Karin und Lina strahlen. Alles ist gut gelaufen. Alles hat geklappt. Karin trägt Frack, Lina funkelnde Tiara und ein langes Kleid. Nicht mehr das weiße von der Eröffnung, sondern ein blaues – denn dieses Modell findet sie einfach schöner. Dass die Frauen als Paar am Wiener Opernball debütieren durften, ist heute kein großer Aufreger mehr. Völlig normal, oder?

Bis es so weit kam, mussten 63 Bälle über die Bühne gehen. Bei der Nummer 64 kam es im Jahr 2020 schließlich zu der Premiere: Erstmals eröffnete ein gleichgeschlechtliches Paar – zwei junge Frauen aus Deutschland hatten sich beworben und wurden von der Ballorganisation zugelassen. Mit der Teilnahme wollten sie für die Chancengleichheit von gleichgeschlechtlichen Paaren bei solch konservativen Events werben.

Karin fühlt sich im Frack wohl, Lina mehr im blauen als im weißen Kleid. Ein Mann in einem solchen würde den Debütantinnen gefallen.
Regine Hendrich

Länger, nämlich bis Donnerstagabend, hat es gedauert, bis zwei Frauen gemeinsam in einer anderen Rolle auf dem Parkett gestanden haben: Erstmals gab es mit Barcarolle von der lettischen Opernsängerin Elīna Garanča und der spanischen Sopranistin Serena Sáenz ein rein weibliches Duett zur Eröffnung. Ist der Ball der Bälle damit im 21. Jahrhundert angekommen? Oder bleibt er eine verstaubte Tradition, die sich bloß in neues Kleid hüllt?

Kleidsamer Frack

Karin und Lina sind eines von zwei Frauenpaaren, die den diesjährigen 66. Opernball eröffnet haben. Die Freundinnen tanzen bereits seit langem gemeinsam in Kursen. Als Lina ihren ersten Ball eröffnen wollte, war für sie sofort klar: Karin ist die Wunschpartnerin. Die hat seit einem Jahr einen eigenen Frack, "sieht darin wunderbar aus" und könne zudem ausgezeichnet führen, sagt Lina.

Zum ersten Mal gab es mit Opernstar Elina Garanča und der spanischen Ausnahmesängerin Serena Sáenz ein rein weibliches Duett zur Opernball-Eröffnung.
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Ein rein männliches Paar gibt es beim Opernball hingegen nicht. Ein Mann im weißen Kleid, das ginge der Ballorganisation wohl zu weit, mutmaßt Karin: "Ich würde es jedenfalls feiern." Bälle gehören einfach zu Wien, finden die beiden Anfang Zwanzigjährigen. Das stimmt natürlich: Die Wurzeln der Ballsaison gehen weit zurück – Tanzveranstaltungen im Fasching sind in Wien seit dem 15. Jahrhundert dokumentiert. Später entwickelte sich im habsburgischen Kaiserhaus eine Balltradition. Der Zweck: Repräsentation und Zurschaustellung von Glanz und Macht.

Doch ist das auch heute noch so? Fast jede Berufs- und Interessensgruppe hat mittlerweile einen eigenen Ball – von den Gewichthebern über die Rauchfangkehrer bis zu den Kaffeesiederinnen. Den Eintritt können sich mal mehr, mal weniger Menschen leisten. Trotz anhaltender Teuerung sind die meisten der 450 Ballveranstaltungen für rund 540.000 Gäste, die in dieser Saison in Wien stattfinden, ausverkauft. So auch der Opernball. Und dieser fällt wohl am meisten in die Kategorien Repräsentation, Glanz und Macht. Aber ist das im Jahr 2024 so noch zeitgemäß?

Für und gegen das Amüsement

"Nein", sagen zumindest die Demonstrantinnen und Aktivisten, die sich am Donnerstag in der Wiener Innenstadt gegen den Ball formiert hatten. Hinter der Oper wurde Gratispunsch "gegen die Dekadenz am Opernball" ausgeschenkt. "Auf dem Opernball tanzen die Reichen mit der ÖVP und amüsieren sich, während wir anderen von daheim zuschauen sollen", kritisiert die Sprecherin von der Partei Links Wien, Anna Svec. "Eat the rich", hieß es bei der Kommunistischen Jugend, die zur Demo aufgerufen hatte. "Krieg den Palästen" oder "Keine Profite mit Energie und Miete" ist auf Schildern zu lesen.

"Keine Profite mit Energie und Miete": Vor und hinter der Oper wird gegen den Ball und soziale Ungleichheit demonstriert.
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Doch wie sehen das jene, die sich zur selben Zeit auf dem Opernball durch die Gänge drängen, in ihren Logen Gäste empfangen oder auf dem Parkett das Tanzbein schwingen?

Elisabeth Gürtler kann oder will kein Problem erkennen: "Der Opernball ist für Wien ein Glück. Alle verdienen daran. Darf man sich denn nicht amüsieren?" Heute plaudert die 73-Jährige entspannt bei der Mittelloge mit anderen Gästen, die vorbeiflanieren. Früher waren Opernballabende für Gürtler hektisch. Von 1999 bis 2007 organisierte sie die Großveranstaltung – als "Ballmutti", wie das damals hieß.

"Darf man sich nicht amüsieren?", fragt Elisabeth Gürtler (rechts). Für sie ist der Opernball "offen, locker und demokratisch".
Regine Hendrich

Die sorgende, sich aufopfernde Mutter als Paraderolle für Frauen: Dieses Stereotyp will der Opernball im Jahr 2024 offensichtlich nicht mehr bedienen. Statt einer Mutti organisiert ein Komitee als Kollegialorgan den Ball. Überhaupt habe sich der stark verändert, seit sie ihn mit 19 Jahren als Debütantin eröffnet habe, sagt Gürtler: "Der Opernball ist heute sehr demokratisch, offen und locker."

US-Schauspielerin Priscilla Presley auf Logenbesuch bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen und dessen Frau Doris Schmidauer.
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Vor der Loge des Bundespräsidenten drängen sich Kameraleute, Securitypersonal und Schaulustige. Hinein kommt gerade niemand, dafür Richard Lugner mit Priscilla Presley heraus. Die Schauspielerin hat sich zu Lugners öffentlich gezeigter Erleichterung als "pflegeleicht" erwiesen. Da schwingt mit: Das männliche Wunschbild vom artigen Frauchen, das bereitwillig tut, was ihm gesagt wird. Oder andernfalls als "schwierig" oder "zickig" abgestempelt wird – beides beliebte Labels für Lugners Ballbegleiterinnen.

Keine Einmischung

Michael Ludwig wählt lieber die Zuschreibung "nett", wenn er über Presley spricht. Ob der Opernball ein Facelift vertragen könne? "Er reformiert sich ohnehin laufend", sagt der Wiener Bürgermeister. Das zeige sich an "neuen künstlerischen Akzenten" oder an Bemühungen um sozialen Ausgleich. 35 der 385 Euro pro Karte gehen an karitative Zwecke, auch zehn Prozent der Gastroumsätze.

"Neue künstlerische Akzente" und die Solidaritätsabgabe sind für Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) Belege für eine laufende Selbstreform des Balls.
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Karl Nehammer hält sich mit Tipps ebenfalls zurück: "Ich bin lange genug Bundeskanzler, um zu wissen: In diese Dinge mischt man sich in der Politik nicht ein."

Einmischung ist hingegen das Konzept von Michael Skopek. Auf Tiktok postet er gerne Parodien und macht sich über tradierte Verhaltensweisen lustig. An diesem Abend ist er selbst Teil der Tradition. Wie das zusammenpasst? Das eine sei die Comedy, das andere das echte Leben, sagt Skopek. "Hier zu eröffnen war schon immer mein Traum."

Den Opernball modernisieren? Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) will sich lieber nicht mit Vorschlägen aus dem Fenster lehnen.
Regine Hendrich

Während für viele der Opernball ein einmaliger Event ist, kommen andere immer wieder – eine Gewohnheit, die für sie zum Fasching dazugehört. Für Bogdan Roščić ist es der zweite Ball, als Direktor der Staatsoper ist er Gastgeber. Freiwillig kam er zuvor nicht. Er steht auf der Feststiege, zwischen pinken Blumengestecken und festlich gekleideten Menschen.

In Zeiten wie diesen sei nicht das Event anzuzweifeln, sondern: "Wie wäre es, zu sagen, dass Kriege nicht mehr zeitgemäß sind? Wer angesichts der Zeit, in der wir leben, am Opernball ansetzt, dem ist nicht zu helfen."

Suchbild: Wo auf der Feststiege hat sich Staatsoperndirektor Bogdan Roščić versteckt?
Regine Hendrich

Auf die Frage, ob der Ball aus der Zeit falle, hat Roščić seine eigene Antwort gefunden: "Ich pfeif darauf, was zeitgemäß ist." (Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, Anna Wiesinger, 9.2.2024)