Sie versuche, möglichst nicht aufzufallen. Zu oft habe sie sich rechtfertigen müssen. Zu oft hätten ihr die Leute erzählt, dass ihre vegane Ernährung ungesund sei oder gar gefährlich. Etwa die Trainerin im Fitnesscenter: "Sie meinte, dass alle Veganerinnen und Veganer Löcher im Darm haben", erzählt eine junge Frau. Meistens stößt sie aber vor allem auf viel Unverständnis: "Esse ich ein Sojaschnitzel, kommt: 'Wenn dir Fleisch ja anscheinend so gut schmeckt, warum isst du dann keines?'" Oft höre sie auch das Argument, dass rein pflanzliche Ernährung für den Klimaschutz "eh nichts bringt". In solchen Situationen fühle sie sich dann als "eine Botschafterin eines veganen Lebensstils", sagt die Mittdreißigerin. "Dabei möchte ich einfach nur in Ruhe gelassen werden."

Zwiebel; Knoblauch, Tomaten, Karotten
Offenbar leben inzwischen rund fünf Prozent der Menschen in Österreich vegan. Das zeigt der Smart Protein European Customer Survey aus 2023 – eine Studie, die das Ernährungsverhalten der Europäerinnen und Europäer analysierte.
Robert Newald Photo

Als "Ersatzreligion" abgetan

Der Streit über die richtige Ernährung wird aber nicht nur an den Esstischen ausgetragen, er ist auch politisch. Das zeigte zuletzt die harte Debatte über eine vegane Kochlehre. Heimische Spitzenköche hatten darum über Jahre vergeblich gerungen, Joachim Ivany, der die Grünen in der Wirtschaftskammer Wien vertritt, stellte im vergangenen Jahr einen Antrag. Doch Funktionäre stemmten sich dagegen. "Was, bitte, sollte ein veganer Koch drei Jahre lang lernen?", meinte etwa Mario Pulker, Österreichs oberster Gastronomievertreter. Seine Meinung: Die Ausbildung werde verwässert und das Niveau gesenkt. Andere argumentieren, man nehme jungen Menschen die Chancen, sich weiterzuentwickeln und international zu reüssieren.

Nicht immer verläuft die Diskussion gesittet. Veganismus wird zuweilen als eine "Ersatzreligion" bezeichnet – oder es heißt, Menschen, die vegan leben, hätten "keine echten Probleme". Gerade im Netz sind solche Meinungen zu lesen. Wie weit die Ablehnung gehen kann, zeigt das Beispiel der "Veganen Fleischerei" in Dresden. Als das Geschäft vor einem Jahr eröffnete, ernteten die Besitzer viel Hass und sogar Morddrohungen. Per Mail habe sich ein Mann gemeldet, der sich "'ein baldiges Ableben unseres sinnlosen Daseins' gewünscht hat", erzählt Mitgründer Nils Steiger. Negatives Feedback komme aus allen Ecken in Deutschland, Österreich, der Schweiz und sogar Holland.

Aber auch unter Veganerinnen und Veganern gibt es jene, die schwere Geschütze auffahren. So etwa die vegane Aktivistin Raffaela Raab, die als "Militante Veganerin" in den sozialen Medien und auf der Straße gegen das Fleischessen wettert – ihre Aussagen sind äußerst streitbar. Auf einem Foto auf ihrem Instagram-Kanal, wo ihr 55.700 Menschen folgen, setzt sie Tierhaltung mit der Versklavung von Menschen gleich. Nichtveganer seien "Tierversklaver". Auf der Straße spricht Raab die Passantinnen und Passanten direkt an, mit aufgeregter Stimme: "Wenn ich hier eine Kuh trete, dann würdest du wahrscheinlich einschreiten. Gleichzeitig zahlst du andere dafür, Tiere in Stücke reißen zu lassen!"

Warum emotionalisiert das Thema Essen so sehr?

Neues führt zu Konflikten

Anna Durnova ist Professorin für Politische Soziologie an der Universität Wien. Eine Erklärung ist für sie, dass vegane Ernährung in Österreich immer noch ein Phänomen einer Minderheit ist und vergleichsweise neu. "Immer, wenn etwas Neues in eine Gesellschaft integriert wird, kommt es zu Konflikten." Gewohnheiten spielten dabei eine zentrale Rolle. Denn wie und womit wir aufwachsen, prägt uns. Es entscheidet darüber, welchen Lebensstil wir später für richtig halten – und welchen wir ablehnen.

Essen; Gemüse; junge Frau; Veganismus
Tatsächlich sind vegan lebende Personen eher Frauen und politisch links gerichtet. Aber natürlich entscheiden sich auch andere für eine vegane Ernährung.
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Verstärkt werde Veganismus durch die Individualisierung der Gesellschaft. In einer individualisierten Gesellschaft würden Menschen eher ihren eigenen Weg gehen – ob das nun bedeutet, eine gewisse Frisur zu haben, bestimmte Musik zu hören oder eben gewisse Dinge zu essen oder auf sie zu verzichten. Wo sich nun die einen für eine pflanzliche Ernährung entscheiden, sehen andere Traditionen bedroht, so Durnova. Denn die Küche in Österreich ist traditionell "eine sehr fleischlastige". Eine Veränderung mache auch immer Angst, besonders älteren Generationen. "Sie wollen am liebsten alles so weitermachen, wie sie es immer schon gemacht haben."

"Immer wenn etwas Neues in eine Gesellschaft integriert wird, kommt es zu Konflikten." (Anna Durnova, Soziologin)

Doch es geht längst um mehr als ums Essen selbst. Die britische Sozialwissenschafterin Mary Sanford hat zu Onlinediskursen nachhaltiger Ernährungsweisen geforscht und tausende Social-Media-Postings aus dem Jahr 2019 analysiert. Damals verkündete die britische Bäckereikette Greggs, von nun an auch vegane Sausage-Rolls anzubieten. Doch nachdem Fernsehmoderator Piers Morgan im Frühstücksfernsehen die vegane Variante des britischen Traditionsgebäcks in einen Mistkübel gespuckt hatte, führte der Snack zu einem regelrechten Shitstorm.

"Ein Hippie-Unsinn"

Nicht immer ging es dabei um die Wurst. "Viele tun Veganismus als woken, linken Hippie-Unsinn ab", sagt Sanford zum STANDARD. Andere sehen im steigenden Angebot veganer Produkte sogar den Beweis der Existenz einer "globalen Elite", die Ernährung der Massen kontrollieren wolle. Vegan lebende Personen werden oft mit einem bestimmten Typ Mensch assoziiert: jung, politisch links gerichtet, eher weiblich – der Eindruck deckt sich mit Studien, auch wenn Veganismus die Nische längst Richtung Mitte der Gesellschaft verlassen hat.

Doch mit dem Image, das dem Veganismus nach wie vor anhaftet, kämpfen auch Unternehmen. "Ich bin keine Vegetarierin, aber ich liebe Veggie", bewarb die US-Schauspielerin Gwyneth Paltrow die Spar-Eigenmarke Veggie. Subtext: Du kannst diese Produkte auch kaufen, ohne einer von "ihnen" zu sein. Im englischen Sprachraum weichen Hersteller veganer Produkte wohl auch deshalb immer öfter auf den Begriff "plant-based" aus.

Fleisch; Gabel; Grillen
Fleisch sei lange Zeit ein Symbol für Wohlstand und auch für Männlichkeit gewesen.
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Eine Frage der Moral?

Dabei sind die Fakten klar: Wer sich vegan ernährt, vermindert Tierleid, verbraucht weniger Ressourcen, spart Treibhausgase und lebt tendenziell gesünder. Das wissen auch jene, die Fleisch essen.

Aber genau das könnte eine bedeutende Rolle bei der Ablehnung einer pflanzenbasierten Ernährungsweise spielen. Der Ernährungspsychologe Christoph Klotter erklärt die Wut auf Veganerinnen und Veganer mit dem "Meat-Paradox". Durch die vegane Lebensweise anderer müssten Fleischessende ihre eigene infrage stellen. Die allermeisten seien keine Tierfeinde. Ebenso sei ihnen bewusst, dass ihr Fleischkonsum probematisch ist – nur verdrängten sie das erfolgreich. So machen sie zwei unvereinbare Ansichten für sich vereinbar. "Das, was unangenehm ist, was stört, das wird weggeschoben." Ist jemand anderer konsequenter, funktioniere dieser Mechanismus allerdings nicht mehr. "Das verursacht Stress – und Wut", sagt Klotter im Interview mit dem deutschen Focus.

Fleisch und Status

Für den Psychologen spielt auch die Angst vor Statusverlust eine Rolle. Früher sei Fleischessen für Wohlstand gestanden, für Männlichkeit. Dass das nun alles nicht mehr gelten soll, ist für viele schwer zu nehmen. Die Reaktion sei Trotz.

Dass umgekehrt manche Veganerinnen und Veganer so aufbrausend sind, habe wiederum mit Schuldfragen zu tun. Während sich die Veganerin als moralisch überlegen sieht, weil sie nichts Tierisches isst, macht sich der Fleischessende in ihren Augen schuldig. "Deshalb kommt es auch vonseiten der Veganer zu Anfeindungen und zu Missionierungseifer", sagt Klotter.

Könnte es irgendwann sein, dass Fleischessen in weiten Teilen der Gesellschaft verpönt ist? Und Veganismus akzeptiert? Sichere Prognosen könne man dazu natürlich nicht abgeben, sagt Soziologin Durnova, aber: "Ich halte das für nicht unwahrscheinlich. Die Zivilisation hat sich immer verändert, und es passiert auch, dass sich Bräuche ändern." Gerade in Zeiten des Klimawandels sei es wichtig, den Fleischkonsum zurückzufahren. Dafür sei jedoch auch die Politik gefragt, eine Richtung vorzugeben. Nicht gelungen sei das bei der veganen Kochlehre, "wo man für eine zukünftige Generation gesprochen hat, die die Ausbildung vielleicht brauchen wird". Aber auch die Preispolitik spiele eine Rolle, denn derzeit müsse man sich eine vegane Ernährung auch leisten können. Immerhin sind viele Ersatzprodukte teurer als Fleisch.

Essen wird wohl immer politisch bleiben. Es ist mehr als Nahrungsaufnahme, es stiftet auch Identität. Am Ende ist die Entscheidung für oder gegen tierische Produkte immer eine höchstpersönliche. Doch wenn es immer mehr Menschen gibt, die sich dafür entscheiden: Vielleicht wird vegan in Zukunft ein bisschen mehr wurst sein. (Lisa Breit, Philip Pramer, 21.1.2024)