Jan Marsalek (auf dem Roten Platz, vor seiner Flucht).
DER SPIEGEL

Wien – Der Handlanger namens Max soll bei der angegebenen Adresse läuten und sich als Bote des Paketlieferdienstes DHL ausgeben. Dann soll er ein gefälschtes Dokument eines Apple Repair Service vorzeigen, ein Paket entgegennehmen – und rasch wieder verschwinden.

So simpel klingt der Plan, nach dem eine der spektakulärsten russischen Spionageoperationen auf österreichischem Boden abgelaufen sein soll. Der frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek schrieb diese Anweisungen am 9. Juni 2022 in Telegram-Chats an Orlin Roussev, einen langjährigen Bekannten, der für russische Geheimdienste offenbar einen Ring bulgarischer Agenten in Europa befehligte.

Smartphones "collected"

Nur einen Tag später meldete Roussev zurück: "Collected", also "eingesammelt". Und zwar, so vermuten Ermittler: die bei einem Bootsausflug des Kabinetts von Innenminister Wolfgang Sobotka ins Wasser gefallenen Smartphones dreier österreichischer Spitzenbeamter, die fünf Jahre zuvor von abtrünnigen Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gestohlen worden waren. Dass es sich tatsächlich um diese Smartphones gehandelt hat, geht aus den Chats nicht hervor; für die Staatsanwaltschaft ist dies aber naheliegend.

An der Adresse der Übergabe wohnt der frühere Schwiegersohn des Ex-Agenten Egisto Ott. Ob die Übergabe in der Wohnungen selbst stattgefunden hat ist unklar. Ott und sein Schwiegersohn wurden festgenommen, Letzterer aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Er bestreitet, von den Spionageoperationen gewusst zu haben. “Die Ermittlungen zu unserem Mandanten haben bis dato nur das Ergebnis gebracht, dass er von den Vorwürfen gegen seinen Ex-Schwiegervater in Zusammenhang mit seiner Wohnung nichts wusste", sagen seine Verteidiger Stephanie Kramberger und Andreas Schweitzer.

Chats von Jan Marsalek
Ermittlungsakten/ Illustration: Fatih Aydogdu

Anders ist das bei Ott: Er wird wohl für lange Zeit in U-Haft bleiben. Sieben Jahre hatten Ermittler Ott der Spionage für Russland verdächtigt, nun wurde ein Durchbruch erzielt. Zu verdanken haben sie das ihren Kollegen in Großbritannien. Denen ging im Februar 2023 ein Spionagering mit fünf Mitgliedern ins Netz, darunter auch Marsaleks Kontaktmann Roussev. 80.000 Telegram-Chats sollen die Briten sichergestellt haben; ab Oktober 2024 wird den Agenten der Prozess gemacht.

Pakete über Istanbul geschmuggelt

Im Jänner 2024 schickten die Briten dann eine Reihe von Chats mit Österreich-Bezug nach Wien. In ihnen sprechen Marsalek und Roussev nicht nur über die Übergabe der gestohlenen Smartphones, sondern auch über einen Einbruch in der Wiener Privatwohnung des Kreml-kritischen Investigativjournalisten Christo Grozev, der seit Jahren brisante Details zu Operationen russischer Geheimdienste enthüllt hat. Wegen Bedenken um seine eigene Sicherheit wird Grozev Wien, wo er jahrzehntelang gelebt hat, später verlassen.

Eine Gerichtszeichnung von Orlin Roussev, Marsaleks Kontaktmann.
AP/Elizabeth Cook

Insgesamt geht es um drei "Pakete", die zwischen Juni und Dezember 2022 von Wien nach Moskau geschmuggelt worden sind: zunächst die Smartphones der Spitzenbeamten, dann ein alter Laptop und USB-Sticks aus Grozevs Wohnung. Im November 2022 besorgen Roussevs Handlanger noch einen Geheimlaptop, der in der Wohnung von Otts Familienmitglied wartet. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Sina-Laptop. Solche Geräte kommen zum Beispiel im deutschen Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden zum Einsatz, weil sie über eine hohe Verschlüsselung verfügen und sichere Kommunikation bieten. Die Nachricht über dessen Übergabe hat deshalb für Nervosität in Sicherheitskreisen gesorgt. Die dürfte nicht weniger werden: In Chats ist sogar die Rede davon, dass man "one of the laptops" in Wien abholen solle, also "einen der Laptops" – im Plural. Mutmaßlich war Ott also im Besitz mehrerer Sina-Geräte. Innenminister Karner wollte sich am Dienstagabend auf mehrere Fragen von Moderator Armin Wolf über Zahl und Verbleib der Sina-Laptops in der ZIB2 nicht äußern.

Die "Kebab guys" in Berlin

Die Textnachrichten legen auch offen, wie kompliziert sich der Schmuggel der gestohlenen Geräte und die Übergabe des dafür bezahlten Geldes gestaltet. Für Letzteres verlassen sich Marsalek und Roussev auf lokale Zuträger in Berlin, die sie als "laundry guys", "Russo-Türken" und "Kebab guys" bezeichnen. Immer wieder verpassen die Handlanger ausgemachte Übergabetermine, wofür sich Marsalek sogar wortreich bei Roussev entschuldigt. Die Berliner seien zu riskant, antwortet der. Man müsse sich bald neue Kanäle für Finanzielles suchen.

Chats von Jan Marsalek
Ermittlungsakten/ Illustration: Fatih Aydogdu

Aus den Chats geht klar hervor, dass der frühere Wirecard-Manager, der nach dem Zusammenbruch des deutschen Finanzdienstleisters im Jahr 2020 nach Moskau floh, Chef der Spionageoperationen ist. "Wir werden tun, was du benötigst und für am besten hältst", sagt Roussev einmal zu Marsalek. Große Sorge bereitet beiden, dass der Sina-Geheimlaptop mit einem Tracker ausgestattet sein könnte – weshalb Roussev das Gerät offenbar aufschraubt und untersucht. Transportiert wird der Laptop in einer Abschirmtasche. Die werde Marsalek gefallen, sie sei "fancy und modisch, nicht bloß eine Aluminiumhülle", schreibt Roussev.

Bitte mit Sachertorte

Übergeben werden die Geräte schließlich an mehreren Terminen in Istanbul, vermutlich durch eine junge Frau namens Tatjana Spiridonowa, die mit dem Inlandsgeheimdienst FSB in Verbindung steht. Der ist wohl auch der derzeitige Arbeitgeber von Marsalek. So lässt sich der Ex-Manager offenbar kofferweise Weihnachtsgeschenke nach Moskau bringen, wofür ihn der FSB "hassen wird", wie er einmal schreibt.

Und neben den gestohlenen Smartphones soll Max im Juni 2022 für Marsalek auch ein Stück Heimat besorgen:
Er bestellt sich über den Spion Roussev zwei Sachertorten, die man doch auch nach Moskau bringen solle. (Fabian Schmid, Jan Michael Marchart, 9.4.2024)