Verteidigungsministerin Klaudia Tanner von der ÖVP
"Gegen das Volk zu regieren" habe sie noch nie für gescheit gehalten, sagt Heeresministerin Klaudia Tanner. Österreichs Neutralität will sie deshalb nicht infrage stellen.
Heribert Corn

Klaudia Tanner genießt für österreichische Verhältnisse ungewohnt viel Aufmerksamkeit als Verteidigungsministerin. Noch nie konnte jemand an der Spitze des Ressorts so viel in die Truppe investieren. Im Interview bestätigt sie den Kauf einer großen Tranche weiterer Pandur-Radpanzer. Und sie spricht darüber, warum sie findet, dass Kanzler Nehammer recht hat, wenn er nicht über die Neutralität debattieren will; warum man den Krieg vorbereiten soll, wenn man Frieden möchte; und warum die Republik darunter leide, was Herbert Kickl "im Innenministerium angerichtet hat".

STANDARD: Frau Tanner, sagen Ihre Amtsvorgänger wie Norbert Darabos oder Günther Platter Ihnen eigentlich öfter, wie gut Sie es haben?

Tanner: Eine Anspielung auf die budgetäre Situation, nehme ich an. Man vergisst aber oft, dass das Budget nicht vom Himmel gefallen ist. Es ist Aufgabe der Ressortchefin, das Verteidigungsbudget mit den entsprechenden Argumenten zu erkämpfen. Das habe ich von Beginn meiner Amtszeit an gemacht. Zu Budgetsteigerungen kam es nämlich nicht erst mit Beginn des russischen Angriffskrieges. Wir hatten schon davor eine dreifache Erhöhung. Vom Milizpaket, der Stärkung der ABC-Abwehr (atomare, biologische und chemische Waffen, Anm.), bis zum Bauprogramm.

STANDARD: Während Ihre Vorgänger das Bundesheer eher als Bastlerhit verwalten mussten, steht Ihnen heute ein Budget zur Verfügung, das in Österreich bis vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Schon im Kaufrausch?

Tanner: Ich würde es nicht so formulieren. Aber eines stimmt in jedem Fall: Wir holen in allen Bereichen Rückstände auf. Und das ist dringend nötig, denn man hat das Bundesheer über Jahrzehnte stark vernachlässigt. Noch wichtiger als das jährliche Budget ist aber, dass wir ein Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz beschlossen haben. Das gibt uns erstmals Planbarkeit, die über die Legislaturperiode hinausgeht.

STANDARD: Bei der Präsentation des jährlichen Risikobilds sagte Ihr stellvertretender Generalstabschef Günther Hofbauer kürzlich, Österreich müsse wieder "kriegsfähig" werden. Teilen Sie die Formulierung?

Tanner: Meine Formulierung lautet: Österreich muss verteidigungsfähig sein und zu einer modernen Armee werden. Aber es gibt das jahrtausendealte Sprichwort "Wer den Frieden will, bereite den Krieg vor". Und so hat es Generalmajor Hofbauer gemeint.

STANDARD: Generell waren die Aussichten im Risikobild wenig hoffnungsfroh. Das Risiko eines Krieges zwischen Russland und der EU wird als "sehr hoch" eingeschätzt. Worauf genau bereiten Sie das Bundesheer vor?

Tanner: Der Fokus liegt auf der Kernaufgabe der militärischen Landesverteidigung. Das heißt aber nicht, dass wir die Assistenz- und Unterstützungsleistungen vernachlässigen werden. Migrationsbewegungen sind eine zunehmende Gefahr. Deshalb werden wir weiter Unterstützung an den Grenzen bieten. Aber wir bereiten uns auch auf die Gefahr konventioneller Kriegführung vor. Deshalb haben wir das Panzerpaket auf den Weg geschickt. Die ersten kommen zeitnah wieder modernisiert zurück.

STANDARD: Demnächst erhalten Sie Schritt für Schritt eine weitere Tranche bereits bestellter Pandur-Panzer. Nach STANDARD-Informationen werden Sie kommende Woche aber noch eine hohe Zahl weiterer Exemplare bestellen.

Tanner: Wir haben nächste Woche einen sehr großen Vertragsabschluss, der auch weitere Exemplare beinhaltet.

STANDARD: Es sollen bis zu 225 Stück zusätzlich sein. Können Sie das bestätigen?

Tanner: Wir werden nächste Woche darüber informieren. Es geht da aber schon auch um eine Pandur-Familie, die unterschiedliche Funktionalitäten erfüllt. Das ist ein sehr großer und wichtiger Schritt im Bereich der gesamten geschützten Mobilität.

STANDARD: Aus informierten Kreisen heißt es, es würden nicht genügend Soldatinnen und Soldaten ausgebildet, um alle neuen Pandur auch bedienen zu können. Wurde da zu spät in die Ausbildung investiert?

Tanner: Wir müssen Beschaffungen und Personal natürlich parallel entwickeln. Deshalb haben wir im Aufbauplan des Bundesheers bis 2032 besonderen Wert auf die personelle Komponente gelegt. Aber ganz offen: Die Frage des Personals wird uns nicht nur als Sprint beschäftigen, sondern als Marathon. Das gilt für unser Ressort, für den gesamten öffentlichen Dienst und für die meisten Branchen in der Privatwirtschaft, wo händeringend nach neuem Personal gesucht wird. Es wird für uns auch wichtig sein, mehr Grundwehrdiener in der Armee zu behalten.

STANDARD: Machen Sie sich Sorgen, dass manche der vielen neuen Pandur vorerst in der Garage stehen müssen, weil noch nicht genug Soldatinnen und Soldaten damit fahren können?

Tanner: Nein, weil wir schon generalstabsmäßig geplant haben, dass diese Entwicklung parallel erfolgt. Und wir haben viele Konzepte zum Gewinnen und Behalten von Personal aufgesetzt.

STANDARD: Wie sehr das neutrale Österreich im Ernstfall geschützt wäre, ist umstritten. Halten Sie die Sicherheit des Landes auch bei einer russischen Aggression für gewährleistet?

Tanner: Ich sage es vielleicht anders: Der russische Angriffskrieg begann vor zwei Jahren. Wer hätte damals gedacht, dass die Ukraine so lange standhalten kann? Natürlich sind wir nicht das erste Angriffsziel. Trotzdem ist es unsere Aufgabe, auf alles vorbereitet zu sein. Auf der anderen Seite muss klar sein: Die Versäumnisse über Jahrzehnte sind nicht von einem Tag auf den anderen aufzuholen. Deshalb reicht unser Aufbauplan ja auch bis zum Jahr 2032 und darüber hinaus.

STANDARD: Allein könnte sich Österreich aber kaum verteidigen. Und die EU-Beistandspflicht ist schwammig formuliert. Sie verpflichtet die Länder nur zu Mitteln, die sie "für erforderlich" erachten. Dazu kommt das Nato-First-Prinzip: Im Zweifel ist den Nato-Staaten in der EU die Verteidigung der Bündnispartner wichtiger als jene eines neutralen Staates.

Tanner: Aber wenn die entsprechende Lage eintritt, gibt es die Möglichkeit zu entscheiden. Aktuell ist es vor allem wichtig, sich vorzubereiten. Als Österreich, aber auch als EU. Sich auf andere zu verlassen ist nicht der richtige Weg. Für uns als militärisch neutraler Staat ist es umso wichtiger, unsere Verteidigungsfähigkeit jetzt auf allen Ebenen zu stärken.

FPÖ-Chef Herbert Kickl trage "das Taferl mit Sicherheit vor sich her", sagt Tanner. "Aber wenn etwas in die Sicherheit investiert wird, um uns vor Drohnen und Raketen zu schützen, will er nicht dabei sein."
Heribert Corn

STANDARD: Offiziell rührt die Politik die Neutralität nicht an. Spricht man vertraulich mit manchen Ihrer höheren Generäle, klingt das oft schon ganz anders. Wäre es nicht sinnvoll, eine ehrliche und offene Debatte über die Neutralität zu eröffnen – statt sie zu beenden, bevor sie überhaupt begonnen hat, wie Ihr Parteichef Nehammer?

Tanner: Ja, recht hat er. Gegen das Volk zu regieren habe ich noch nie für gescheit gehalten. Die Österreicherinnen und Österreicher haben ein sehr gutes Gespür für Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das haben sie auch bei der Volksbefragung zur Wehrpflicht 2013 gezeigt, wo sie eine wichtige und weitreichende Entscheidung getroffen haben. Trotzdem diskutieren wir bei uns im Ressort oft über das Thema. Aber unsere Verfassung gibt uns sehr klar vor, dass wir eben militärisch neutral sind. Und ganz ehrlich: Ich halte das auch gerade in Zeiten wie diesen für gut.

STANDARD: Spätestens seit Putins Überfall auf die Ukraine gibt es einen breiten Konsens, dass das Heer mehr Geld braucht. Bei einzelnen Projekten gibt es aber sogar innerhalb des Ministeriums kritische Stimmen. Zum Beispiel, als sich die Kosten für eine neue Großkaserne in Villach im Vergleich zu ursprünglichen Plänen verdreifachten. Muss man sich Sorgen über den effizienten Einsatz der vielen neuen Steuermilliarden in Ihrem Ressort machen?

Tanner: Wir haben durch das Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz die Pflicht, dem Parlament einen jährlichen Landesverteidigungsbericht vorzulegen und damit öffentlich zugänglich zu machen. Tatsächlich geht es um sehr viel Steuergeld, allein in den nächsten vier Jahren investieren wir mehr als 18 Milliarden. Es ist daher auch in unserem ureigensten Interesse, transparent zu sein. Zum einen durch den Landesverteidigungsbericht, zum anderen durch die Beschaffungs-Kontrollkommission, die wir ins Leben gerufen haben.

STANDARD: Der Rechnungshof hat noch Ende 2022 die Intransparenz bei Bundesheer-Beschaffungen kritisiert – und dass weder Monitoring noch systematische Überprüfungen stattfinden.

Tanner: Genau das haben wir ja geschaffen. Der Zeitraum, den sich der Rechnungshof angeschaut hat, war noch vor Beschluss des Landesverteidigungsfinanzierungsgesetzes.

STANDARD: Und Sie sehen damit alle Empfehlungen des Rechnungshofs erfüllt?

Tanner: Generell sehe ich den Rechnungshof so: Er gibt Anregungen und Empfehlungen, die man häufig umsetzt. Denn in vielen Bereichen sind sehr gute dabei. Rückblickend betrachtet hat der Rechnungshof aber auch nicht immer recht. Einige meiner Vorgänger haben das gesamte Sanitätswesen des Bundesheeres auf null zurückgefahren, weil der Rechnungshof darin eine Doppelstruktur gesehen hat. Heute müssen wir wieder neue Militärspitäler aufbauen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Empfehlungen Sinn machen. Und ich glaube, wir haben sie erfüllt. Nebenbei gibt es ja noch andere parlamentarische Instrumentarien. Wir informieren auch regelmäßig den Landesverteidigungsausschuss und den Unterausschuss.

STANDARD: Wann wählen wir einen neuen Nationalrat?

Tanner: Mein Zugang ist bekannt: Wir sind gewählt worden, damit wir arbeiten. Bei uns gibt es genug zu tun, ich gehe daher von Herbst aus.

STANDARD: Sie gelten eher als Verbinderin zu anderen Parteien denn als Ideologin. Könnten Sie sich eine Koalition mit der Babler-SPÖ plus Neos oder den Grünen vorstellen?

Tanner: Zuerst wird gewählt, dann wird gezählt, und dann wird verhandelt. Alles andere hat unser Bundesparteiobmann schon sehr klar gesagt.

STANDARD: Die Alternative für Ihre Partei wäre eine Neuauflage von Türkis-Blau. Sie haben eine Koalition mit der FPÖ unter Herbert Kickl aber persönlich ausgeschlossen.

Tanner: Ich sehe das wie der Bundeskanzler. Wir leiden teils immer noch unter dem, was er im Innenministerium angerichtet hat – gerade, was die Nachrichtendienste angeht. Es geht um jemanden, der das Taferl mit Sicherheit vor sich herträgt. Aber wenn etwas in die Sicherheit investiert wird, um uns vor Drohnen und Raketen zu schützen, will er nicht dabei sein.

STANDARD: Aber wer soll Ihrer Partei diese Distanzierung eigentlich glauben, nachdem die ÖVP zuletzt in drei Bundesländern Koalitionen mit der FPÖ eingegangen ist – immer unter einem Bundesparteiobmann Kickl?

Tanner: Man kann dem Bundeskanzler in jedem Fall glauben, was er sagt. Wenn man über die Koalitionen in Salzburg oder Niederösterreich spricht, ist aber auch wichtig, wie sie entstanden sind. Denn die jeweilige Landespartei muss ja die Möglichkeit haben, am Ende des Tages zu einer Regierung zu kommen. In Niederösterreich wird jetzt gut und professionell das Arbeitsprogramm abgearbeitet.

STANDARD: Wo genau sehen Sie den inhaltlichen Unterschied zwischen der Landbauer-FPÖ in Niederösterreich und der Kickl-FPÖ?

Tanner: Ich will mich damit eigentlich gar nicht so sehr auseinandersetzen. Denn wenn wir von "Wahlkampf" reden, sollte es darum gehen, was wir selbst vorhaben, wie unser Plan für Österreich ausschaut. Wenn sich in einem Bundesland jemand aus dem Spiel nimmt und sich selbst Gliedmaßen abhacken will – ob das klug ist, sei dahingestellt.

STANDARD: Bei der Nationalratswahl führen Sie gemeinsam mit Ihrem Ministerkollegen Gerhard Karner die niederösterreichische Landesliste an. Sind die gesammelten Vorwürfe gegen den bisherigen Listenersten, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, doch langsam zu heiß geworden?

Tanner: Also meinen Informationen nach ist alles eingestellt worden. Aber die Landeshauptfrau und der Nationalratspräsident haben sich geeinigt, dass er nicht mehr auf der Landesliste steht, sondern stattdessen Gerhard Karner und ich als Minister aus Niederösterreich. Das ist allerdings auch noch vom Parteivorstand zu beschließen. Dem sollte man nicht vorgreifen.

STANDARD: Sie sind ja die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsressorts. Würden Sie da eigentlich nicht lieber auch so angesprochen werden statt als "Frau Bundesminister" – obwohl Sie ja eine Ministerin sind?

Tanner: Das ist mir sowas von wurscht. Ich finde "Frau Bundesministerin" ist eine doppelte weibliche Form, daher reicht mir Frau Bundesminister. Aber wer Frau Bundesministerin sagen will, kann das auch sehr gerne tun.

STANDARD: Letzte Frage: Der "K"-Anhänger an Ihrer Halskette steht für "Klaudia"?

Tanner: Ja, für Klaudia mit "K". Das hängt da auch als kleine Erinnerung, weil mein Vorname sehr oft falsch mit C geschrieben wird. (Martin Tschiderer, 13.2.2024)