Wien – Der österreichische Medienwissenschafter, ZDF-Verwaltungsrat und Mitbegründer des Momentum-Instituts Leonhard Dobusch empfiehlt dem ORF und anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die sich beim Streaming an Netflix orientierten, wieder Youtube als Vorbild. Und er unterstreicht in einem Vortrag beim Presseclub Concordia seine Forderung an den ORF, er solle Info- und Bildungsprogramme für Wikipedia verwendbar lizenzieren.

Wirtschaftswissenschafter, ZDF-Verwaltungsrat, Momentum-Mitbegründer Leonhard Dobusch.
Wirtschaftswissenschafter, ZDF-Verwaltungsrat, Momentum-Mitbegründer Leonhard Dobusch.
Ingo Pertramer

"ORF muss Aufholbedarf erkennen"

"Der ORF muss erkennen, dass er Aufhol- und Nachholbedarf hat", sieht Dobusch am Freitag in der Concordia-Veranstaltungsreihe "Impulse für den ORF" Grundlegendes zu tun auf dem Küniglberg. Seit Jahresbeginn hat der ORF die neue Streamingplattform "ORF On" als Betaversion, nach zehn Jahren Vorbereitung, wie Dobusch anmerkt. Wie andere öffentlich-rechtliche Plattformen orientiere sich der ORF hier an Netflix. "Was ist das für ein Vorbild?" Denn: So ließen öffentlich-rechtliche Unternehmen alle zentralen Möglichkeiten ungenutzt, die das Internet biete, findet Dobusch: kein Rückkanal, keine Kommentare, keine öffentlichen und teilbaren Profile, keine usergenerierten Inhalte. Das geltende ORF-Gesetz schränkt diese Möglichkeiten ein.

Dobusch will kein zweites öffentlich-rechtliches Youtube – eine solche Perspektive einer Öffi-Social-Plattform zeige Digitalkapazunder Sascha Lobo zu Recht als "grotesken Airbus-Quatsch". Der sozialliberale Wirtschaftswissenschafter empfiehlt eine grenzüberschreitende Plattform auf dezentraler technischer Basis wie etwa X-Konkurrent Mastodon, mit offenen Protokollen, offenen Standards, offener Software. ZDF, Schweizer SRG SSR und Anstalten aus Belgien und Kanada arbeiten gemeinsam an einem Public Space Incubator.

Wikipedia "nur eine Frage des Wollens"

Wenn Userinnen und User auf eine solche Plattform schon nicht eigene Inhalte hochladen könnten, dann könnte der ORF auf einer solchen Plattform Inhalte von Kulturinstitutionen oder Universitäten kuratiert präsentieren und auffindbarer machen. Und über eine Anmeldung bei einer solchen Plattform mit der eigenen ORF-Beitrags-Kennung könnte der ORF seine Inhalte für seine Beitragszahler auch im Ausland zugänglich machen.

Dobusch empfiehlt dem ORF auch, seine Inhalte aus Information und Bildung, soweit ohne Agenturmaterial und AKM-pflichtige Musik, mit entsprechenden Lizenzen für Wikipedia-Beiträge zugänglich zu machen. Dort könnten sie möglichst dauerhaft dazu beitragen, Fake News und Desinformation zu bekämpfen. Das ZDF ermöglicht das bereits für Wissensbeiträge seines Formats "Terra X". Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und die Wissensplattform Wikipedia sieht Dobusch als "Traumpaar": "Das ist nur eine Frage des Wollens. Das ORF-Gesetz verbietet das jedenfalls nicht", betont er. Verwertungsrechte für Wikipedia-Lizenzen ließen sich "aufkommensneutral" gestalten, glaubt Dobusch.

"Zwang zum Kompromiss"

Einen Tipp für den Gesetzgeber hat Dobusch noch, wenn dieser die Bestellungsregeln für ORF-Aufsichtsgremien neu gestaltet – das verlangt der Verfassungsgerichtshof bis Ende März 2025: Der Wirtschaftswissenschafter, der selbst im ZDF-Verwaltungsrat sitzt, empfiehlt wie bei deutschen Anstalten etwa bei der Bestellung des Managements "qualifizierte Mehrheiten" und damit den "Zwang zum Kompromiss" zwischen Fraktionen und Interessengruppen im Aufsichtsgremium. Derzeit reicht die einfache Mehrheit in offener Abstimmung für die Bestellung. Die anstehende Neugestaltung der ORF-Gremien ist der Anlass für die Veranstaltungsreihe des Presseclubs Concordia. (Harald Fidler, 1.3.2024)