Wien – Auch in diesem Jahr liegt wieder eine Vielzahl an Volksbegehren in Österreichs Gemeindeämtern auf. Von 11. bis 17. März können gleich 14 Initiativen unterschrieben werden – so viele wie noch nie in einer einzelnen Eintragungswoche. Die Themen sind breit gestreut: Drei Volksbegehren fordern etwa ein klares Bekenntnis zur Neutralität, eine andere Initiative will einen angeblichen "Elektroauto-Zwang" in Österreich verhindern. Außerdem wird um Unterschriften für eine tägliche Turnstunde und gegen Lebensmittelverschwendung geworben. Alle Initiativen brauchen zumindest 100.000 Unterstützungen, damit sie im Parlament behandelt werden.

Seit rund fünf Jahren schießt die Zahl der Volksbegehren regelrecht in die Höhe. Bisher war 2023 mit 19 Volksbegehren jenes Jahr mit den meisten Initiativen. Im Jahr 2024 wird dieser Rekord vermutlich überholt, denn eine zweite Eintragungswoche in den nächsten Monaten ist recht wahrscheinlich. Dutzende Volksbegehren befinden sich aktuell erst in der Unterstützungsphase. Das heißt: Die Eintragungswoche steht noch bevor. Zum Vergleich: In der Zeit von 2000 bis 2019 gab es insgesamt nur 20 Volksbegehren.

Erreicht ein Volksbegehren 100.000 Unterschriften, wird es im Plenum des Nationalrats behandelt.
APA/EVA MANHART

Während manche von einem begrüßenswerten Boom der direkten Demokratie sprechen, sehen viele die hohe Anzahl der Volksbegehren aber kritisch. Besonders deshalb, weil es immer wieder die selben Personen sind, die ein Volksbegehren einleiten. In der aktuellen Eintragungswoche im März stammen alleine acht von 14 Volksbegehren von nur zwei Personen. Vier davon initiierte Robert Marschall, der unter anderem mit seiner EU-Austrittspartei bei der Nationalratswahl 2017 antrat und bereits mehr als ein Dutzend Volksbegehren einleitete.

Türkis-Grün plant Reform

Viele vermuten hinter der Flut an Initiativen ein lukratives Geschäftsmodell. Denn den Initiatorinnen und Initiatoren steht eine fünffache Kostenrückerstattung der eingebrachten Gebühren von 3.400 Euro pro Volksbegehren zu, sofern es die Grenze von 100.000 Unterschriften überschreitet. Macht also 17.000 Euro pro Initiative.

In den vergangenen drei Jahren gab es besonders viele Volksbegehren.
Der Standard

Auch die Bundesregierung spricht von "wirtschaftlichen Interessen" einzelner Personen und will das Volksbegehrengesetz, für dessen Änderung eine Zweidrittelmehrheit im Parlament benötigt wird, reformieren. Angedacht ist etwa nur die Kostenrückerstattung der tatsächlich entstandenen Kosten für das jeweilige Volksbegehren. Wann die Novelle beschlossen wird, ist noch unklar. Aktuell sei man in Gespräche mit allen Parteien, hieß es am Montag von ÖVP und Grüne auf STANDARD-Anfrage. "Wir sind auf eine gute Lösung aus, die die direkte Demokratie tatsächlich stärkt", betont Justizsprecherin Agnes Prammer (Grüne).

Weniger Interesse an Volksbegehren

Politologe Thomas Hofer sieht jedenfalls in der aktuellen Entwicklung eine "inflationäre Verwendung" der Volksbegehren – die regelmäßig hohe Anzahl der Initiativen würde dazu führen, dass sich immer mehr Menschen wenig bis gar nicht dafür interessieren. Früher sei ein Volksbegehren ein selteneres Ereignis gewesen und Initiatorinnen und Initiatoren hätten sich um mediale Aufmerksamkeit und eine breite Kampagne bemüht. Als Beispiel nennt Hofer etwa das Volksbegehren "Don't smoke" mit knapp 900.000 Unterschriften.

Dies sei laut Hofer aktuell nicht der Fall: "Eigentlich wäre mehr direkte Demokratie förderlich für das Vertrauen in die Politik. Die vielen Initiativen, noch dazu von den selben Proponenten, lassen das Volksbegehren aber verwässern." Das lässt sich auch an den Zahlen der Unterstützungserklärungen beobachten: Während es in der Zeit von 2000 bis 2019 immer wieder Volksbegehren mit mehr als 200.000 Unterschriften gab, hat es von den 19 Volksbegehren im Jahr 2023 nur ein einziges über die 200.000er-Marke geschafft.

Mehrheitlich rechte Themen

Auffällig sei, dass in den vergangenen Jahren viele Volksbegehren Inhalte aus dem rechten Spektrum bespielten. Das ist laut Hofer mit einer Unzufriedenheit gegenüber der Regierung und mit wachsenden Misstrauen in die Politik erklärbar. "Corona-Maßnahmen, Neutralität und regierungskritische Überschriften waren oft das Thema der vergangenen Initiativen. Das emotionalisiert natürlich eine bestimmte Wählerschaft", betont Hofer. Leicht verständliche Themen, die noch dazu polarisieren, hätten ohnehin beim Sammeln von Unterschriften bessere Chancen als komplexe Inhalte. Grundsätzlich hätte aber jedes politische Lager die Möglichkeit, über Volksbegehren zu mobilisieren – unabhängig von der politischen Ausrichtung.

Bisher gab es in der Zweiten Republik insgesamt 91 Volksbegehren. Das erfolgreichste richtete sich gegen den Bau des Austria Center Vienna in Wien im Jahr 1982 und erreichte rund 1,4 Millionen Unterschriften. Das Konferenzzentrum wurde schließlich trotzdem gebaut. Die Volksbegehren können entweder online per ID Austria auf der Seite des Innenministeriums oder auf dem Gemeindeamt (unabhängig vom Hauptwohnsitz) unterschrieben werden. (Max Stepan, 11.3.2024)