Früher sei die "Magenfrage" vor allem für die ärmsten Bevölkerungsschichten relevant gewesen, schrieb die "Österreichische Volkszeitung" gegen Ende des Jahres 1916. Im dritten Kriegsjahr spürte aber auch der sogenannte Mittelstand einen zunehmenden Druck in der Haushaltskasse – und in der Folge auch in der Magengegend:

(…) Brot, Milch, Kartoffeln, Mehl, Kaffee, Zucker, Petroleum, Butter, Schmalz. Wo man die Sachen bekommt, wann man sie bekommt, in welchem Ausmaße, in welcher Beschaffenheit, das alles bildet jetzt die neue Magenfrage, und diese erstreckt sich jetzt auf Volksteile, die früher von ihr unberührt geblieben waren.
Österreichisches Volkszeitung, 3.12.1916: "Die brennende Magenfrage"

Die Unruhe in der Bevölkerung wuchs, es kam zu Hungerkrawallen. Die Reichshauptstadt Wien füllte sich mit mobilisierten Soldaten und Flüchtlingen. Maßnahmen der Kriegsfürsorge und Kriegswohlfahrt wurden immer bedeutender. Ein Amt für die Volksernährung, Ende 1916 gegründet, sollte die vielen Initiativen zur Ausspeisung der Bevölkerungsmassen koordinieren und eine erschwingliche Lebensmittelversorgung gewährleisten.

Bedarf an Kriegsküchen

Im Januar 1917 publizierte das Amt für Volksernährung einen "Kriegsküchenerlass", um die Gründung von Kriegsküchen aller Art zu propagieren:

Da es die Lage der Lebensmittelmärkte immer schwieriger erscheinen läßt, die einzelnen Nährstoffe, insbesondere die staatlich bewirtschafteten Artikel, rechtzeitig und gleichmäßig in den als zulässig erklärten Kopfquoten dem einzelnen Verbraucher zuzuführen, und da es im Falle einer längeren Dauer des Krieges überhaupt notwendig sein wird, den Grundsätzen weitgehender Sparsamkeit beim Verbrauche von Lebensmitteln erhöhtes Augenmerk zuzuwenden, hat sich das k.k. Amt für Volksernährung entschlossen, öffentlich organisierten, im Rahmen der Verbrauchsregelung eingerichteten Ausspeiseaktionen ein möglichst großes Anwendungsgebiet zu sichern. Hierdurch werden sich nicht nur die bestehenden Verteilungsschwierigkeiten ausschalten oder wesentlich mindern lassen, sondern es werden auch die Bürgschaften für eine denkbar sparsame Verwendung der vorhandenen Nährstoffe gegeben sein.
Erlaß des k.k. Amtes für Volksernährung an sämtliche politische Landesbehörden, betreffend die Errichtung von Kriegsküchen, S. 1. Zitiert nach Sprenger-Seyffarth: Kriegsküchen in Wien und Berlin, 2023.

Eine zentrale Rolle im Netz der Kriegsküchen spielte die "Wiener Frauenhilfsaktion", die auf einer Zusammenarbeit der größten Frauenverbände – dem Bund Österreichischer Frauenvereine, der Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs, der Katholischen Frauenorganisation Niederösterreichs, des christlichen Wiener Frauenbunds und der sozialdemokratischen Frauenorganisation – basierte.

Die Versorgungssituation erforderte neue Ideen und eine bessere Koordination der vielen Initiativen. Die Hausfrauen wurden in der privaten Kriegsküche geschult, entsprechende Rezepte publiziert. Ein Blick nach Berlin zeigte, dass sich neben mobilen Küchen vor allem die Förderung von zielgruppenorientierten, günstigen Gemeinschaftsküchen eine sinnvolle Ergänzung bewährt hatte. Bürokratie und organisatorische Probleme verzögerten jedoch den nötigen Ausbau von Massenausspeisungen bis ins Jahr 1917 hinein.

Marianne Sterns Kochbuch
Marianne Sterns Kochbuch "Zeitgemäße Kriegsküche" (Wien 1918).
Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / Public domain

Schwarzwalds Wurzeln in Galizien

Die Wiener Bildungsaktivistin, Frauenrechtlerin und Salonière Eugenie Schwarzwald gehörte zu jenen, die bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn für die Gründung von Gemeinschaftsküchen geworben hatten. 1872 in einem galizischen Dorf bei Tarnopol in der heutigen Ukraine als Eugenie Nussbaum geboren, verbrachte sie den Großteil ihre Kindheit in der bukowinischen Hauptstadt Czernowitz, wo sie auch die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt besuchte. Im Alter von 23 Jahren ging sie nach Zürich, denn nur dort waren Frauen an der Universität zugelassen. 1902 schloss sie ihr Studium der Germanistik, Anglistik, Philosophie und Pädagogik ab und wurde als eine der ersten Österreicherinnen zur Doktorin der Philosophie promoviert.

Schon im Jahr davor hatte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem 1871 in Czernowitz geborenen Juristen Hermann Schwarzwald, ein Wiener Mädchenlyzeum erworben. Rasch sollte sich die etwas in die Jahre gekommene Anstalt am Franziskanerplatz unter ihrer Führung zur besten und modernsten Mädchenbildungsanstalt der Stadt entwickeln. Die Zahl der Mittelschülerinnen stieg bald in die Hunderte, die Angebote wurden um wissenschaftliche, aber auch praktische Fortbildungskurse und Schulen für Kinder ausgebaut.

Postkarte mit der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Czernowitz von 1902
Postkarte mit der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Czernowitz von 1902.
Bibliothek des Instituts für Ethnologie, Ukrainische Akademie der Wissenschaften, Lviv/Lemberg, Ukraine

Pionierin der Mädchenbildung

Ein besonderes Wagnis war die Eröffnung einer "gemischten" Volksschule. Schwarzwald war überzeugt, dass die sogenannte Koedukation, der gemeinsame Unterricht von Mädchen und Buben, für beide Geschlechter von erzieherischem Vorteil sei. In ihrer Reformschule, die später über dem berühmten Literatencafé Herrenhof in der Herrengasse 10 residierte, lehrten viele Freunde der Familie, die auch im Salon ihrer Wohnung in der Josefstädterstraße 68 verkehrten, unter ihnen Oskar Kokoschka, Adolf Loos und Hans Kelsen.

Der berühmte Schulreformer des "Roten Wien", Otto Glöckel, sollte später massive Anleihen an den pädagogischen Ideen Eugenie Schwarzwalds nehmen. Schwarzwald selbst baute ihre Arbeit eher auf eine Mischung aus Unternehmertum und Philanthropie: als private Einrichtung verlangte man Schulgeld. Mittellosen, begabten Mädchen wurde dieses aber auf Ansuchen hin erlassen.

"Hemme" und "Genia" Schwarzwald

Zeit ihres Lebens sollten "Genia" und Hermann, genannt "Hemme", ein nahezu unschlagbares Team bleiben. Der an den Universitäten Czernowitz und Wien ausgebildete Jurist nahm verschiedene Schlüsselrollen im Handels- und später im Finanzministerium ein und leistete insbesondere mit der Leitung der Kredit- und Währungssektion (1919 bis 1924) einen wesentlichen Beitrag zur Geldstabilität in Österreich. Seine Gattin erweiterte in der Zwischenzeit ihre bildungspolitischen und publizistischen Aktivitäten Schritt für Schritt um eine Reihe von sozialen Maßnahmen.

Eugenie Schwarzwald, um 1904
Dr. phil. Eugenie Schwarzwald, um 1904.
Public domain

Reformgasthäuser ohne Alkohol und Trinkgeldzwang

Ihre Idee zur Gründung von Gemeinschaftsküchen, wie sie sie zu Kriegsbeginn formulierte, verfingt jedoch nicht sofort. Ohnehin rechnete man mit einem raschen Kriegsende. Außerdem fürchteten konservative Stimmen eine Zerstörung des Familienlebens, würde mittags auswärts gegessen, noch dazu in Form von Einheitsmenüs und ohne Trinkgeldzwang.

Darüber hinaus gehörte zum bereits seit einigen Jahrzehnten bekannten Konzept der Reformgasthäuser auch ein striktes Alkoholverbot. So hielt es "Fraudoktor" (ihr zweiter Spitzname) auch in ihrem "offenen Haus" in der Josefstadt – was jedoch weder der intellektuellen Inspiration noch dem Vergnügen Abbruch tat, glaubt man den zeitgenössischen Berichten über die Gastfreundschaft des Ehepaars Schwarzwald.

Die Gründung der Schwarzwaldküchen

Schon 1904 hatte Eugenie Schwarzwald Ideen von "Speisehäusern ohne Trinkzwang" und – angesichts des übermäßigen Fleischkonsums der Wiener – "Obst für das Volk" ventiliert. Jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Der alle Lebensbereiche umfassende Druck, den der nicht enden wollende Krieg auf die Gesellschaft ausübte, eröffnete ihr nun die Möglichkeit, nicht nur soziale Ideen, sondern auch ihre ernährungspolitischen Visionen in die Tat umzusetzen.

Neben verschiedenen Heimen und Erholungseinrichtungen konstituierte sie den "Verein zur Errichtung und Erhaltung von Gemeinschaftsküchen in Wien", unter dessen Dach im Frühjahr 1917 die ersten Gemeinschaftsküche Schwarzwald'schen Zuschnitts eröffneten. Sie baute dabei auf bereits etablierte Konzepte und Erkenntnisse auf.

Den Vereinsmitgliedern sollten Menüs um günstige 2,5 Kronen in einem einfachen, aber ansprechenden Umfeld geboten werden. Adolf Loos, der sich schon um die Privatwohnung der Schwarzwalds wie auch um Eugenies Schule architektonisch gekümmert hatte, gestaltete die Gasträume im Akazienhof in der Thurngasse 4 im neunten Bezirk. Gleichzeitig eröffnete auch die Gemeinschaftsküche "Zur Deutschen Wacht" im Schulvereinshaus in der Florianigasse 39.

Teil des Kriegsküchen-Netzwerks

Die Gründung dieser und einer Reihe weiterer "Schwarzwaldküchen" fiel in eine Phase des allgemeinen Bemühens um den Ausbau des Kriegsküchen-Netzwerks, das zu einem guten Teil von privaten Initiativen, Vereinen und Verbänden getragen wurde. Hunderttausende Wienerinnen und Wiener wurden auf diese Weise in Kriegs- und Volksküchen, später auch mit mobilen Ausspeisungen verköstigt, teils kostenlos, teils mit nach den jeweiligen Möglichkeiten gestaffelten Kostenbeiträgen.

Oft war es nicht die Armut allein, sondern auch der Mangel an Zeit, um sich stundenlang um Lebensmittel anzustellen und sie danach auch noch zuzubereiten. Die Frauen, in der Familie traditionell für den Haushalt zuständig, wurden, wie auch Kinder, für den Kriegseinsatz an der "Heimatfront" gebraucht. Sie ersetzten die fehlenden Männer in allen Bereichen des Arbeitslebens – in der Industrie, im öffentlichen Dienst, in der Landwirtschaft – während sie sich freilich weiterhin um die Familie kümmerten.

Sozialgastronomie als Zielgruppenarbeit

Verstärkt eröffneten Kriegsküchen für bestimmten Bevölkerungsschichten, von Beamten über Privatangestellte bis hin zu Künstlern. Kinder, insbesondere aus der Arbeiterschicht, blieben freilich stets die wichtigste Zielgruppe.

Eugenie Schwarzwald hatte wohl ihr Salonpublikum vor Augen, als sie ihre Speiseetablissements ins Leben rief. Nicht zufällig nannten sie sich "Mittelstandsküchen", die sich zwischen Stadtrestaurant und Volksküche verorteten. Hier sollten verarmte "Festbesoldete", aber auch Künstler und Intellektuelle ein anständiges Mahl bekommen und sich die hohen Kosten für das individuelle Besorgen und Zubereiten der Lebensmittel sparen. "Take away" war ebenfalls möglich.

Die vereinsmäßig organisierten Betriebe machten keinen Gewinn, sondern arbeiteten lediglich kostendeckend, im Sinne einer Selbsthilfe für die Vereinsmitglieder. Diese durften nicht mehr als 8.000 Kronen im Jahr verdienen. Einnahmen ergaben sich aus der Geschäftstätigkeit, Veranstaltungen, Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Erbschaften und der Unterstützung seitens der öffentlichen Hand.

Schwarzwald und ihre Mitstreiterinnen trieben tagtäglich Lebensmittel aus halb Europa auf. Oft wusste man nicht, was am nächsten Tag auf dem Menü stehen konnte. Den Umständen entsprechend war "Schmalhans Küchenmeister" tonangebend. Nur für das einjährige Jubiläum im März 1918 gab es in der von Berta Pacher geleiteten "Deutschen Wacht" ein besonderes Menü: Zur Suppe reichte man auch eine Vorspeise, dann Braten mit Schwarzwurzeln und Spinat, abschließend Apfelstrudel.

Bericht über den Besuch der Erzherzogin Isabella in der Schwarzwaldküche
Bericht über den Besuch der Erzherzogin Isabella in der Schwarzwaldküche "Akazienhof" in der "Illustrierten Kronen-Zeitung" am 5.6.1917.
Public Domain / ÖNB Anno

Der Erfolg der Gemeinschaftsküchen

Der Andrang auf die Gemeinschaftsküchen war groß. Zigtausende Menschen mussten vorerst abgewiesen werden, bis sich andere Organisationen dem Verein anschlossen und rasch weitere Küchen gegründet werden konnten.

Im letzten Kriegsjahr betrieb Schwarzwalds Verein sieben Küchen mit 165 Angestellten, von denen sie selbst fünf leitete. Rund 5.000 Personen wurden täglich verpflegt. "Liebevoll und sorgfältig" würde gearbeitet, berichtete Schwarzwald auf der Hauptversammlung der Organisation. Der Grundsatz des Vereins, bescheidene Speisenfolgen in möglichst ansprechender Form, an weißgedeckten, blumengeschmückten Tischen bei guter Bedienung zu bieten, habe sich sehr bewährt, schrieb die "Neue Freie Presse" am 1. Juli 1918.

Im zweiten Teil wird es um den "Export" der Schwarzwaldküchen nach Berlin, ihre Weiterentwicklung zu Reformgasthäusern sowie das traurige Ende Eugenie Schwarzwalds und ihrer Projekte im Nationalsozialismus gehen. (Florian Kührer-Wielach, 11.4.2024)