"Wer den internationalen Wettbewerb will, sollte nicht in nationale Kleinstaaterei zurückfallen", sagt Johannes Odendahl von der Universität Innsbruck im Gastkommentar. Es werde von allen "Superheldinnentum" verlangt, repliziert er auf Clemens Ruthner.

Internationale Mobilität ist für eine akademische Karriere heutzutage Voraussetzung.
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Wer im Glashaus sitzend sich von einem Stein getroffen fühlt, sollte ihn vielleicht besser nicht zurückwerfen. Clemens Ruthners Gastkommentar "Freundliche Übernahme" ausgerechnet als Angehöriger der provozierten Gruppe, nämlich als deutscher Professor an einer österreichischen Universität, kontern zu wollen ist möglicherweise keine gute Idee. Zu groß ist die Gefahr, dass persönliche Gekränktheit als einzige Motivation der Replik erscheint. Und, schlimmer noch: dass eine Frontstellung zwischen "Deutschen" und "Österreicherinnen und Österreichern", die Ruthner so perfide inszeniert, als Klischee noch bestärkt statt infrage gestellt wird. Eben um Letzteres soll es im Folgenden aber gehen – keine Steine wären also zu werfen, nur ein paar Aspekte zu relativieren und Aussagen zurechtzurücken.

Anlässlich der Wahl eines Deutschen zum Rektor der Universität Wien weist Ruthner auf einen langfristig wirksamen Trend zur "Germanisierung" österreichischer Unis, speziell im Bereich geisteswissenschaftlicher Professuren, hin. Das damit einhergehende Problem einer möglichen "Entfremdung" zwischen auswärtigen Lehrenden und einheimischen Studierenden, aber auch von "Verwerfungen" zwischen zugezogenem und autochthonem Uni-Personal erscheint durchaus nachvollziehbar; was übrigens – hier spreche ich aus eigener Erfahrung als Wahltiroler aus Nordrhein-Westfalen – durchaus von beiden Seiten als Problem empfunden werden kann.

Siebzehntes Bundesland?

Nachvollziehbar ist auch ein gewisses Unbehagen angesichts eines Phänomens, für das ich zunächst einmal einen Sinn entwickeln musste: die mitunter fehlende Sensibilität Bundesdeutscher dafür, dass sie sich in Österreich in einem anderen Land mit gewachsener eigener Kultur und Sprache befinden und nicht in einem "siebzehnten Bundesland" – was nicht selten auch wissenschaftliche Vorträge und Aufsätze bestimmt, bei denen der deutsche Sprachraum grob mit der Bundesrepublik Deutschland in eins gesetzt wird. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass Ruthner ein strukturelles und – mehr noch wahrscheinlich – atmosphärisches Problem artikuliert, wenn er über die "Germanisierung" österreichischer Universitäten vom Leder zieht. Doch seine Argumentationsbasis erweist sich bei näherem Hinschauen als denkbar brüchig. Generell lässt sich sagen, dass er allgemeine, global wirksame Tendenzen als deutsche Übergriffigkeit fehlinterpretiert.

Da ist zum einen das Phänomen der Globalisierung. Es ist eben nicht so, dass nur in Österreich lokal gebundene Kulturen in ihrem Fortbestand gefährdet sind. Auch in Deutschland befinden sich die ehemals zahlreichen Dialekte und Regionalkulturen seit langem auf dem Rückzug, wo sie nicht bereits verschwunden sind. Man kann das bedauern: Mit einer Sprache stirbt eine ganz eigene Art, Welt aufzufassen, und es ist den österreichischen Regionen zu wünschen, dass sie ihre sprachlichen und kulturellen Besonderheiten besser zu wahren wissen werden als viele Gegenden in Deutschland. Vielleicht tut man aber auch gut daran, den allgemeinen Austausch und das Entstehen neuer, vielfach vernetzter Sprachen und Kulturen zu begrüßen. Wie dem auch sei: Wirksam ist hier ein allgemeines, globales Phänomen.

"Auf jeden Deutschen sozusagen ein Brite und eine Französin?"

Ein zweiter Punkt betrifft den internationalen Wettbewerb im akademischen Betrieb. Wer eine akademische Karriere anstrebt, muss extrem flexibel sein und darf auf lokale Bindungen keinen allzu großen Wert legen. Ob ich als gebürtiger Rheinländer für eine Professur nach Innsbruck oder nach Erfurt zu gehen bereit bin: Jedenfalls muss ich mich darauf einlassen, mich in die Fremde zu begeben und dann um meine Integration erst einmal zu kämpfen. "Superheldinnentum" (Ruthner) wird also von allen Mitspielern im akademischen Betrieb verlangt, und es ist perspektivisch verzerrter Blödsinn zu behaupten, nur ein Bewerber oder eine Bewerberin aus Österreich trete bei einer Ausschreibung "rein quantitativ gegen geschätzte zehn Konkurrentinnen und Konkurrenten" von anderswo an.

Wer den internationalen Wettbewerb will, sollte nicht in nationale Kleinstaaterei zurückfallen. Oder was schlägt Ruthner, der ja selbst in Dublin lehrt, stattdessen vor? Was hätte denn vor "zehn bis 20 Jahren" an österreichischen Universitäten passieren sollen, um die galoppierende "Germanisierung" zu verhindern? Ein Eingriff in die Autonomie der universitären Selbstverwaltung und Qualitätssicherung? Eine Quotenregelung für einheimische Wissenschafterinnen und Wissenschafter? Oder, umgekehrt, eine Internationalisierungsquote, auf jeden Deutschen sozusagen ein Brite und eine Französin? Dann sähe es aber um die Chancen der österreichischen Bewerberinnen und Bewerber (und um das beklagte Entfremdungsproblem) kaum besser aus, im Gegenteil.

Keine Seilschaft

Völlig abwegig jedenfalls ist die Vorstellung, es gebe deutsche Netzwerke und Seilschaften, die nichts anderes im Sinne hätten, als die österreichischen Universitäten "freundlich" zu übernehmen. Hier scheint mir eine vielleicht tatsächlich Österreich-spezifische Verquickung eines "aggressiven Minderwertigkeitskomplexes" mit einer romantischen Selbstüberschätzung vorzuliegen. Als deutschsprachiger Akademiker werde ich mich nun einmal auf dem gesamten deutschsprachigen akademischen Arbeitsmarkt umsehen. Als Rheinländer bewerbe ich mich dann eben auch in Innsbruck, so ist das Spiel. Ich erinnere mich nicht, dabei den Direktiven eines deutschen "Netzwerks" gefolgt zu sein, das von der Idee umgetrieben würde, die österreichischen Universitäten in deutsche Hände zu bringen.

Übrigens hatte ich nach beinahe sechs Jahren an der Universität Innsbruck zuletzt die Chance, zwischen meiner Weiterbeschäftigung dort und der Rückkehr nach Nordrhein-Westfalen auf eine vergleichbare Stelle wählen zu können. Ich habe mich für Innsbruck entschieden – und maßgeblich wirkte dabei der Umstand hinein, dass ich mich bei den Menschen in Tirol und Österreich willkommen fühlen durfte. Zu wünschen wäre, dass Konstruktionen im Kopf, die zu Barrieren werden können, wie "wir" und die "anderen", immer wieder hinterfragt werden – an Universitäten und anderswo. (Johannes Odendahl, 1.6.2022)