Großer Bildschirm mit laufender Abstimmung im Saal der UN-Vollversammlung
Waffenstillstand in Gaza? Das Abstimmungsprozedere bei der UN-Vollversammlung am Donnerstag in New York.
Foto: AFP / Angela Weiss

Insgesamt 153 Ja-Stimmen, 23 Enthaltungen, (nur) zehn Gegenstimmen – darunter Israel selbst, die USA, Tschechien und eben auch Österreich: Eine derartige Einigkeit ist in der UN-Generalversammlung in hochpolitischen Fragen dieser Art eher selten. Selbst bei Russlands offensichtlich völkerrechtswidriger Aggression gegen die Ukraine haben im März 2022 weniger Staaten (141) für einen russischen Abzug aus der Ukraine gestimmt (bei sieben Gegenstimmen und 32 Enthaltungen).

Das mag für oder gegen die Weltgemeinschaft sprechen. Zum einen gilt Israel schon lange als eine Art gemeinsames Feindbild und als Sündenbock. Zum anderen kann man Israel deswegen keinen Persilschein ausstellen, weder im Gazastreifen noch sonst wo. Selbstverteidigung – die brutalen Massaker der Hamas sind, so scheint es zumindest, weitgehend in Vergessenheit geraten – rechtfertigt so einiges, aber eben nicht alles: "Die Realität in Gaza mit ihren unerträglichen Schmerzen und Traumata für die Überlebenden ist eine Katastrophe enormen Ausmaßes", wie mehrere UN-Experten es in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 16. November (!) formulierten. "Solch ungeheuerliche Verletzungen können nicht im Namen der Selbstverteidigung nach den Attacken vom 7. Oktober, die wir auf das Schärfste verurteilt haben, gerechtfertigt werden", hieß es weiter.

Österreichs Solidarität

Die UN-Generalversammlung verlangt dementsprechend eine "sofortige humanitäre Waffenruhe", "dass alle Parteien ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht" nachkommen und "die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln sowie die Gewährleistung des humanitären Zugangs". Ein kurzer Forderungskatalog, den Österreich weniger aufgrund seines (ohnehin knappen) Inhalts kritisiert als dafür, was eben nicht erwähnt wird: kein Verweis auf Israels Recht auf Selbstverteidigung, keine ausdrückliche Nennung der Hamas, keine Kritik daran, wie sie die Geiseln behandelt. Österreich hatte einen dahingehenden Abänderungsantrag eingebracht, dem auch 89 Staaten zugestimmt hatten.

UN-Vollversammlung fordert humanitäre Waffenruhe für Gaza
Der internationale Druck auf Israel wegen der Bombardierungen des Gazastreifens wächst. Die UN-Vollversammlung stimmte mit breiter Mehrheit für eine nicht bindende Resolution, die eine sofortige humanitäre Waffenruhe für das Palästinensergebiet fordert. Deutschland enthielt sich der Stimme.
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Für eine Annahme bedarf es allerdings einer Zweidrittelmehrheit, und Österreich hätte selbst dann zwar nicht dagegen, aber immer noch nicht dafür gestimmt (sondern sich enthalten). Die Solidarität mit Israel bei den Vereinten Nationen bleibt also uneingeschränkt gültig.

Das ist insofern auffällig, als mit Tschechien nur ein anderes EU-Land gegen die Resolution gestimmt hat. Bis auf Bulgarien, Deutschland, Italien, Litauen, Rumänien und Ungarn (die sich enthalten haben) war der Rest dafür. Die EU mag einmal mehr mit unterschiedlichen Stimmen gesprochen haben – aber jene, die einen Waffenstillstand fordert, war die lauteste.

Vergleich zur Schweiz

Aus österreichischer Sicht fällt neben dem Unterschied zur deutschen (Nicht-)Haltung ein weiteres Land auf: Die Schweiz, unser gutes altes Vorbild in Sachen Neutralität, hat ebenfalls dafür gestimmt. Dabei hatte sie in ihrer Stellungnahme auch die Terrorakte der Hamas verurteilt und Israels "Recht auf Sicherheit" betont – ein kleiner, aber durchaus relevanter Unterschied zu Österreich, das von Selbstverteidigung spricht.

Das hat einen Grund – ist dieses Recht bei Israel und der Hamas doch umstritten, weil es traditionell nur bei Angriffen von Staaten oder solchen, die zumindest "von außen" – also nicht aus besetzten Gebieten – zur Anwendung kommt. Die Schweizer Formulierung ist dementsprechend ein Kompromiss, auf den sich Österreich augenscheinlich nicht einlassen wollte.

Neutralitätspolitik ade (?)

Man sieht es einmal mehr, Österreich war und ist nicht "gesinnungsneutral". Beim Nahostkonflikt fällt aber die Kehrtwende zur früheren "Neutralitätspolitik" auf. Während Bruno Kreisky 1980 die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) diplomatisch aufgewertet und damit Israels Ärger auf sich gezogen hatte, fährt man heute einen direkt entgegengesetzten Kurs. "Keine Neutralität bei Terrorismus" lautet die Devise, verbunden mit sehr weit gehender, gar uneingeschränkter (?) Solidarität. Hinsichtlich einer Rolle als möglicher – unparteilicher – Vermittler macht man sich hier keine Illusionen (mehr).

So war Israels Flagge schon 2021 wegen der brenzligen Lage auf dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium gehisst worden. Sehr zum Unmut des Irans, der Türkei und arabischer Staaten – im Übrigen einer der wenigen Momente, in denen Österreich vonseiten anderer Länder an seine Neutralität erinnert wurde. Aber die soll, wie gesagt, bei Terror ja nicht gelten. (Ralph Janik, 16.12.2023)