Bald fünfzig Jahre ist es her, dass Horst Bosetzky mit seinem Aufsatz über das "Don-Corleone-Prinzip in der öffentlichen Verwaltung" einen der wichtigsten organisationssoziologischen Texte veröffentlicht hat. Man hätte dem 2018 verstorbenen Wissenschafter gewünscht, dass er die Saga rund um Sebastian Kurz noch erlebt hätte. Ein besseres Studienobjekt als die "neue ÖVP" hätte er sich wohl nicht ausdenken können.

Sebastian Kurz und Thomas Schmid
Angeklagter und Zeuge: Sebastian Kurz und Thomas Schmid Montag im Straflandesgericht Wien.
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Gemeint ist damit nicht, dass Sebastian Kurz wie Don Corleone, der legendäre Pate aus den gleichnamigen Büchern und Filmen, Gewalt ausübt und Verbrechen begeht. Darum ging es Bosetzky bei seinem Vergleich auch nicht. Vielmehr fragte er sich, wie manche Personen innerhalb von Organisationen – also Parteien oder Behörden – unheimlich viel Macht anhäufen können. Seine Erklärung war, grob vereinfacht, dass es neben eindeutig erkennbaren Faktoren wie Autorität, Charisma oder Kompetenz auch unsichtbare Gründe dafür gibt. Etwa: ein Guthaben an Gefälligkeiten. Da kommt der Pate ins Spiel, der Bittstellern Wünsche erfüllt und meint: "Eines Tages, und dieser Tag wird vielleicht niemals kommen, werde ich dich bitten, mir dafür einen Gefallen zu tun."

Genau dieses Prinzip der Transaktionen und der gegenseitigen Abhängigkeiten offenbart Stück für Stück der Prozess gegen Sebastian Kurz. So lassen sich auch der Aufstieg von Thomas Schmid, einst selbst ein begabter Mini-Pate, und sein Verhältnis zu Kurz erklären.

Schmid verhandelte im Auftrag von Kurz hart mit der FPÖ, dafür bekam er "eh alles was du willst". Hartwig Löger, ein unscheinbarer Versicherungsmanager, wurde Finanzminister, dafür soll die faktische Entscheidungsgewalt weiterhin im Kanzleramt gelegen sein. Man gewährte manchen den prestigereichen Status als Aufsichtsratsmitglied der Staatsholding Öbag, dafür mussten die "auf Linie" sein.

Bis zu einem bestimmten Grad funktioniert Politik so, das ist klar. Ohne Verbündete wird man nicht weit kommen; schon gar nicht an den Ballhausplatz. Aber es wirkt so, als wären Abhängigkeiten und Gefallen nicht zwei Faktoren unter vielen, sondern die entscheidenden im System Kurz gewesen – und das war womöglich so peinlich, dass der damalige Kanzler im U-Ausschuss die Wahrheit beschönigt hat. Ob er sich damit strafbar gemacht hat, muss das Gericht entscheiden. Es schuldet Kurz jedenfalls keinen Gefallen. (Fabian Schmid, 11.12.2023)