Kuchen mit Verzierung Erde
Geopolitik auf dem Kuchenteller: Die einen fürchten, dass ihr Kuchenstück schrumpft, die anderen fordern ein größeres.
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Wenn die internationale Gemeinschaft je auf dem Weg zu einer friedlicheren und gerechteren Weltordnung war, dann in den ersten Jahren nach dem Kalten Krieg. Die Global Governance war zwar nicht frei von Mängeln, aber die Gefahr eines Krieges zwischen den Großmächten schien gering, und die Armut ging zurück. Die ersten Ergebnisse der Gipfeltreffen zur Förderung der Entwicklung und zum Schutz der Umwelt weckten die Hoffnung auf bahnbrechende Lösungen für die drängendsten Probleme der Menschheit.

Doch geopolitische Spannungen und wirtschaftliche Unsicherheit haben den Optimismus und die Ambition jener Zeit verdrängt. Statt sich drängenden Herausforderungen zu stellen, ist die internationale Gemeinschaft heute "in einer kolossalen globalen Dysfunktionalität gefangen", wie es UN-Generalsekretär António Guterres ausdrückte. Noch schlimmer, viele Staaten sind nicht mehr am Nutzen der liberalen Weltordnung interessiert, sondern haben nur noch ihr eigenes Stück vom Kuchen im Blick. Wichtige Akteure der transatlantischen Gemeinschaft, mächtige Autokratien und der Globale Süden sind unzufrieden mit der ihrer Meinung nach ungleichen Verteilung der Gewinne aus der globalen Zusammenarbeit.

Abstiegsangst

In vielen westlichen Ländern glauben große Teile der Bevölkerung, dass ihr Stück am Kuchen schrumpft, weil sie einen Trend zur Stagnation und zum Niedergang ihres Landes sehen. Neue Daten des Munich Security Index zeigen, dass nur wenige Menschen in den G7-Staaten glauben, ihr Land werde in zehn Jahren sicherer und wohlhabender sein. Viele gehen davon aus, dass China, Brasilien, Indien und Südafrika deutlich an Macht gewinnen werden.

Westliche Populisten verstehen es, die Angst vor dem Abstieg auszunutzen, aber ihre nationalistische Politik könnte diesen Prozess beschleunigen. Auch nicht-populistische Politikerinnen und Politiker sind misstrauisch gegenüber der Globalisierung geworden, da die Nachteile der zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit offensichtlich geworden sind.

Gewinner China

China war wahrscheinlich der größte Nutznießer der liberalen Wirtschaftsordnung. Da es zum Wachstum des globalen Kuchens beigetragen hat, glaubt die chinesische Führung nun, dass China ein größeres Stück davon verdient hat. Sie sieht die Vereinigten Staaten als revisionistische Macht, die versucht, Chinas Aufstieg zu stoppen und das Land daran zu hindern, die Rolle auf der Weltbühne zu spielen, die ihm zusteht.

Angesichts mehrerer innenpolitischer Herausforderungen, darunter eine schrumpfende Bevölkerung, eine Immobilienkrise und eine hohe Staatsverschuldung, wird sich China in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch stärker auf relative Gewinne konzentrieren. Während die chinesische Führung weiterhin von einer "Win-win"-Kooperation spricht, scherzen andere, dass dies nun bedeute, dass China doppelt gewinne. Chinas Politik der letzten Jahre hat dazu geführt, dass einige Menschen skeptischer gegenüber seinen langfristigen Zielen geworden sind. Einige haben sogar beschlossen, das Risiko in ihren Beziehungen zum Land zu minimieren.

"Länder des Globalen Südens versuchen, eine Parteinahme zu vermeiden."

Andere machen sich keine Sorgen darüber, dass ihr Anteil kleiner wird, weil sie glauben, dass er von vornherein gering war. Für Menschen, die in Armut leben oder unter langwierigen Konflikten leiden, klingen Aufrufe, die abstrakte, auf Regeln basierende Ordnung zu verteidigen und die damit verbundenen Kosten zu tragen, unsensibel, weil sie nur die westliche Dominanz stärken sollen.

Viele Länder des Globalen Südens wissen, dass sie am meisten unter der zunehmenden geopolitischen Fragmentierung leiden werden. Sie versuchen daher, eine Parteinahme zu vermeiden und fordern eine gemeinsame Ausrichtung, die es ihnen ermöglicht, ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Die von einigen dieser Länder befürwortete Transaktionsdiplomatie, die sich auf bilaterale Abkommen und kurzfristige Gewinne konzentriert, könnte jedoch die langfristigen Perspektiven, die nur ein regelbasiertes System bieten kann, untergraben.

Lose-lose-Szenario

Wenn immer mehr Staaten ihren Erfolg im Verhältnis zu anderen definieren, könnte ein Teufelskreis des Nullsummendenkens entstehen, der den gemeinsamen Wohlstand untergräbt und geopolitische Spannungen verschärft. Dieses Lose-lose-Szenario spielt sich bereits in vielen Politikfeldern ab und betrifft verschiedene Regionen. Selbst in der Klimapolitik, dem vielleicht besten Beispiel dafür, wie globale Zusammenarbeit allen nützen kann, droht die Sorge, welches Land auf Kosten eines anderen gewinnen könnte, die Oberhand zu gewinnen.

Für einige dieser politischen Entscheidungen gibt es gute Gründe: Die Verringerung der Risiken in den Wirtschaftsbeziehungen ist eine vernünftige Reaktion auf ein wettbewerbsintensiveres Umfeld und kann dazu beitragen, die Vulnerabilität zu verringern. Die zunehmende Fragmentierung der Weltwirtschaft in konkurrierende geopolitische Blöcke könnte jedoch das Wachstum insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen bremsen. Ein geringeres Wirtschaftswachstum wiederum fördert eine Nullsummenmentalität und erschafft damit eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Neue Partnerschaften

Angesichts der geopolitischen Unsicherheit ist es verständlich, dass ein Land sein Stück vom Kuchen schützen möchte. Die internationale Gemeinschaft muss jedoch verhindern, dass die Furcht vor ungleichen Ergebnissen die politischen Debatten beherrscht. Vor allem müssen die Bestrebungen, einzelne Anteile zu schützen, mit den Bestrebungen, den Kuchen zu vergrößern, in Einklang gebracht werden. Dies erfordert den Aufbau neuer Partnerschaften, die auf einer für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit beruhen, und eine Reform der internationalen Regelwerke, um eine breitere Verteilung der Vorteile zu gewährleisten. Wenn diese Bemühungen scheitern, wird jeder Teil des Kuchens schrumpfen, und die Länder werden letztlich darum wetteifern, wer am wenigsten verliert. (Tobias Bunde, Sophie Eisentraut, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 15.2.2024)