An den umstrittenen, seit 2018/2019 bestehenden Deutschförderklassen ändere die neue Maßnahme weiterhin nichts, kritisieren Bildungswissenschafterinnen.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Lange Zeit war es ruhig um die Deutschförderung an Österreichs Schulen. Zwar hagelte es in regelmäßigen Abständen Kritik an dem seit 2018/2019 unter Türkis-Blau eingeführten Modell der Deutschförderklassen. Konkrete Maßnahmen blieben – neben einer seit 2021 laufenden Evaluierung ebendieser – aber aus. Nun bewegte sich plötzlich etwas: Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) verkündete zusätzliche Deutschförderung für jene Volksschulkinder, die nach Ablauf ihres außerordentlichen Status nach zwei Jahren immer noch Probleme mit der Sprache haben.

Angesichts des jahrelangen Prozesses, den das Erlernen einer Sprache mit sich bringt, dürften das auch nicht wenige sein. Wie vielen Kindern und in welchem Umfang die Förderung diesen zugutekommen wird, konnte das Bildungsministerium allerdings nicht sagen. Aber: 4,5 Millionen Euro Budget pro Jahr werden dafür veranschlagt. Kommt nun also Bewegung in die Langzeitbaustelle Deutschförderung?

Festhalten an Förderklassen

Fragt man bei Fachleuten nach, so sei es "grundsätzlich positiv, wenn mehr Ressourcen für Deutschförderung in die Hand genommen werden", sagt der Germanist Hannes Schweiger von der Uni Wien. Als positiv bewertet er außerdem, wenn sich die Förderung über zwei Jahre hinaus erstreckt, was bislang nicht der Fall war. Dann setzt die Kritik Schweigers allerdings schon an: "Es wird immer noch an den Deutschförderklassen (DFK) festgehalten." Dort verbringen derzeit rund 15.000 Kinder, getrennt von deutschsprachigen Mitschülern, die meiste Zeit ihres Schulalltags – an Volksschulen 15, an Mittelschulen 20 Stunden (siehe Infobox unten).

Weil dort der Fokus rein auf dem Deutschlernen liege, bleibe auch das fachliche Lernen auf der Strecke. "Das Ziel müsste von Anfang an sein, die Kinder in die Regelklasse zu integrieren", sagt Schweiger.

Dieses Ziel teilt laut offiziellen Angaben auch das Bildungsministerium. Tatsächlich schafft aber nur die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler nach drei Semestern den Sprung in die Regelklasse.

Evaluierung eines (brüchigen) Systems

Während die neuen Maßnahmen ab Herbst für Volksschulkinder mit anhaltenden Deutsch-Schwierigkeiten bereits greifen sollen – für Mittelschülerinnen sind sie nicht vorgesehen – läuft seit 2021 im Hintergrund ein Evaluierungsprozess der Deutschförderklassen. Dieser wurde im Regierungsprogramm zwischen ÖVP und Grünen verankert. Ein erster Bericht ist mit Ergebnissen aus zwei Workshops zur "Zielexplikation" und "Implementierung der Deutschförderklassen" abrufbar. Darin liest man etwa, dass negative Nebeneffekte der Deutschförderklasse positive (etwa geschütztes Umfeld für Kinder) überragen.

Auch auffallend: Während nur drei Lehrerinnen aus den Deutschförderklassen aus der Praxis involviert waren, saßen gleich sechs Vertreter des Bildungsministeriums drinnen.

Die endgültigen Ergebnisse der Evaluierung sollen im Herbst vorliegen. Wie Grünen-Bildungssprecherin Sibylle Hamann am Dienstag festhielt, werden entsprechend weitere Verbesserungen vorgenommen. Warum man mit den aktuellen Maßnahmen der Evaluierung vorgreife? Aus dem Bildungsministerium heißt es dazu: "Diese Fördermaßnahmen wurden deshalb jetzt getroffen, sodass sie ab dem Schuljahr 2022/23 bereits umgesetzt werden können."

Kein Vergleichsmodell

Diese sind für Bildungswissenschafterin Susanne Schwab "reine Kosmetik". Selbst an dem Evaluierungsprozess hat sie einiges auszusetzen: "Wir können keine echte Evaluierung durchführen, wenn wir uns nur das bestehende Modell anschauen", sagt Schwab. Was gemeint ist: Es müsste in ihren Augen ein integratives Modell – also der gemeinsame Unterricht mit zusätzlicher Förderung – zum Vergleich herangezogen werden. Bis 2018 hat es dieses, ermöglicht durch die Schulautonomie, auch gegeben: "Da hat sich gezeigt, dass ein segregierendes Modell keinerlei Vorteile hat", sagt Schwab.

Diesen Befund dürften einige Direktionen Österreichs mit ihr teilen: Wie der STANDARD bereits berichtete und aus der Forschung von Schwab hervorgeht, boykottieren etliche Schulen die Deutschförderklassen. Offiziell heißt es dann, es gäbe nicht genügend Kinder, um eine solche Klasse zu eröffnen.

Pflichtschuljahre früh aufgebraucht

Der Boykott könnte auch mit den Nachteilen zu tun haben, die den Kindern drohen. Weil sie durch die Deutschförderklasse teils Jahre verlieren, "haben wir das Szenario, dass es Kinder in der zweiten Klasse Mittelschule gibt, die ihre neun Jahre Pflichtschule aufgebraucht haben". Diese hätten dann automatisch einen Bildungsabbruch, kritisiert Schwab. Gerade für Jugendliche, die nicht mehr schulpflichtig sind, bräuchte es vielmehr Ressourcen mit Blick auf die Deutschförderung.

Letztlich plädieren sowohl Schweiger als auch Schwab für mehr Personal. Zumindest eine zweite Lehrkraft – momentan ist es nur eine – bräuchte es in den Deutschförderklassen, die Schüleranzahl sei für eine Person nicht stemmbar. In den "Neu in Wien"-Klassen, wo geflüchtete ukrainische Kinder und Jugendliche in Wien separat unterrichtet werden, sind beispielsweise zwei Lehrpersonen im Einsatz. Ein Problem aber gibt es dabei: "Es fehlen uns gut qualifizierte Lehrkräfte", sagt Schweiger. (Elisa Tomaselli, 22.6.2022)