Gegen 17 Uhr ist die kleine Bäckerei Tho in der Wiener Leopoldstadt bereits rammelvoll. Aber warum "bereits"? Ist es um fünf nicht schön langsam Zeit für einen Bäcker, die Tür abzuschließen? Nicht für Paul Thomann. Anfang Februar hat der Südsteirer ein kleines Geschäft in der Ferdinandstraße aufgemacht, das überhaupt erst ab 14 Uhr frisches Brot anbietet. Zu einer Zeit also, wenn die Menschen im Grätzel schon ans Abendessen denken und dafür vielleicht noch auf der Suche nach einem Laib Roggenbrot oder nach einem knusprigen, fluffigen Baguette sind. Doch Thomann versteht sich ebenso als Greißler, der allerlei Spezereien verkauft und glasweise Wein ausschenkt. Vor allem letzteres Angebot scheint gut angenommen zu werden in seiner Bäckerei, die innerhalb kürzester Zeit zum After-Work-Treffpunkt für die Nachbarschaft geworden ist. Ah ja, und backen kann Thomann nicht zuletzt, weil er zwei Jahre lang bei Joseph Brot das Sortiment mitbestimmt, aber ebenso in der Produktion gearbeitet hat. Deshalb haben wir ihn auch gefragt, was seiner Meinung nach gutes Brot auszeichnet.

STANDARD: Sie haben ein Studium abgeschlossen. Warum haben Sie sich trotzdem fürs Brotbacken entschieden?

Thomann: Die Idee war früh in meinem Kopf. Ich hatte immer eine Bewunderung fürs Handwerk und finde es schön, was dahintersteht und was am Ende des Tages herausschaut. Es ist eine unglaublich befriedigende Arbeit.

Die Bäckerei
Die Bäckerei Tho von Paul Thomann in der Wiener Ferdinandstraße.
Sascha Aumüller

STANDARD: Und die Fähigkeit dazu kommt woher?

Thomann: Das eigene Brot als Beruf ist erst später gekommen. Ich habe aber schon zuvor in der Bäckerbranche gearbeitet, zum Teil im Verkauf und zum Teil im Produktmanagement, aber auch in der Produktion. Dort habe ich umso mehr gespürt, dass es das ist, was mir Spaß macht.

STANDARD: Man sollte wahrscheinlich gern mit Teig arbeiten, gerne ins Mehl greifen, nicht davor zurückscheuen, sich anzupatzen?

Thomann: Ich denke, das Verlangen, etwas mit den Händen zu machen, haben viele Leute. Vor allem die, die mit dem Kopf arbeiten. Und ja, ich kann das so bestätigen. Es ist wunderbar, in die Teigwanne zu greifen, den Teig auf die Tafel zu kippen und in die Masse reinzuarbeiten.

STANDARD: Weil wir bereits mitten in der Materie stecken: Was macht gutes Brot aus?

Thomann: Wenn man es ganz weit fasst: Es beginnt beim Rohstoff. Also gutes Getreide und in Folge gutes Mehl. Das ist der Part, auf den ich keinen Einfluss habe, ich muss also einen guten Lieferanten finden. In dem Fall ist es eine hervorragende Lieferantin aus Raabs an der Thaya im Waldviertel. In sie habe ich absolutes Vertrauen und füge mich. Das Zweite ist dann natürlich: Was machst du draus? Ich versuche, für das Getreide, für das Mehl Rezepte zu kreieren, bei denen ein guter Geschmack rauskommt. Die Verträglichkeit und die Frischhaltung sind aber genauso wichtig unter diesen drei Eckpfeilern.

STANDARD: Stichwort "Frischhaltung". Heißt das, qualitativ hochwertiges Brot sollte auch länger halten?

Thomann: Absolut, vor allem wenn man gegenrechnet. Wer billiges Brot nimmt, kauft viel und schmeißt viel davon weg. Sehr gutes Brot hält dagegen die ganze Woche. Am Ende hat man vielleicht sogar gleich viel bezahlt, bestimmt aber dem Körper etwas Gutes getan und vielleicht sogar einen kleinen Handwerksbetrieb unterstützt. Es ist auf alle Fälle besser, sich für Qualität zu entscheiden.

STANDARD: Wovon hängt die Haltbarkeit ab?

Thomann: Was man pauschal sagen: Je höher der Roggenanteil, desto besser die Frischhaltung. Man kann aber auch mit ein paar Tricks arbeiten. Tricks im positiven Sinne. Man lasst einfach den Teig länger stehen, besser fermentieren, besser verquellen, damit die Mehle die Flüssigkeit besser binden und nicht so schnell wieder freigeben. Dadurch erreicht man auch bessere Frischhaltung. Letztlich also vor allem über den Zeitfaktor.

STANDARD: Das beeinflusst dann auch die Kosten?

Thomann: Natürlich, denn es gilt, auch die Lagerung mitzudenken. Darauf verzichten halt viele Bäcker, was sich wiederum sofort bei der Qualität niederschlägt.

Paul Thomann neben einem Brot-Regal in seiner Bäckerei 
Thomann bäckt nur so viel, wie er mit eigenen Händen täglich bewältigen kann.
Sascha Aumüller

STANDARD: Schimpfen manche Kunden über zu hohe Preise?

Thomann: Eher nicht, obwohl wir alle ein bisserl versaut sind von dem, was es alles billig im Supermarkt zu kaufen gibt. Doch viele Handwerksbetriebe haben da bereits gute Vorarbeit geleistet, der Öfferl oder der Joseph etwa. Die haben ein Bewusstsein geschaffen, dass Qualität mehr kosten kann und zum Teil auch muss.

STANDARD: Gibt es ein Patentrezept, wie gutes Brot beschaffen sein muss? Etwa, was die Krume und die Kruste betrifft?

Thomann: Da hat jeder Bäcker seine eigene Philosophie. Aber ich schaue mir die Laibe jeden Tag ganz genau an und finde immer was, was mir nicht gefällt. Bei der Kruste bin ich zum Beispiel superkritisch. Die Art, wie sie aufreißt. Da verlasse ich mich schon sehr auf mein Gefühl, das mich hie und da auch im Stich lässt. Aber eigentlich ist das nur ein optisches Thema und hat nichts mit der Qualität zu tun.

STANDARD: Die Österreicher sind dunkles Brot gewohnt und schimpfen gerne, dass es anderswo kein ordentliches Brot gibt. Wissen wir gutes Weißbrot einfach nicht zu schätzen?

Thomann: Österreich ist ein Brotland. Wir haben einen sehr hohen Pro-Kopf-Verbrauch. Ich persönlich esse zum Beispiel dreimal am Tag Brot. Aber erst die Vielfalt macht es möglich, dass wir es so oft essen können. Wir sind zwar eindeutig ein Roggenland, da gibt es hochqualitatives Getreide bei uns. Aber auch Weißbrot ist immer mehr Thema. Die Leute suchen augenblicklich das Helle, das Luftige, das Leichte. Da ist viel passiert bei handwerklichem Brot. Alle wollen diesen prototypischen Artisan-Laib, der große Bubbles hat, außen schön knusprig und superdunkel gebacken ist. Dieses Bild hat unser Handwerk schon mitgeprägt in den letzten Jahren. Aber nichtsdestotrotz ist das dunkle Brot zumindest bei mir sehr gefragt.

STANDARD: Sind qualitativ hochwertige Lebensmittel nicht nur etwas für wenige, die sie sich leisten können?

Thomann: Ich möchte nichts schönreden. Eine alleinerziehende Mama mit drei Kids kann nicht zum Bäcker gehen und um acht Euro einen Laib Brot kaufen. Was man aber sicher beeinflussen kann, ist, bewusster einzukaufen. Wenn ich gewisse Dinge in einer anderen Frequenz kaufe und den Fokus auf das lege, was ich da zu mir nehme, gibt es schon noch sehr viel Spielraum.

STANDARD: Wie essen Sie am liebsten Brot?

Thomann: Ich bin da sehr puristisch. Mein Anspruch an meine Brote ist, dass sie für sich so viel Geschmack haben, dass ich gar nicht das Verlangen habe, viel dazuzuessen. Aber ich bin ein Butterbrotnarr. So viel Butter, dass man den Abdruck der Zähne sehen kann.

Brotregale und Paul Thomann
Am Nachmittag räumt Thomann das Brot erst her und nicht schon wieder weg, weil er um 14 Uhr aufsperrt.
Sascha Aumüller

STANDARD: Gesalzene oder ungesalzene Butter?

Thomann: Meistens ungesalzen. Der Einsatz von Sauerteig relativiert ein wenig den Salzgehalt. Da kannst du auf Salz verzichten, weil das Mehr an Geschmack vom Teig kommt.

STANDARD: Warum würzen wir Brot in Österreich so stark?

Thomann: Brot hat früher einen wesentlichen Anteil von einer Mahlzeit ausgemacht, also sollte es auch nach etwas schmecken. Wir sagen über Brot gern: "Das schmeckt wie früher." Aber ich bin nicht sicher, ob es gut ist, wenn Brot wie früher schmeckt. Ich denke, die allgemeine Qualität war nicht so hoch. Deshalb bin auch auch beim Würzen eher puristisch angehaucht. Ich habe tatsächlich noch kein Brot im Sortiment, wo typische Gewürze wie Fenchel, Kümmel Koriander oder Anis reinkommen.

STANDARD: Wie sieht es mit Unverträglichkeiten wie Gluten-Intoleranz aus? Sind die nur eine Modeerscheinung, oder steckt doch mehr dahinter?

Thomann: Die Intoleranzen haben offensichtlich mit dem zu tun, was wir über die letzten Jahrzehnte konsumiert haben. Brot und Gebäck, die möglichst schnell produziert müssen, sind nicht förderlich für die Gesundheit. Aus meiner Erfahrung heraus sind tatsächlich bereits viele Leute betroffen. Und man merkt es ja auch selbst. Iss mal eine Semmel, die schnell aufgeplustert worden ist, und schau danach, wie es dir geht. Und dann iss eine vom Handwerksbäcker. Ich bin davon überzeugt, nach der zweiten gibt es keine Magenprobleme.

STANDARD: Warum ist das so?

Thomann: Das hat wiederum mit der Fermentation zu tun. Die zersetzt alles bis in die letzten Einzelteile, sodass das Brot quasi schon vorverdaut ist. Dadurch ist es für einen Organismus ein Leichtes, das final umzuwandeln.

STANDARD: Wie sieht es mit Weizen aus? Der gilt als böse und hat ein schlechtes Image.

Thomann: Es gibt halt auch da sehr unterschiedliche Qualitäten. Sorten, die auf hohen Ertrag getrimmt sind, bereiten wenig Freude im Sinne der Verträglichkeit. Es gibt aber auch den guten Bioweizen, der ohne jegliche chemisch synthetische Mittel auskommt und ohne Gentechnik. Weizen ist grundsätzlich eine gezüchtete Sorte. Man kann also noch einen Schritt zurückgehen und für besseres körperliches Wohlbefinden nur mit Dinkel arbeiten oder mit Weizensorten, die noch keine Kreuzung hinter sich haben.

STANDARD: Es war vom Wohlfühlen die Rede. Inwieweit kann eine Bäckerei ein sozialer Ort sein?

Thomann: Mein Ziel ist es, für mein Grätzel Nahversorger zu sein. Die meisten von uns kennen das noch, dass wir immer wieder zu dem einen Betrieb gegangen sind, egal ob das jetzt ein Bäcker, ein Fleischhauer oder der Schuster war. Das wiederzubeleben, fände ich schön, weil die Stadt ja auch sehr anonym sein kann. Aber wenn du einen Handwerksbetrieb aufmachst, merkst du, dass es anders sein kann. Auf einmal kommen die Leute regelmäßig rein, und du merkst, es ist ein Treffpunkt für Nachbarn und Nachbarinnen geworden. (Sascha Aumüller, 24.3.2024)