führen wird. Eine unschätzbare Hilfe war uns dabei das Team TU Wien Racing, in dem Studierende mehrerer Hochschulen gemeinsam eine Art elektrischen Formel 1-Wagen entwickelt haben, mit sie schließlich unseren gestrandeten Santa abholten.

STANDARD: Ein Glück! Und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Informatik und Chemie?

Reichl: Wunderbar! Diese beiden Disziplinen sind geradezu ein Paradespiel dafür, wie wir uns in der Wissenschaft gegenseitig ergänzen könnten, wenn man nur will. Wir werden dies an einigen Beispielen demonstrieren. So habe ich etwa vor einigen Jahren die Programmiersprache "Hohoho" für die Santa-Claus-Rentier-Kommunikation entwickelt. Man muss diese Sprache nur ganz leicht modifizieren, damit man sie auch als chemische Formel lesen kann: H OH OH OH usw. Dazu kommt, dass wir nach langwieriger Forschungsarbeit im Periodensystem der Elemente eine seltene Erde namens "Holmium" entdeckt haben, die zwar zu fast nichts nütze ist, aber dafür die Abkürzung "Ho" trägt. All dies zusammen eröffnet völlig neue Perspektiven für die Implementierung eines "Hohoho"-Programms: Es funktioniert nämlich auf dem Laptop genauso wie im Reagenzglas.

STANDARD: Das ist erstaunlich. Mit Immanuel Kant gefragt: Was darf ich hoffen? Was dürfen Ihre Gäste hoffen? Wird das p. t. Publikum wieder einmal Zeuge eines für bislang unmöglich gehaltenen wissenschaftlichen Durchbruchs knapp vor Weihnachten?

Reichl: Ja, darf es! Das ist ja seit jeher mein Ziel als Hochschullehrer: Gerade in Zeiten einer umfassenden digitalen Transformation müssen wir der interessierten Öffentlichkeit möglichst hautnah vor Augen führen, wie und wohin sich digitale Technologie weiterentwickelt, und interdisziplinäres Arbeiten tut hier einfach not. Ein anderes Beispiel betrifft das Thema "Speicher und Alkohol": Unter der bewährten Leitung von Werner Gruber werden wir demonstrieren, wie man mithilfe von Gin ein oder sogar mehrere Bits speichern kann, während die Kollegen aus der Chemie vorführen, wie sich ein Bit durch Alkohol wieder löschen lässt. Oder nehmen wir den Bereich der Kommunikationsnetze, wo wir einen berühmten Internetstandard, der den Transport von IP-Paketen mithilfe von Brieftauben regelt, für Papierflieger weiterentwickelt haben und in der Praxis erproben werden.

STANDARD: Bleibt noch ein wichtiges Thema, das sicher viele, wenn nicht alle, besonders interessiert. Werden auch diesmal Vanillekipferl eine Rolle spielen? Die Suche nach dem perfekten Vanillekipferl beschäftigt Sie und Ihre Mitstreitenden ja nun schon seit Jahren. Man ist ja fast geneigt, mit Loriot zu sagen: Eine Informatik-Weihnachtsvorlesung ohne Vanillekipferl ist zwar möglich, wäre aber eigentlich, wenn wir ehrlich sind, sinnlos.

Reichl: Sie sagen es! Selbstverständlich, und hier bin ich den Kolleginnen und Kollegen aus der Chemie besonders dankbar. Sie haben nämlich ein innovatives opto-kalorisches Verfahren entwickelt, das eines der grundlegenden Probleme der Kipferlbackerei löst, indem es zuverlässig verhindert, dass die Vanillekipferl beim Backen verbrennen. Sie ahnen ja nicht, was mir damit für ein Keks vom Herzen fällt.

Das Plakat für die Chemical Cyber Christmas-Vorlesung.
Chemical Cyber Christmas 2023
Die traditionelle Informatik-Weihnachtsvorlesung der Universität Wien ist heuer ein Crossover mit chemischer Expertise.
privat

STANDARD: Gutes Stichwort. Darf man davon ausgehen, dass Sie nicht nur den intellektuellen und wissenschaftlichen Hunger Ihres in Weihnachtsstimmung befindlichen Auditoriums stillen werden, sondern auch die leibliche Dimension mitbedenken?

Reichl: Oh ja! Ab etwa 16 Uhr werden die Studierendenvertretungen für Informatik und Chemie, bei denen ich mich ausdrücklich für ihr fantastisches Engagement bedanken möchte, für etwas Vorglühwein sorgen, damit wir dann um 17 Uhr halbwegs nüchtern beginnen können. Und als musikalische Ehrengäste begrüßen wir den Chor "EnChoir" des Instituts für Anglistik und Amerikanistik der Uni Wien – er wird das Weihnachtsoratorium von Bach in einer Kürzestversion zu Gehör bringen. Everybody welcome – es wird spektakulär!

STANDARD: Na, da bleibt ja nur noch, Ihnen und allen, die mitmachen und die kommen werden, ein vergnügliches Chemical-Cyber-Christmas-Event an der Uni und schon jetzt schöne, erholsame Weihnachtstage zu wünschen! (Lisa Nimmervoll, 11.12.2023)