ORF-Anchor Armin Wolf hat Dienstagabend eine Augstein-Vorlesung an der Uni Hamburg genutzt, um sehr grundsätzlich und auch selbstkritisch zu erklären, "was wir besser machen könnten". Und vor allem, so der erste Teil des Titels, "warum öffentlich-rechtliche Medien nie wichtiger waren".

Wolf erklärt in dem Vortrag etwa, warum er sich mit dem Begriff "unparteiisch" inzwischen schwertue – und warum er "ergebnisoffen" und "unvoreingenommen" für treffender halte. Und er räumt ein, dass manche Gehälter und vor 30 Jahren geschlossene Verträge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk "diskussionswürdig" seien.

Wir bringen zusammenfassend Auszüge aus der Rede im Rahmen der Ringvorlesung "Sagen, was ist" aus Anlass des 100. Geburtstags von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein.

Armin Wolf bei einer Laudatio auf Paul Lendvai bei der Verleihung der Concordia-Preise 2022.
"Publikum nicht belehren": Armin Wolf, hier bei einer Laudatio auf Paul Lendvai bei der Verleihung der Concordia-Preise 2022.
APA Georg Hochmuth

Die digitale Ausgangslage zwischen Trump und QAnon

Armin Wolf zeichnet ein sehr umfassendes Bild von Journalismus und Medien in einer digitalen Welt. "Heute kann jede 16-jährige Schülerin mit ihrem Smartphone und einem Datenvertrag um ein paar Euro monatlich in ihrem Kinderzimmer ein Massenmedium gründen – das, gut gemacht, ein Millionenpublikum erreichen kann." Das gilt nicht allein für 16-jährige Schülerinnen, sondern auch für Menschen von Donald Trump bis QAnon. In einem "Meer von Propaganda, PR und Paranoia" stünden Demokratien, die auf der Idee von informierten Bürgerinnen und Bürgern beruhten, vor einem riesigen Problem: "Welchen Informationen können wir noch vertrauen? Was ist noch wahr? Auf Basis welcher Nachrichten können wir uns eine Meinung bilden?"

Seriöser Journalismus, der nach der bestmöglichen Version der Wahrheit strebt, widmet sich dieser Aufgabe. Aber professioneller Journalismus ist immer schwerer zu finanzieren – Werbeeinnahmen gehen mehr und mehr an internationale Digitalkonzerne, die Bezahlbereitschaft des Publikums für digitale News ist noch überschaubar.

Medien öffentlich finanzieren

Wolf: "Weil wir als Demokratien aber weiterhin eine pluralistische Medienlandschaft brauchen werden, könnte es sein, dass wir seriöse Medien irgendwann ähnlich finanzieren müssen wie seit jeher Theater, Museen oder Bibliotheken. Auch da haben wir als Gesellschaft mal die Entscheidung getroffen, dass wir diese Angebote wollen und brauchen, auch wenn sie sich 'am Markt' alleine nicht finanzieren können. Also finanzieren wir sie teilweise öffentlich und solidarisch. So wie wir auch den öffentlichen Rundfunk finanzieren. Und wenn das so kommt, wird die Frage der Unabhängigkeit von den öffentlichen Geldgebern natürlich absolut zentral. Dafür müssen überzeugende Modelle erst gefunden werden."

"Wenn eine Partei von einer Medienlandschaft wie bei Orbán träumt."

Denn: "Klar ist auch: Staatlich oder politisch gelenkte Medien sind genau das Gegenteil dessen, was eine aufgeklärte Demokratie braucht. Das lässt sich in den letzten Jahren absolut erschreckend in Ungarn und Polen beobachten. Selbstverständlich wäre kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk besser als diese Art von öffentlich-rechtlichem Rundfunk, der von autoritären Staatsführungen zu einem reinen Propagandawerkzeug degeneriert worden ist. Deshalb ist es auch so alarmierend, wenn die rechte FPÖ in Österreich ankündigt, dass sie im Fall einer neuerlichen Regierungsbeteiligung den ORF von einem Beitragssystem auf eine Staatsfinanzierung umstellen, also de facto verstaatlichen wird. Ganz besonders, wenn das eine Partei sagt, die von einer 'Medienlandschaft wie bei Orbán' träumt."

Für öffentlich-rechtliche Medien habe Unabhängigkeit eine besondere Dimension. Sie berichteten über jene politischen Akteurinnen und Akteure, die zugleich, stellvertretend für die Öffentlichkeit, die Aufsicht über öffentlichen Rundfunk organisieren. Vom österreichischen Verfassungsgerichtshof, der im Herbst Teile der Bestellungsregeln für die ORF-Gremien als zu regierungsnah aufgehoben hat, hat sich Armin Wolf mehr erwartet: Die Entscheidung sei "leider weniger klar" ausgefallen, als er gehofft habe. Denn, so der ORF-Anchor: "Öffentlich-rechtliche Medien, die vertrauenswürdige Information liefern sollen, müssen möglichst unabhängig von der Regierung und der Politik organisiert sein."

"Wir können nicht unparteiisch sein bei der Frage, ob der Klimawandel existiert oder nicht."

Ein gängiger Begriff unter den Anforderungen an öffentlich-rechtlichen Rundfunk bereitet Wolf Probleme: "Schwer tue ich mich mittlerweile – leider – mit dem Wort 'unparteiisch'. Dabei bin ich grundsätzlich ein großer Fan unparteilicher Berichterstattung. Es ist nicht die Aufgabe öffentlich-rechtlicher Journalist:innen, die Steuerideen, Bildungskonzepte oder andere Reformvorschläge der einen oder anderen Partei zu promoten. Aber wir können nicht unparteiisch sein bei der Frage, ob der Klimawandel existiert oder nicht. Ob Donald Trump vom 'deep state' der Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2020 gestohlen wurde. Ob Putin ein 'lupenreiner Demokrat' ist oder Ungarn eine funktionierende Demokratie."

Der "ZiB 2"-Moderator verwendet daher "lieber Begriffe wie unvoreingenommen und ergebnisoffen: Journalistinnen und Journalisten sollten – unabhängig von unseren persönlichen politischen Standpunkten – an Recherchen herangehen wie seriöse Wissenschafterinnen und Wissenschafter an ihre Forschung: Mit der stetigen Bereitschaft, ja sogar mit dem Bestreben, unsere Ansichten und Thesen zu einem Thema durch neue Erkenntnisse zu falsifizieren. 'The best obtainable version of the truth' eben", verweist Wolf auf die Journalismusdefinition von Watergate-Aufdecker Carl Bernstein: die bestmögliche Version der Wahrheit.

"Wir müssen offener, zugänglicher, selbstkritischer werden."

Die Verteidigung ihrer Unabhängigkeit sei für Wolf "eine zentrale Aufgabe" öffentlich-rechtlicher Medien. "Aber damit ist es längst nicht getan. Wir müssen auch offener, zugänglicher und selbstkritischer werden", sagte der ORF-Anchor in seinem Augstein-Vortrag am Dienstagabend.

"Gehälter diskussionswürdig"

Wolf: "Wir müssen uns Kritik stellen. Der berechtigten Kritik sowieso. Natürlich könnten wir oft sparsamer produzieren – also wir im ORF kaum mehr, aber wir bekommen auch nur etwa achteinhalb Prozent der Gebühreneinnahmen von ARD und ZDF und produzieren heute mit sehr viel weniger Personal und sehr viel weniger Geld deutlich mehr Programm als vor zehn oder 15 Jahren. Aber natürlich sind Anstellungsverträge, die vor 30 Jahren geschlossen wurden, heute nicht mehr zeitgemäß und manche Gehälter diskussionswürdig. Es geht eben auch um Symbole."

Mit Blick auf die vielen Landesanstalten in Deutschland sagt der ORF-Mann: "Wir müssen nachvollziehbare Fragen beantworten. Ich kenne mich in Deutschland zu wenig aus, aber ich vermute, dass es gute Gründe dafür gibt, wenn mehrere Landesanstalten inhaltlich ähnliche Sendungen produzieren, wenn ZDF und ARD nebeneinander Auslandsbüros betreiben oder getrennte Mediatheken. Aber diese guten Gründe und Antworten müssen auch offensiv gegeben werden."

"Auch unberechtigter Kritik stellen"

"Und auch der unberechtigten Kritik sollten wir uns stellen", erklärt Wolf: "Ich habe damit in vielen Diskussionen gute Erfahrungen gemacht. Natürlich gibt es Menschen, die man nie überzeugen kann, aber sehr oft kann man Menschen sehr viel erklären. Das ist übrigens alles zeitaufwändig und anstrengend und mühsam – und unser Leben in der Anstalt war einfacher, als das alles noch nicht notwendig war, weil wir einfach gesendet haben und niemand zurückreden konnte. Aber wir gehören der Öffentlichkeit und müssen uns, glaube ich, der Öffentlichkeit stellen."

"Was wir gar nicht mehr dürfen, ist unser Publikum belehren"

Aber es gibt auch No-Gos in Wolfs Befund: "Was wir gar nicht mehr dürfen, ist unser Publikum belehren." Auch wenn Bildung, bei der BBC Erziehung, zu den zentralen historischen Aufgaben zählt, neben Information und Unterhaltung.

Nicht zu belehren "ist leider keine triviale Aufgabe". Denn: "Manche Menschen empfinden nämlich auch Fakten, die ihnen nicht gefallen, sehr schnell als Belehrung. Nur weil ich weiß, dass wir das besser machen müssen, weiß ich noch nicht unbedingt, wie es besser geht."

Wolf rät zu mehr lösungsorientiertem "Constructive Journalism": "Nicht um irgendeine Art von 'Wohlfühljournalismus' zu betreiben, sondern weil wir mit diesen Recherchen gesellschaftlichen Nutzen stiften können. Public Value im besten Sinn. Und weil wir damit auch der immer stärkeren "news avoidance", der Nachrichtenvermeidung, entgegenwirken."

Der ORF-Anchor verteidigt breit die Programmierung des ORF und anderer öffentlich-rechtlicher Sender: "Wenn wir von allen finanziert werden, müssen wir auch möglichst für alle Programm anbieten." Einer Reduktion auf ein ergänzendes Angebot zu Privaten lehnt er ab: "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk nur darauf zu reduzieren, was private Anbieter nicht leisten können oder wollen, wäre ein dramatisch falsches Konzept. Es wäre das PBS-Modell, das des Public Broadcasting-Service in den USA. Ein tolles, hochgescheites Programm, das leider sehr wenig gesehen wird. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk darf gerne spitz sein und Nischen bedienen, vor allem aber muss er breit und relevant sein und möglichst viele Menschen erreichen. Broadcasting. Rundfunk, nicht Spitzfunk. Ein Angebot für alle."

Und Wolf erklärt die Präsenz öffentlich-rechtlicher Angebote in Social Media: Für Angebote "müssen wir übrigens auch dorthin gehen, wo's wehtut". Auch wenn diese Plattformen mit "supereffizienter Bewirtschaftung von Emotionen, Empörung und Ressentiment innerhalb weniger Jahre den öffentlichen Diskurs ernsthaft versaut" hätten. Diese Plattformen nutzten 70 Prozent der Bevölkerung "und fast 100 Prozent der Jungen".

Wolf: "Das Publikum ist ohnehin auf sozialen Medien, egal, ob wir auch dort sind. Aber wenn wir ein Rundfunk für alle sein wollen, müssen wir mit seriösen Angeboten dorthin, wo das Publikum ist. Auch das ist heute Teil der medialen Grundversorgung." Und: "Wir dürfen Abermillionen Menschen auf Social Media nicht nur den Propagandisten, Predigern und Profitmaximierern überlassen." (fid, 10.1.2024)

Das Video von Armin Wolfs Vortrag in Hamburg:

Dr. Armin Wolf: Warum öffentlich-rechtliche Medien wichtig sind - und was wir besser machen könnten
Warum öffentlich-rechtliche Medien nie wichtiger waren – und was wir besser machen könnten Dr. Armin Wolf, stv. Chefredakteur und Fernsehmoderator des ORF "Öffentlich-rechtliche Medien wurden einst gegründet, weil es zu wenige Kanäle gab. Heute brauchen wir s
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