Demonstrierende mit Plakaten mit der Aufschrift
Wer ist eigentlich dieses Wir in der Klimadebatte? Und wie erreicht man jenen Teil der Bevölkerung, der sich nicht angesprochen fühlt?
Foto: Getty Images / Leo Patrizi

Beginnen wir mit zwei realen Begebenheiten, die sich nicht in der fernen Vergangenheit zugetragen haben, sondern tatsächlich im Herbst 2023. Erstens: Der Chefvolkswirt einer Bank erörtert Szenarien zur Wirtschaftsentwicklung im kommenden Jahr. Klimawandel, Migration und der Ausstieg aus fossilen Energieträgern kommen dabei nicht vor. Was man für einen bösen Scherz halten könnte, ist bitterer Ernst: Es gibt Leute, die die Wirtschaft verstehen wollen, ohne über das Wirtschaftliche hinauszudenken.

Dabei hat Friedrich August von Hayek schon vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass jemand, der nur Ökonom ist, kein guter Ökonom sein kann. Man könnte ergänzen: Wer nur Ökologin ist, kann keine gute Ökologin sein. Das führt uns zur zweiten Begebenheit: Auf einem hochkarätigen Event der Nachhaltigkeitscommunity wird das Publikum im Modus der Druckbetankung mit ökologischen Horrorszenarien konfrontiert, ohne dass auch nur ein Satz zum gesellschaftlichen Zustand der Welt fällt.

"Wer nur Ökologin ist, kann keine gute Ökologin sein."

Das Problem ist nicht, dass die Sorge vor ökologischen Desastern unbegründet ist. Nein, es liegt darin, dass man Warnungen vorm Untergang und Aufforderungen zur Umkehr seit Jahrzehnten hört und dass zwar nicht nichts passiert ist, aber eben doch deutlich zu wenig. Und das könnte daran liegen, dass die Ökos noch immer zu viel über die Umwelt und zu wenig über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen Transformation nachdenken.

Aber Moment mal – ist das nicht viel zu simpel beschrieben? Krankt diese Beobachtung nicht selbst an offensichtlicher Unterkomplexität? Nun, natürlich gibt es viele interdisziplinär denkende Umweltbewegte, und in der Wirtschaft sitzen immer öfter Leute an den Schalthebeln, die um die Relevanz sozial-ökologischer Themen für ökonomischen Erfolg wissen. Aber das ändert leider nichts am Gesamtbefund.

Grüner Populismus

Denn: Bei allen unbestreitbaren Fortschritten der letzten Jahrzehnte strotzt der Diskurs über Nachhaltigkeit nur so von "Lösungen", die soziologisch naiv, ökonomisch abwegig, psychologisch unplausibel oder politisch gefährlich sind und nicht selten all das gleichzeitig. Zugespitzt: Es gibt einen Ökologie-Populismus, der von ebenso fantasievollen wie praktisch unergiebigen Verbesserungsvorschlägen geprägt ist. Ihm steht ein Ökonomie-Populismus gegenüber, der von einem reichlich fantasielosen Glauben an Effizienz, Expansion und elaborierte Technik dominiert wird.

Fantasie ist ein unverzichtbarer Treibstoff für eine gesellschaftliche Transformation zur Nachhaltigkeit. Aber sie sollte halt nicht hermetisch von jeder gesellschaftspolitischen und ökonomischen Realität abgeschottet sein. Der Vorwurf, die Politik kümmere sich zu wenig um naturwissenschaftliche Erkenntnisse, ist richtig – aber er schmeckt reichlich schal, wenn Vorschläge zur Weltverbesserung von sozial-, wirtschafts- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen völlig unbeleckt sind.

Politik mit Hausverstand

Wenn allen Ernstes postuliert wird, "wir" hätten es in der Hand und "wir" könnten alles besser machen, wenn "wir" nur wollten, dann muss man fragen, wer dieses Wir sein soll – und wird auf die ernüchternde Erkenntnis stoßen, dass dieses vermeintlich nachhaltigkeitsaffine Kollektiv bestenfalls eine Fata Morgana ist und schlimmstenfalls ein Selbstbetrug von Leuten, die es besser wissen müssten. Wer an Nachhaltigkeit interessiert ist, kann sich nicht mit gut gemeinten Ideen zufriedengeben, sondern sollte für gut gemachte Handlungen und Unterlassungen streiten.

Gerade wenn man an einer nachhaltigen Entwicklung interessiert ist, muss man die Unerfreulichkeiten zur Kenntnis nehmen, die den eigenen Hoffnungen entgegenstehen. Wo das politische Spitzenpersonal wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und dies dann auch noch als eine "Politik des Hausverstands" verkaufen will, stehen die Zeichen schlecht für eine Verbesserung der Lage. Auch darf man sich klarmachen, dass ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung sich einen radikalen Klimawandelleugner als Kanzler wünscht und dass die EU in keinem Land so negativ gesehen wird wie hierzulande.

Beitrag zur Weltverbesserung

Wer all dies nicht zur Kenntnis nehmen will, wird zur Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse herzlich wenig beitragen. Und dann ist man bei Max Webers vielzitierter Aussage, Politik bedeute "ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich". Das mag altmodisch klingen, ist aber an Aktualität kaum zu überbieten.

Vielleicht ist der Jahreswechsel ein guter Anlass, das Bretterbohren als unverzichtbaren Beitrag zur Weltverbesserung anzuerkennen und bei der Gelegenheit die Breite der Bretter vor dem eigenen Kopf zu reflektieren. Zumal in einem Jahr, in dem das EU-Parlament, der Nationalrat, drei deutsche Landtage in AfD-Hochburgen und der US-amerikanische Präsident gewählt werden, sollte man sich weltfremde Ignoranz nicht erlauben – sondern die gesellschaftlichen Bedingungen ernst nehmen, unter denen Zukunftsfähigkeit, Wohlstand und Freiheit erreicht und gesichert werden sollen. (Fred Luks, 29.12.2023)