Am Montagvormittag präsentierte Werner Kogler, Bundessprecher der Grünen, Lena Schilling als Spitzenkandidatin zur EU-Wahl.
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Der Stil erinnert an die Transparente von Fridays for Future: Auf einem blauen Stoff, handbemalt mit gelben Sternen verziert, ist der Spruch zu lesen: "Weil's um unsere Zukunft geht." Was man nicht sieht: Aufsteller im Hintergrund, wie man sie von Parteipressekonferenzen kennt. Auch keine Grünen-Logos blitzen hinter Werner Kogler und Lena Schilling auf. Lange gab es bereits das Gerücht, am Montag machte es der Bundessprecher der Grünen und Vizekanzler fix: Die 23-jährige Klimaaktivistin wird Spitzenkandidatin bei den EU-Wahlen am 9. Juni.

Für Schilling ist die Kandidatur der Sprung von der Straße in die Politik. Eine "Berufspolitikerin" will sie aber nicht sofort werden.

STANDARD: Über Ihre Kandidatur wurde lange spekuliert. Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, tatsächlich anzutreten?

Schilling: Als Klimaaktivistin bin ich fünf Jahre auf die Straße gegangen. Wir haben in 150 Ländern zu Millionen gestreikt. Wir haben demonstriert, Petitionen und Volksbegehren gestartet. Wir haben Baustellen besetzt und Kohlegruben. Wir haben Baumhäuser gebaut, um Wälder zu besetzen. Die Frage war: Was ist der nächste Schritt? Was wir noch nicht versucht haben: dahin zu gehen, wo die Machthebel sind, wo die Klimawende und soziale Gerechtigkeit blockiert werden – in die Politik. Der Rechtsruck in Europa war definitiv auch ein Grund. Meine Kandidatur ist eine Kampfansage an Rechtspopulisten und Rechtsextreme. Außerdem: Ich will ein Gegenbild zu den vielen alten Männern sein, die bei dieser Wahl antreten – und als junge Frau in die Politik gehen.

Kurz nach der Bekanntgabe ihrer Kandidatur gibt Lena Schilling schon Interviews.
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STANDARD: Was wollen Sie dem Erstarken der rechten Parteien entgegensetzen?

Schilling: Eine andere Perspektive von Zukunft bieten. Wir haben die Bilder aus Italien gesehen, wo Hunderte auf offener Straße den Faschistengruß zeigen. Wir haben ein Treffen in Potsdam mitbekommen, bei dem AfD und Identitäre darüber reden, wie man Staatsbürger und Staatsbürgerinnen deportieren kann. Das sind Herbert Kickls Freunde. Die FPÖ distanziert sich nicht, sie klatscht Beifall. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem man klar sagen muss: Das geht sich nimmer aus. Es war mir wichtig, eine laute Stimme zu sein und zu sagen: Rechte Politik macht das Leben für uns alle de facto schlechter. Rechte Politik schadet Frauen. Sie sorgt dafür, dass Sozialleistungen gekürzt werden, Krankenkassen angegriffen werden, Korruption stattfindet. Schauen wir nur in die Vergangenheit unseres Landes.

STANDARD: Ist das EU-Parlament der richtige Ort, um Ihre Politik umzusetzen?

Schilling: Gerade beim Klimaschutz: Ja. Auf EU-Ebene werden fast 80 Prozent der Gesetze entschieden. Und gerade jetzt steht zum Beispiel das Nature Restauration Law an. Da geht es um Renaturierung der Böden, das ist total wichtig für Biodiversität. Das kling komplex, aber im Grunde geht es nur darum, die Artenvielfalt zu sichern. Das ist der Boden, auf dem wir stehen. Da kommt unser Essen her. Auch das Lieferkettengesetz ist EU-Materie. Also ja, ich glaube, das EU-Parlament ist genau der Ort, wo man hinmuss. Dort, wo die großen Hebel liegen, um dort mal ein bissl Wirbel reinzubringen.

STANDARD: Die EU-Wahl ist traditionell eine Wahl mit eher geringer Wahlbeteiligung. Wie könnte man vor allem junge Menschen noch besser erreichen?

Schilling: Auf EU-Ebene werden Entscheidungen getroffen, die unser Leben jeden Tag beeinflussen. Also bringen wir es doch mal auf den Boden: Was in unseren Supermarktregalen steht, wie wir von A nach B kommen – all das sind Fragen, die auf EU-Ebene diskutiert werden. Wir dürfen nicht von denen in Brüssel reden, sondern wir sind als Österreich Teil der Europäischen Union. Deswegen ist auch das, was dort entschieden wird, wichtig für uns. Ich würde gerne dafür stehen, dass Menschen mehr mitreden können, ich will zuhören. Ich will eine andere Perspektive einbringen.

Die Klimakrise als Fluchtgrund? Es sei schon jetzt so, dass beim Wegfall von elementaren Lebensgrundlagen Schutz erteilt wird, sagt Lena Schilling. In Zukunft werde sich diese Frage häufiger stellen.
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Wenn Lena Schilling über ihre Leibthemen spricht, kommt sie in Fahrt. Sie versucht sich kurz zu halten. Scheitert. "Ich beginn' schon so wie der Werner ewig herumzuschwurbeln, bis wir zum Punkt kommen", sagt sie und lacht. Dass "der Werner" sie als Spitzenkandidatin wollte, ehrt sie. Auch wenn sie nicht die erste Wahl für den Job war: Die Ministerinnen Leonore Gewessler und Alma Zadić sollen eine Kandidatur ausgeschlagen haben. Allerdings: Der grüne Bundeskongress Ende Februar muss sie erst noch zur EU-Spitzenkandidatin wählen. Zumindest der Bundesvorstand und die Landesspitzen sollen sich laut Kogler bereits für die Kandidatur ausgesprochen haben.

STANDARD: Sie wurden als Spitzenkandidatin verkündet, aber müssen vom Bundeskongress der Grünen gewählt werden – wie basisdemokratisch ist dieses Vorgehen?

Schilling: Am 24. Februar werden die Grünen über meine Bewerbung abstimmen. Ich werde in den nächsten Wochen mit ihnen diskutieren, und wir werden sehen, wo wir zusammenkommen und wo es Streitpunkte gibt. Aber ohne gefragt zu werden und ohne die Empfehlung des Bundesvorstands hätte ich mich nie beworben.

STANDARD: Sie haben die Grünen immer wieder angegriffen. Werden Sie sich mit der Kritik nun zurückhalten?

Schilling: Ich habe einen starken Standpunkt und eine klare Meinung, und die werde ich auch weiter zum Ausdruck bringen. Es ist eine Stärke, dass die Partei, die ich so lebhaft kritisiert habe, bereit ist, mich zur Spitzenkandidatin zu machen. Das zeigt eine ziemliche Kritikfähigkeit. Bei der ÖVP wirst du heimgeschickt, wenn du eine eigene Meinung hast. Wenn unsere Demokratie und Gesellschaft in Parlamenten organisiert werden, muss man sich irgendwann für eine Partei entscheiden. Mit der SPÖ bin ich bei der Stadtstraße ziemlich aneinander gekracht. Die ÖVP hat in dieser Regierungszeit bewiesen, dass sie den Klimaschutz zurückdrehen will. Und die FPÖ halte ich für eine Gefahr für unsere Demokratie. Herbert Kickl ist auf du und du mit dem Rechtsextremismus. Ich habe die Partei gewählt, von der ich weiß, dass sie Klimaschutz ernst nimmt. Ich werde in Zukunft genauso tatkräftig und mutig Sachen ansprechen und versuchen, diese zu verändern.

STANDARD: Sie wechseln vom Aktivismus in die Politik. Fürchten Sie manchmal, den Rückhalt der Klimabewegung zu verlieren?

Schilling: Ich bin nicht ab morgen Berufspolitikerin, habe keine Parteifunktion. Ich trete als Aktivistin an, als Kandidatin, die sehr klar gemacht hat, für welche Themen ich stehe und was ich repräsentiere. Ich habe mir im Vorfeld die Unterstützung von der Klimabewegung geholt und mit vielen Freundinnen und Freunden geredet und ihnen gesagt, wenn ihr merkt, dass ich mich groß verändere, wenn ihr merkt, dass Dinge schieflaufen, dann sagt mir das. Ich will kritische Rückmeldung. Ich habe schon ein sehr großes Verantwortungsgefühl.

Lena Schilling hat die Unterstützung der Klimabewegung, sagt sie.
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Für den Listenplatz zwei der Grünen kandidiert Thomas Waitz, der bereits Erfahrung auf dem EU-Parkett und in der Außenpolitik gesammelt hat. Die Grünen sind derzeit mit drei Mandaten im EU-Parlament vertreten. Man müsse als Spitzenkandidatin nicht Expertin für alles sein, sagt Schilling. Besonders dann, wenn man im Team antritt. Positionen hat sie aber auch abseits der Klimapolitik.

STANDARD: Auch im Team wird man um gewisse Themen aber nicht herumkommen. Innerhalb der EU, aber auch in Österreich wird etwa die Asylpolitik heiß diskutiert ...

Schilling: Die Emotionen kochen bei dem Thema so extrem hoch. Das führt oft dazu, dass Dinge verdreht und Angst geschürt wird. Das Recht auf Asyl ist relativ eindeutig: Menschen, die vor Krieg flüchten, die um ihr Leben fürchten, sollen in Sicherheit sein. Vergangenes Jahr sind mehr als 2.700 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Das finde ich sehr arg, die Bilder aus den Flüchtlingslagern sind total schockierend. Ich würde lieber darüber diskutieren, wie sichere Fluchtrouten funktionieren könnten, als darüber, ob wir Menschen, die vor Krieg flüchten, aufnehmen. Wir haben im Angriffskrieg gegen die Ukraine gesehen, wie solidarisch wir sein können.

STANDARD: Sollten auch Klimaflüchtlinge ein Recht auf Asyl bekommen?

Schilling: Es ist auch jetzt schon so, dass beim Wegfall von elementaren Lebensgrundlagen Schutz erteilt wurde, wenn zum Beispiel extreme Dürren passiert sind. Diese Fragen werden sich in Zukunft auf jeden Fall häufiger stellen.

Vorbilder hat Lena Schilling viele. Das wichtigste ist ihre Mutter.
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Schilling ist das Thema wichtig, ihre Mutter habe 2015 eine Flüchtlingsunterkunft geleitet, erzählt die junge Frau. Fragt man sie nach Vorbildern, dann ist es auch die Mama, die sie als Erstes anführt. Immer wieder nennt sie auch historische Kämpferinnen wie Rosa Luxemburg und Clara Zetkin. Frauen aus der aktuellen Politik sind ebenfalls auf ihrer Liste: die US-amerikanische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez oder die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Mit ihrer Kandidatur will Schilling anderen jungen Frauen zeigen: "Wir können das auch, und es ist Zeit, auch hier die Machtverhältnisse ein bisschen zu drehen." (Oona Kroisleitner, 22.1.2024)