Ein ÖBB-Schnellzug des Typs Railjet auf dem Wiener Westbahnhof, vis a vis steht ein Zug der Westbahn.
In der Corona-Krise hatten ÖBB und Westbahn zum Vorteil der Reisenden einen gemeinsamen Taktfahrplan zwischen Wien und Salzburg. Während des Bahnstreiks in Deutschland ist so etwas offensichtlich nicht möglich.
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Wien – Wer dieser Tage mit der ÖBB nach Deutschland fahren will, muss mit Komplikationen und Zugausfällen rechnen. Denn ab Mittwoch 18 Uhr steht der Großteil der Züge der Deutschen Bahn (DB) wegen des Streiks der Gewerkschaft der deutschen Lokführer (GDL) still. Zuverlässiger ist es wahrscheinlich, auf das Flugzeug umzusteigen oder mit dem Auto zu fahren. Oder mit der Westbahn. Denn im Gegensatz zur ÖBB, die die Strecke Wien–München mit der Deutschen Bahn bewirtschaftet, fährt die private Westbahn wie an jedem anderen Tag fünfmal täglich von Salzburg über Rosenheim nach München und wieder zurück.

Die Westbahn ist vom Bahnstreik in Deutschland, der diesmal bis Montagabend dauert, also so lange wie nie, nämlich sechs Tage lang, nicht betroffen. Denn die für den Netzbetrieb zuständige DB Netz wird nicht bestreikt, sondern ausschließlich die DB-Absatzgesellschaften Personenverkehr und DB Cargo. Die ÖBB empfiehlt ihren Fahrgästen lapidar, nicht notwendige Bahnreisen Richtung Bayern zu unterlassen. Das Angebot der Westbahn, die ÖBB-Fahrgäste von Salzburg nach München gegen Entgelt mitzunehmen, hat die Staatsbahn bereits beim Arbeitsausstand vor zwei Wochen ausgeschlagen. Angeblich, weil es der ÖBB-Partner Deutsche Bahn nicht wollte, wie in ÖBB-Kreisen betont wird. Ein ÖBB-Sprecher teilt als Begründung mit: "Die Tagzüge der ÖBB nach Deutschland sind ab der Grenze Verbindungen der DB. Ein Angebot der Westbahn für die Verbindung Salzburg–München kann daher nur von der DB angenommen werden."

Alternative auf Schiene

Schlüssig ist diese Begründung, warum die ÖBB-Personenverkehr AG eine Kooperation mit der Westbahn ausschlug, nur bedingt. Denn es geht nicht darum, dass die ÖBB-Züge an der Grenze übernommen und bis München geführt werden, sondern lediglich darum, den ÖBB-Fahrgästen eine alternative Transportmöglichkeit zu offerieren. Eine solche wäre mit der fünfmal täglich jeweils in beide Richtungen verkehrenden Westbahn möglich, war offenbar aber nicht gewünscht. Die Westbahn hat sich deshalb entschieden, ÖBB-Fahrgäste mit Fahrkarte (für DB und ÖBB) auf Wunsch ohne Aufpreis mitzunehmen. Das könnte für jene Fahrgäste interessant sein, die ihr Ticket nicht mehr stornieren konnten. Laut Auskunft am Montag war ein kostenfreies Storno nur vor Fahrtantritt und nur für Fahrkarten möglich, die vor dem 22. Jänner gekauft wurden.

Auch wurde die Geltungsdauer der ÖBB-/DB-Fahrkarten bis 5. Februar verlängert und die sogenannte Zugbindung von ÖBB-Tickets von und nach Deutschland aufgehoben, Zugreisende können also auch andere Züge benützen, nicht nur den einen bestimmten, für den die Fahrkarte gebucht wurde. Nachtzugtickets können auch tagsüber genutzt werden. Bei der Westbahn, die vom Streik nicht betroffen ist, klingt die Lösung einfach und pragmatisch. Die ÖBB-Konkurrentin fährt in Eigenregie von Salzburg über Rosenheim nach München und wird deshalb von der Lokführergewerkschaft GDL nicht bestreikt. Die ÖBB hingegen ist Leidtragender, sie übergibt ihre Züge an der Grenze an die Deutsche Bahn und die fährt wegen des Streiks von Mittwoch bis Montagabend nicht oder nur mit einem sehr eingeschränkten Fahrplan. Den Schaden haben also die ÖBB-Fahrgäste. Sie könnten alternativ zwischen Salzburg und München während des Streiks auf den stündlich verkehrenden bayerischen Regionalverkehr (BRB) ausweichen, teilt der ÖBB-Sprecher auf Nachfrage des STANDARD mit, ÖBB-Tickets würden von der Bayern-Bahn anerkannt. Die Fahrtzeit verlängere sich nur geringfügig, und es sei ein stündliches Angebot über den ganzen Tag verfügbar, nicht nur einzelne Züge.

Flug, Auto und Fernbus

Wie diese restriktive Vorgangsweise mit Kundenfreundlichkeit und Klimaschutz zusammenpasst, deren sich die Staatsbahn so gern rühmt, bleibt ihr Geheimnis. Fest steht, wer die Gewinner dieser Kundenorientierung sind: Fluglinien, Autovermieter und Fernbusbetreiber wie Flixbus verzeichnen aufgrund des längsten Streiks in der Geschichte der Deutschen Bahn ab Mittwoch mehr Buchungen. "Aktuell beobachten wir für diese Woche bundesweit eine deutlich erhöhte Nachfrage", zitierte Reuters einen Sprecher des börsennotierten Autovermieters Sixt. Zu dessen Netzwerk in Deutschland zählen knapp 350 Stationen. Die Lufthansa verzeichnet für den von Mittwoch bis Montag geplanten Streik "einige zusätzliche Buchungen auf innerdeutschen Flugverbindungen und setzt auf verschiedenen Strecken größere Flugzeuge ein, um möglichst vielen Gästen eine Reisemöglichkeit zu bieten", sagte ein Unternehmenssprecher.

Das Unternehmen Flixbus, das mit Flixtrain auch einen direkten Bahnkonkurrenten auf der Schiene hat, berichtete Ähnliches. "Wir sehen wie meistens, wenn Wettbewerber bestreikt werden, eine deutlich gestiegene Nachfrage", betonte eine Sprecherin. Auch dieses Mal habe sich die Nachfrage mehr als verdoppelt, es seien aber noch ausreichend Tickets verfügbar. "Sofern notwendig, planen wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Buspartnern nach Möglichkeit zusätzliche Busse ein", hieß es.

Europcar betonte ebenfalls, grundsätzlich noch viele freie Fahrzeuge zu haben. "Bis einschließlich Mittwoch könnte es allerdings knapp werden, da wir bereits zahlreiche Buchungen erhalten haben", sagte der Geschäftsführer der Europcar Mobility Group Germany, Tobias Zisik. Europcar verfügt über mehr als 300 Stationen in Deutschland.

Zugausfälle gehen ins Geld

Was die Übernahme der ÖBB-Kunden durch die Westbahn gekostet hätte, war am Dienstag nicht in Erfahrung zu bringen. Beide Seiten schwiegen sich darüber aus. Bahn-Insider taxieren den Aufwand pro Streiktag auf einen mittleren fünfstelligen Eurobetrag, also eine vernachlässigbare Größe für ein Milliardenunternehmen wie die ÖBB.

Unabhängig vom Streik in Deutschland, der bei der ÖBB pro Tag einen Umsatzentgang von geschätzt 300.000 Euro verursachen dürfte: Ins Geld gehen früher oder später auch die zahlreichen anderen Zugausfälle, die bei der Staatsbahn insbesondere seit Dezember spürbar zugenommen haben. Im Schnitt würden pro Tag allein in der Ostregion an die hundert Zugverbindungen ausfallen, sagen mit der Materie vertraute ÖBB-Insider. Mal seien es nur 40 pro Tag, mal 120. Als Gründe nennen Insider neben schadhaftem Rollmaterial und Lieferverzögerungen bei neu bestellten Elektrotriebzügen insbesondere Weichenstörungen und andere technische Probleme.

Lieferengpässe und Reparaturen

In der ÖBB bestätigt man diese Quote nicht, dementiert die Informationen aber auch nicht. 2023 sei mit 480 Millionen Fahrgästen ein Rekordjahr für Bus und Bahn gewesen. Das sei erfreulich, "der Bahnboom bringt uns aber an Kapazitätsgrenzen", wird betont. Das führe zu Qualitätseinbußen. Allein die Extremwetterereignisse hätten zur Vervierfachung der Zugausfälle geführt. Hinzu kämen Lieferengpässe, neues Wagenmaterial lasse auf sich warten. ÖBB-Chef Andreas Matthä hatte am Wochenende in einem Kurier-Interview von "Wachstumsschmerzen" gesprochen, an denen die ÖBB leide, weil 2018 bei Siemens bestellte Railjet-Züge erst heuer ausgeliefert werden. Alte und wartungsintensive Züge erforderten mehr Reparaturen, was wiederum zu Engpässen führe. Auch Ersatzteile fehlten. Um Lieferungen zu beschleunigen, habe man neue Lieferanten zertifiziert. Die Werkstetten der ÖBB-Technische Services arbeiteten auf Hochtouren an der Instandsetzung der schadhaften Züge, wird betont.

Die Anmerkungen aus dem Klimaschutzministerium betreffend die Qualitätsprobleme der ÖBB vor allem in der Ostregion klingen übrigens zunehmend entnervt: "Die Situation ist in manchen Gebieten des Landes nicht zufriedenstellend. Es heißt dabei jetzt für alle Zuständigen die Ärmel hochzukrempeln und daran zu arbeiten, die Situation rasch zu verbessern. Wir erwarten uns, dass sich die ÖBB hier ihrer Verantwortung für eine gute Zukunft des Bahnverkehrs bewusst ist.“

Probleme wie diese gehen früher oder später ins Geld. Denn der Nah- und Regionalzüge, aber auch Schnellzüge auf der Südbahn und westlich von Salzburg sowie Nachtzüge werden vom Verkehrsministerium bestellt und bezahlt. Pro Kilometer bekommt die ÖBB je nach Zugtyp eine Abgeltung von fünf Euro aufwärts. Fällt ein Zug aus, gibt es kein Geld. Über das Volumen der Minderleistungen gibt die ÖBB keine Auskunft.

Die Überprüfung der im Vorjahr erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen sei noch nicht abgeschlossen, teilte die für Kontrolle und Abrechnung zuständige Schieneninfrastrukturgesellschaft Schig auf STANDARD-Anfrage mit. Für Zugausfälle - als solche gelten Fernverkehrszüge ab Verspätungen jenseits der 120 Minuten und alle anderen Züge ab 60 Minuten - gebe es keine staatliche Abgeltungen, bestätigte Schig-Geschäftsführer Stefan Weiss. Für Verspätungen ab drei Minuten gebe es Abschläge. Ein besonderes Entgegenkommen seitens Schig, etwa im Fall eines Streiks oder von höherer Gewalt gibt es nicht. (Luise Ungerboeck, 23.1.2024)