Egisto Ott
Führte ein für die öffentliche Sicherheit Österreichs gefährliches Eigenleben: Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott.

Im Juli 2017 hatte Egisto Ott ein besonderes Anliegen. Der Verfassungsschützer, im früheren Bundesamt für Verfassungsschutz- und Terrorismusbekämpfung (BVT) damals noch im Bereich "Verdeckte Ermittlung" tätig, suchte per Mail im Bundeskriminalamt um einen Abgleich von Fingerabdrücken an. Ott bat um "dringende Unterstützung", erklärte vage, dass es um eine extremistische oder terroristische Störaktion in Bezug auf eine internationale Konferenz gehe. Über dem Schreiben prangte in roten Lettern "Verschluss". Die Ermittlungen waren aus Sicht der Empfänger also höchst sensibel. Möglicherweise war das aber nur eine geschickte Finte von Ott.

Was damals nämlich noch nicht allen klar war: Ott soll zu jener Zeit versucht haben, gemeinsam mit mutmaßlichen Komplizen einen flüchtigen hochrangigen Ex-Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes (FSB) aufzuspüren – jedoch ohne dienstlichen Auftrag. Zumindest in Österreich.

Verfolgen und "enttarnen"

Die heimischen Ermittler gehen davon aus, dass der angeforderte Abgleich der Fingerabdrücke bloß ein Vorwand dafür gewesen sein könnte, um einen Auftrag aus Russland für "unbekannte Dritte" auszuführen. Konkret sei es mutmaßlich darum gegangen, eine "Falschidentität" des abtrünnigen russischen Geheimdienstlers zu enthüllen, um so dessen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Das geht aus Dokumenten hervor, die dem STANDARD vorliegen. Seit Ende März sitzt Ott wegen des Vorwurfs der Russland-Spionage erneut in Untersuchungshaft. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Laut Ermittlungsakt sei rund um den in Misskredit geratenen FSB-Offizier ein hoher Aufwand getrieben worden. So dürften über Otts Kontakte aus dessen Zeit als türkischer Verbindungsbeamter Gästelisten eines Hotels in der Türkei durchleuchtet worden sein, ebenso die Fluggastdatenbank der Turkish Airlines. Aber auch ein Beamter des früheren Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) in Wien soll Ott behilflich gewesen sein.

Die Yacht in Kroatien

Mit jenem LVT-Beamten sei es im August 2017 in einem Wiener Café zu einem Treffen gekommen. Er sollte, so der Vorwurf, eine Passagierliste für eine Yacht in kroatischen Gewässern in Erfahrung bringen. Unter dem mutmaßlichen Vorwand, dass sich auf dem Boot ein russischer Geheimdienstoffizier befinde, der sich mit einer größeren Geldmenge abgesetzt habe und unter falscher Identität mit einem EU-Reisepass reise. Der Wiener Staatsschützer dürfte die Passagierliste mithilfe kroatischer Behörden tatsächlich geliefert haben.

Der verfolgte Offizier hat sich zwar nicht auf der Yacht befunden. Dafür aber zumindest eine Person aus dessen vermutetem Umfeld.

Vermutlich war es ebendieser "Freundschaftsdienst", der letztlich zur Suspendierung des LVT-Beamten geführt hat. Wie der "Kurier" zuerst berichtete, sei der Verfassungsschützer wegen illegaler Abfragen für Ott am 2. September 2022 für neun Monate vom Dienst freigestellt worden. Mittlerweile soll der Beamte in Pension sein. Ein Strafverfahren gegen ihn sei eingestellt worden. Der Ex-BVT-Beamte ließ eine Anfrage des STANDARD unbeantwortet.

Aber was wurde nun aus dem gesuchten Ex-FSB-Offizier? Den dürften Ott und Co am Ende tatsächlich enttarnt haben. Aus Ermittlungsakten geht hervor, dass Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss Ott die Kopie eines polnischen Reisepasses mit der vermuteten Tarnidentität habe zukommen lassen. "Das Bild (gemeint ist das Passbild, Anm.) ist das selbe wie auf seinem Reisepass mit seinem richtigen Namen und auf den Fingaprints (sic!)", schrieb Weiss. Die Passfotos sehen einander tatsächlich recht ähnlich.

Vor circa einem Jahr gelang es im Beisein heimischer Ermittler, den russischen Ex-Geheimdienstler zu vernehmen. Und der Offizier, so viel lässt sich wohl sagen, war höchst überrascht über Otts Recherchen.

"Ott ein Agent des FSB"

Seine Fingerabdrücke, erzählte der Ex-Offizier, habe er lediglich beim Eintritt in den Staatsdienst abgegeben. Sie könnten nur von Beamten des FSB aus der Datenbank entnommen worden sein. Daher sei es aus seiner Sicht nur möglich, dass die Daten aus jener Quelle an Ott gelangt seien. Dasselbe Gefühl hatte der ehemalige Offizier hinsichtlich des Umstands, dass Ott im Besitz eines Fotos gewesen sei, das den Russen mit Ehefrau und Tochter bei deren Einschulung zeigt. Der FSB und Ott hätten nach Einschätzung des Befragten "sehr professionell an seiner Auffindung gearbeitet"; er schloss seine Aussage damit, dass "seines Erachtens Ott ein Agent des FSB wäre".

Der russische Ex-FSB-Agent war laut eigenen Angaben ins Visier des eigenen Dienstes geraten, weil er sich intern "viele Feinde" gemacht hat. In der Folge sei er tatsachenwidrig mit einer Straftat in Verbindung gebracht worden und habe sich seit Februar 2017 auf der Flucht befunden.

Gegen Ott laufen seit Jahren Ermittlungen. Schon 2017 stand er im Verdacht, für Russland zu spionieren. Überdies soll er sensible Daten abgefragt und verkauft haben. Weiss zählte zu seinen Abnehmern und pflegte beste Kontakte zu Jan Marsalek. Der Ex-Vorstand des implodierten deutschen Finanzdienstleisters Wirecard soll seit Jahren mit russischen Nachrichtendiensten kooperieren. In die Gänge kam die Causa Ott nun wieder, weil Ott unter anderem die Smartphones dreier Spitzenbeamter aus dem österreichischen Innenministerium an russische Spione übergeben haben soll. Am Dienstagabend beschäftigt sich auch der Nationale Sicherheitsrat mit der wohl größten Spionageaffäre Österreichs seit Jahrzehnten. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 9.4.2024)