Eine Vorführung Des Kampfpanzers Leopard in Wels
Spionage, Subversion, Ausspähung: Mit diesen Gefahren ist Österreich schon jetzt konfrontiert. Nun soll das Heer "um 180 Grad" gedreht werden.
APA/HELMUT FOHRINGER

"Welt aus den Fugen" lautet der Titel des am Montag vorgestellten neuen Risikobilds des Verteidigungsministeriums. "Und der Titel sagt wohl schon alles", befindet Ressortchefin Klaudia Tanner (ÖVP). In dem 314 Seiten starken Papier wird ein Schwerpunkt auf globale Konflikte gelegt. Insbesondere auf jene, die mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem neuen Krieg im Nahen Osten zuletzt nachhaltig eskalierten.

"Im vergangenen Jahr wurden die Auswirkungen verschiedener Krisen und Konflikte auf das globale sicherheitspolitische Gefüge noch deutlicher sichtbar", schreibt Tanner in der Einleitung des Risikobilds 2024. Neben Putins Angriffskrieg und der Eskalation des Nahostkonflikts erwähnt sie aber etwa auch "die nicht überwundenen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie".

Strategisches Lagebild

Das Risikobild wird vom Verteidigungsressort jährlich erstellt. Es ist eine Art strategische Bedrohungs- und Lageeinschätzung für Österreich unter Rücksicht auf nationale und vor allem internationale Entwicklungen. Und eine der Kernaussagen der heurigen Ausgabe lautet: Militärische Konflikte werden immer stärkere Auswirkungen auf Österreich haben. Daher müsse man sich auf diverse Szenarien vorbereiten, sagt Tanner. "Ich glaube, das haben wir in der Vergangenheit nicht." Die militärische Landesverteidigung sei zu lange nicht als Kernaufgabe des Heeres erachtet worden. Inzwischen habe man einen Paradigmenwechsel eingeleitet.

Ein Gebot der Stunde sei, die europäische Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Nur gemeinsam könne man den aktuellen sicherheitspolitischen Risiken begegnen. Wie notwendig Österreichs Beteiligung am europäischen Luftabwehrsystem Sky Shield sei, zeige die Entwicklung des Ukrainekriegs, in dem Russland regelmäßig auch mit ballistischen Raketen angreift. "Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist, dann sollten wir selbst das nicht tun", sagt die Ministerin.

Generalmajor Bruno Hofbauer, "Chefstratege" des Bundesheeres und kürzlich zum stellvertretenden Generalstabschef bestellt, spricht von "überschaubaren Aussichten" in der aktuellen Weltlage. Bei Bedrohungsszenarien lasse sich nicht immer das genaue Wann und Wo voraussagen. Klar sei aber: "Es wird schneller. Und es wird mehr."

Zwischen Krieg und Frieden

Weil an vielen Fronten grundsätzliche Rechtsnormen infrage gestellt würden, herrsche eine Art permanentes Zwischenstadium zwischen Krieg, "aber auch nicht mehr ganz Frieden" – dies etwa durch Cyberbedrohungen und die Manipulationsmöglichkeiten durch künstliche Intelligenz.

Österreich ist zwar kein Frontstaat. Auch hierzulande sei man aber nicht gefeit vor möglichen Gefahren, die die Konflikte im Osten und Südosten nach sich ziehen. Auch derzeit sei man schon mit vielfältiger "Spionage, Subversion, Ausspähung und Einflussnahme von außen" konfrontiert. Aktuell gehe es daher darum, die Armee "um 180 Grad zu drehen" und "das Bundesheer wieder kriegsfähig zu machen".

Brigadier Peter Vorhofer, Leiter der Direktion für Verteidigungspolitik und Internationale Beziehungen, sieht in den aktuellen Entwicklungen eine "Umstrukturierung der Weltordnung". Dieser Prozess werde sich aber über mindestens zwei Dekaden vollziehen. Das demokratische Modell westlichen Zuschnitts komme global immer mehr unter Druck, weil es so viele "alternative Angebote" gebe. Man habe sich über die Dekaden an friedliche Konfliktlösung gewöhnt. Wie weit Europa die Strukturierung der "neuen Weltordnung" noch mitgestalten könne, werde aber auch von seiner Reaktion abhängen.

Für Österreich ließen sich drei Schlussfolgerungen ableiten: "Erstens Vorbereitung, zweitens Vorbereitung, drittens Vorbereitung." Auf welche zentralen Bedrohungen? Ein Überblick.

Kriegsgefahr zwischen EU und Russland

Eines der größten Risiken für 2024 und darüber hinaus sehen das Heeresressort und externe Fachleute in militärischen Konfrontationen zwischen Russland und der EU. Erwartet werden russische Versuche zur Schwächung der europäischen Integration durch gezielte Angriffe und "Zwangsausübung von externen Akteuren", wie es heißt.

Die Gefahr stärkerer Konfrontation steigt umso mehr, je länger der Krieg dauert. Ein weiterer entscheidender Faktor: Die USA hat den Höhepunkt ihrer Unterstützung für die Ukraine wohl bereits überschritten und steht vor der Präsidentschaftswahl im Herbst.

Viele Fronten durch hybride Kriegsführung

Das Ministerium erwartet 2024 mit hoher Wahrscheinlichkeit "starke hybride Kriegsführung". Vor allem Russlands Repertoire ist in diesem Bereich traditionell groß. Es kann von Cyberangriffen und Desinformationskampagnen bis hin zum gezielten Lenken von Migrationsbewegungen reichen.

Russlands Nachbar Finnland, der nach Beginn des russischen Angriffskriegs der Nato beigetreten war, hat diese Erfahrung bereits gemacht. Über Monate waren laufend ungewohnt große Gruppen von Migrantinnen und Migranten an der Grenze zu Russland aufgetaucht.

Effekte auf die Wirtschaft

Vielfach unterschätzt werde, dass auch die wirtschaftliche Entwicklung in Europa Sicherheitsrisiken bergen könne – beziehungsweise ebenso von solchen beeinflusst werde, sagt Brigadier Vorhofer aus dem Ministerium. So würden die aktuellen Kriege Störungen von Lieferketten begünstigen.

Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr schreibt im Papier: "Geopolitische Risiken wie der Systemwettbewerb zwischen China und den USA, der russische Angriffskrieg und die Eskalation des Nahostkonflikts führen zu einer zunehmenden Fragmentierung der Weltwirtschaft."

Migrationsströme bleiben langfristig

Migrationsbewegungen nach Österreich gingen zuletzt zwar etwas zurück. Sie werden aber langfristig erhalten bleiben, weil die strukturellen Voraussetzungen sich nicht geändert haben, sagt Brigadier Vorhofer: "Der Globale Süden ist weiter stark benachteiligt." Solange dieser Faktor bestehe, werde es Wanderbewegungen nach Europa geben.

"Langfristig könne irreguläre Migration nicht durch Außengrenzschutz und Auslagerung, sondern durch reguläre Zugangswege für Arbeit und Beschäftigung minimiert werden, schreibt Migrationsexpertin Judith Kohlenberger im Risikobild.

Cyberangriffe und Desinformation

Cyberangriffe und der Kampf in Computernetzwerken seien "zur militärischen Zielerreichung heute leider sehr lohnend, weil sich so viele Bereiche unseres Alltags dorthin verlagert haben", sagt Brigadier Vorhofer.

"Informationsoperationen" wie Desinformationskampagnen seien demnach heute ein "exzellentes Mittel, um Demokratien zu unterminieren". Russlands Einfluss auf vergangene US-Wahlkämpfe haben die Richtung schon vorgezeigt. "2024 ist ein Superwahljahr. Es wäre äußerst ungewöhnlich, wenn diese Strategie nicht zum Tragen kommen würde", sagt Vorhofer. (Martin Tschiderer, 29.1.2024)