Der serbische Präsident, Aleksandar Vučić, beherrscht die Kunst des öffentlichen Auftritts wie kaum ein anderer. Nach dem Wahlsieg seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) am vergangenen Sonntag rezitierte er das Lied vom großen Sieg seiner Partei und ließ sich bejubeln. In einem Moment explodierte es aber aus ihm heraus, als er jemanden im Publikum harsch wegen eines Kommentars zurechtwies. Da war er wieder – der dominante und aggressive Aleksandar Vučić, wie man ihn noch aus seiner Zeit als Informationsminister von Slobodan Milošević Ende der 1990erJahre und als Jünger des Kriegsverbrechers, seines Ziehvaters Vojislav Šešelj, kennt. Diese kurze Explosion von Sonntag ist jene diabolische Geste des selbstsicheren Despoten, der sich ein ganzes Land zu eigen gemacht hat.

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Der serbische Präsident Aleksandar Vučić kann einen Erfolg für seine Partei verbuchen. Auf den Straßen wird gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl demonstriert.
Foto: AP/Darko Vojinovic

Bei den vorgezogenen Wahlen am Sonntag trug die SNS einen absoluten Sieg davon und kann in den nächsten Jahren alleine regieren. Vučić und seine Anhänger feierten diesen Sieg gebührend. Nun drängen sich aber wichtige Fragen auf: Wer feiert hier was genau? Feiert man die eigene Fähigkeit, den politischen Wettbewerb im Vorhinein so stark einzuschränken, dass Vučić, der übrigens gar nicht zur Wahl stand, mehr als 90 Prozent der medialen Berichterstattung für sich beanspruchen konnte? Feiert man die logistischen Fähigkeiten der SNS, um massenweise Menschen aus der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina zu den Wahlurnen in Belgrad heranzukarren? Feiert man die eigene Fähigkeit zur Manipulation der Wahllisten? Oder doch die Fähigkeit des Regimes und der SNS, die mit 750.000 Mitgliedern zu den größten Parteien der Welt gemessen an der Bevölkerungsanzahl gehört, so viele Menschen mit Arbeitsplätzen und direkten Geldzahlungen im Vorfeld der Wahl kaufen zu können?

Weder fair noch frei

Die Antwort ist schlicht: ja! Das fein austarierte System der Manipulation der Wahl, des Betrugs und des Stimmenkaufs sucht seinesgleichen. Die Wahlen am Sonntag waren weder fair noch frei. Die Opposition, vor allem das regimekritische Bündnis "Serbien gegen Gewalt", hatte nie eine Chance. Vučić und sein Regime haben das verlogene Spiel der konsequenten Aushöhlung und Desavouierung der Demokratie mit scheinbar demokratischen Mitteln zur Perfektion gebracht.

Hat es Vučić diesmal zu weit getrieben? In den letzten Jahren war die Kritik am Umgang des Westens – der EU und der USA – mit dem Regime von Vučić enorm. Die Logik des Westens war getragen von der Annahme, dass Serbien wichtig für die Stabilität der Region sei und man deswegen vorsichtig mit ihm umgehen müsse. Das führt dann zu halsbrecherischen Verrenkungen, um das allzu Sichtbare des autoritären Regimes rhetorisch schönzufärben, so wie es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Belgrad tat, als sie noch vor wenigen Monaten Vučić lobte und große Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit hervorhob. Das ist und war kontraproduktiv und kann nur nach hinten losgehen. Pragmatisches Kuscheln mit europäischen Autokraten und Despoten – ob sie Aleksandar Vučić oder Viktor Orbán heißen – geht immer nach hinten los. So hat Vuč ić mit seiner Politik in Bezug auf den Kosovo die ganze Region in diesem Herbst fast in einen neuen Krieg gestürzt.

Nach dieser Wahl scheint sich der Wind aus dem Westen zu drehen, zumindest vorläufig. Nach dem Bericht der OSZE-Wahlbeobachtungskommission, in dem von "Missbrauch öffentlicher Mittel, der Einschüchterung von Wählern und Fällen von Stimmenkauf" berichtet wurde, meldete sich das deutsche Auswärtige Amt als Erstes mit einer klaren Ansage: "Das ist für ein Land mit EU-Kandidatenstatus inakzeptabel." Auch die EU war in ihren ersten Statements sehr vorsichtig, genauso wie die USA. Gratulationen an den "Freund Aleksandar" sind ausgeblieben, bisher gratulierten nur Ungarn, China, Russland, die Türkei und Aserbaidschan. Steuern wir auf eine längst überfällige Korrektur der westlichen stabilitokratischen Politik zu?

Gesellschaft der Angst

Im Land sieht es derzeit so aus, als ob viele Bürgerinnen und Bürger das Stehlen von Wahlen schlicht nicht mehr akzeptieren wollen. An jedem Abend seit der Wahl gab es Massenproteste vor dem Sitz der Wahlkommission in Belgrad. Diesmal sind auffallend viele junge Menschen da, denen die Wut und der Zorn über das Regime ins Gesicht geschrieben steht. Das Regime ist auch diesmal schnell zur Stelle – die mediale Hetze gegen Oppositionspolitiker und Menschen auf der Straße ist groß. Auch das brüderliche Russland souffliert aus Moskau und warnt davor, dass hier mit Unterstützung des Westens und der USA ein serbischer Euromaidan vorbereitet werde.

Serbien ist in den vergangenen Jahren zu einer Gesellschaft der Angst geworden. Ängste und Misstrauen werden seit einem Jahrzehnt vom Regime und seinen medialen Abstumpfungs- sowie Verdummungs- und Angstmaschinen erzeugt. Das Kultivieren dieser Emotionen und der Feindbilder bildet das Fundament des Regimes. Auf der anderen Seite herrschen Wut und Zorn über das Regime, bislang oft mit dem Gefühl der Ohnmacht vermischt – dies ist heute das Gefühl des anderen, anständigen Serbien. Verliert dieses andere Serbien nun vollends die Angst vor seinem Despoten? Vielleicht sind die jungen Menschen bei den Protesten in Belgrad Boten eines demokratischen Serbiens der Zukunft. (Vedran Džihić, 22.12.2023)