Die Menschen leben immer länger. Aber nicht zwingend deshalb, weil die allgemeine Gesundheit immer besser wird, sondern oft aufgrund deutlich fortgeschrittener medizinischer Möglichkeiten. Das ist eine gute Entwicklung, doch sie führt auch dazu, dass jene Jahre, die man in Gesundheit verbringt, im Verhältnis zur Lebenszeit weniger werden.

Das ist ein weltweites Phänomen und stellt Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen. Die meisten gesundheitlichen Probleme ergeben sich durch Erkrankungen des Gehirns und des Nervensystems wie Schlaganfall, Morbus Alzheimer und andere Formen von Demenz. Insgesamt 3,4 Milliarden Menschen – bei einer Weltbevölkerung von 8,17 Milliarden – sind von so einem gesundheitlichen Problem betroffen. Wie die Lage konkret aussieht, wurde nun erstmals in einer Studie untersucht, finanziert von der Bill and Melinda Gates Foundation, die im Fachjournal "Lancet Neurology" publiziert wurde.

Älteres sportliches Paar voller Lebensfreude
Wie man alt wird, ob krank oder gesund, hat man zu einem guten Teil selbst in der Hand. Man ist also gefordert – aber auch staatliche Institutionen müssen entsprechende Voraussetzungen schaffen.
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Die Untersuchung geht auf Daten der Global-Burden-of-Disease-Erhebung aus dem Jahr 2021 zurück. "Weltweit ist die Zahl der Menschen, die an neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Morbus Alzheimer oder anderen Demenzformen, Meningitis und mehr leiden oder daran sterben, substanziell angestiegen. Das liegt am Bevölkerungswachstum und daran, dass die Lebenserwartung in den vergangenen 30 Jahren deutlich gestiegen ist. Weitere Ursachen sind Einflüsse der Umwelt, Stoffwechsel- und Lebensstilfaktoren", schreibt das Autorenteam in der wissenschaftlichen Zeitschrift.

Von Schlaganfall bis Migräne

Am besten lässt sich die Entwicklung dadurch zeigen, wie viele gesunde Lebensjahre wir durch diese Krankheiten verloren haben. Es ist nämlich nicht nur relevant, wie lange man lebt, sondern auch, wie viele dieser Jahre man in Gesundheit verbringt. Vor allem für die Lebensqualität, aber auch als wirtschaftlicher Faktor. Die Zahl der jährlich durch Krankheit, Behinderung oder vorzeitigen Tod verlorenen gesunden Lebensjahre ("DALYs") hat sich im Jahr 1990 weltweit auf 375 Millionen belaufen. Im Jahr 2021 ist diese Zahl auf 443 Millionen gestiegen, das sind um 18 Prozent mehr DALYs.

"Dieser neue Global-Burden-of-Disease-Bericht beleuchtet das Faktum, dass die Krankheitslast durch neurologische Leiden größer als bisher angenommen ist", sagt der Wiener Neurologe und Präsident der World Federation of Neurology, Wolfgang Grisold, dazu. Die Belastung ist dabei sehr unterschiedlich. Länder im fernen Osten mit hohem Bruttosozialprodukt haben die besten Werte. Am schlimmsten ist die Situation in den Staaten in West-, Zentral- und südlichem Afrika.

Wie sieht die Situation nun in Europa aus? In westeuropäischen Ländern sind 68,6 Todesfälle auf 100.000 Einwohner auf neurologische Erkrankungen zurückzuführen, auf 100.000 Personen gibt es im Schnitt 3.114 DALYs, also verlorene gesunde Lebensjahre. Österreich schneidet im Vergleich zu den westeuropäischen Durchschnittswerten etwas besser ab: Hierzulande müssen wir mit 2.963 DALYs beziehungsweise 59,6 Todesfällen pro 100.000 Einwohner und Jahr durch neurologische Erkrankungen zurechtkommen. Frankreich hat ähnliche Werte, Deutschland steht etwas schlechter da.

Den größten Leidensdruck verursachen dabei weltweit zehn Leiden: Schlaganfall, Gehirnschäden durch den Geburtsvorgang, Migräne, Morbus Alzheimer und andere Demenzformen, Nervenschäden als Folge von Diabetes, Meningitis, Epilepsie, neurologische Komplikationen nach Frühgeburten, Autismus-Störungen und Krebskrankheiten des Nervensystems. Die häufigsten neurologischen Leiden waren 2021 Spannungskopfschmerz mit zwei Milliarden Betroffenen und Migräne mit 1,1 Milliarden Betroffenen. Die Zahl der Patienten mit diabetischer Neuropathie hat sich von 1990 bis zum Jahr 2021 auf 206 Millionen Menschen verdreifacht.

Mehr Prävention ermöglichen

Wie kann man das ändern? Immerhin geht es hier um die individuelle Lebensqualität. Und auch wenn die Lage in Österreich etwas besser als ist jene im Durchschnitt westeuropäischer Staaten, leiden auch hierzulande enorm viele Menschen an Kopfschmerzen, Bluthochdruck oder Demenz. Das Zauberwort heißt Prävention. Die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben, dass vor allem ein niedrigerer Blutdruck, weniger Umweltbelastung durch Blei und ein reduzierter Nüchternblutzucker die Situation deutlich bessern würden.

Ein zu hoher Blutdruck ist etwa für 57 Prozent der neurologischen Erkrankungen verantwortlich, man könnte mit besseren Werten 84 Prozent der DALYs durch Schlaganfall verhindern. Eine Reduktion der Umweltbelastung durch Blei könnte helfen, 63 Prozent der intellektuellen Behinderungen zu vermeiden, und ein geringerer Nüchternblutzucker könnte Demenzerkrankungen um 15 Prozent reduzieren.

Ein relevanter Teil der Prävention liegt dabei im Verantwortungsbereich der Politik. Grenzwerte etwa, um Umweltgifte zu verringern, können nur europaweit sinnvoll umgesetzt werden. Auch das Etablieren eines guten Gesundheitswissens, der Health-Literacy, ist zu einem Gutteil in der Verantwortung staatlicher Organisationen. Das Bewusstsein für die eigene Gesundheit sollte schon im Kindergartenalter gestärkt werden, dafür gilt es, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.

Doch wir haben auch vieles selbst in der Hand. Denn nicht einmal zehn Prozent der Voraussetzung für ein gesundes Leben liegen in den Genen, erklärt der Langlebigkeitsforscher Slaven Stekovic im STANDARD-Interview. Der Rest wird vom individuellen Lebensstil bestimmt, und wenn der passe, könne man entspannt 90 oder auch 100 Jahre alt werden und dabei gesund sein.

Risikofaktoren für Demenz

Eines der größten Gesundheitsprobleme im Alter ist eine Form von Demenz. Jede fünfte Person über 85 ist davon betroffen, bei den über 90-jährigen ist es bereits jede dritte. In Österreich sind rund 130.000 Menschen an einer Form von Demenz erkrankt, Tendenz steigend. Man schätzt, dass es bereits 2050 doppelt so viele sind. Und die Betroffenen werden auch immer jünger. Eine großangelegte Untersuchung, die im Fachblatt "Jama Neurology" publiziert wurde, hat nun 15 Risikofaktoren für Demenz ausgemacht.

Dazu gehören unter anderem ein schlechteres sozioökonomischen Umfeld, Einsamkeit, eine Hörbehinderung, Depression, Gesundheitsfaktoren wie Vitamin-D-Mangel und Alkoholmissbrauch. Vor allem Letzterer steigert das Risiko für die neurodegenerative Erkrankung deutlich, er wird in der Untersuchung an dritter Stelle aller 15 Risikofaktoren gereiht, nach Störungen in der Blutdruckregulation und Depressionen.

Fünf Tipps für langes Leben

Doch wie kann man das Leben nun konkret verlängern und dabei gesund bleiben? Das ist an sich simpel. Ein wichtiger Hebel ist die Ernährung. Die sollte auf pflanzlicher Basis sein, Fleisch ist nur Beilage, und wenn, dann am ehesten Geflügel oder Fisch. Als Eiweißquelle sind Hülsenfrüchte eine hervorragende Alternative. Obst und Gemüse sollte möglichst bunt auf dem Teller sein, so bekommt man ziemlich sicher alle nötigen Vitamine, Spurenelemente, sekundären Pflanzen- und Ballaststoffe. Und Fermentiertes ist eine gute Nahrungsquelle für ein gesundes Mikrobiom im Darm.

Bewegung sollte regelmäßig auf dem Plan stehen. Hier kann man sich an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientieren, die ein Mindestmaß von 150 Minuten moderater oder 75 Minuten intensiver Bewegung pro Woche empfiehlt, aufgeteilt zwischen Kraft- und Ausdauertraining und Dehnungsübungen. Mehr ist natürlich immer möglich und auch gut.

Stress zu reduzieren ist ein wirkliches Wundermittel. Kurze, abgegrenzte Stressphasen sind dabei kein Problem. Doch wenn man dauerhaft unter Druck steht, ohne Pausen, ist der Cortisolspiegel ständig erhöht, das löst stille Entzündungen im Körper aus. Und die wiederum sind ein wesentlicher Faktor für zahlreiche Lebensstilerkrankungen, von Krebs bis Depressionen. Also Stress rausnehmen und auf Entspannungsübungen setzten, damit das parasympathische Nervensystem zum Zug kommt.

Nicht nur Arbeitspausen, auch Essenspausen sind wichtig. Denn der Verdauungstrakt braucht Zeit, um alles Aufgenommene zu verarbeiten, wird ständig nachgeschoben, belastet ihn das. Nimmt man außerdem über längere Phasen, etwa 14 bis 16 Stunden, keine Kalorien zu sich, springt das körpereigene Zellrecyclingprogramm, die Autophagie, an. Alte oder beschädigte Zellbestandteile werden dabei abtransportiert, das hilft, Krankheiten vorzubeugen.

Schließlich ist guter Schlaf ein Kernelement für langes, gesundes Leben. Wer chronisch zu wenig oder schlecht schläft, vor allem in den mittleren Lebensjahren, hat später ein deutlich höheres Demenzrisiko. Denn im Tiefschlaf regeneriert sich das Gehirn und baut fehlgefaltete Proteine ab. Deshalb Hände weg von den diversen Bildschirmen am Abend. Das hat gleich zwei Vorteile: Man nimmt weniger Blaulicht auf – das emittieren die Bildschirme, es hemmt aber die Produktion des Schlafhormons Melatonin –, und man hat automatisch weniger Stress, wenn man stattdessen etwa ein Buch liest. (APA, kru, 15.3.2024)