China habe ein großes Interesse an der Eskalation in der Region, schreibt Alexander Görlach, Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York, in seinem Gastkommentar.

Die Volksrepublik hat ihre Militärmanöver um Taiwan herum, anders als angekündigt, nicht am Montag, dem 8. August, sondern erst zwei Tage später beendet. Doch die chinesischen Streitkräfte haben festgehalten, weiter in der Straße von Taiwan zu verbleiben, und sich ausbedungen, das demokratische Land jederzeit wieder in die Zange nehmen zu wollen, wenn Peking danach ist. Chinas Machthaber Xi Jinping orientiert sich bei dem Vorgehen an seinem Diktatoren-Freund Wladimir Putin.

Nach dem Militärmanöver ist vor dem Militärmanöver? Die Spannungen zwischen China und Taiwan bleiben groß.
Foto: AFP / Noel Celis

Der Kreml-Führer ließ über Wochen Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren und tarnte diese Kriegsvorbereitungen ebenfalls als Manöver. An einem Tag kündigte sein Sprecher an, dass Truppen zurückverlegt würden, am nächsten wurde diese Aussage revidiert. Taiwan kann also weder aufatmen noch Entwarnung geben. Xis Armee hält die Streitkräfte des kleinen Nachbarn so in einem permanenten Alarmzustand. Kriegsschiffe passierten mehrfach die Linie, die die Gewässer von Taiwan und China trennen. Auch die Kampfjets Pekings drangen in den Luftraum Taiwans ein. Es steht außer Frage, dass die Volksrepublik mehr Material, mehr Soldaten und dadurch mehr Ausdauer hat als die Taiwaner. Gleichwohl hat der Krieg, den Wladimir Putin vom Zaun gebrochen hat, gezeigt, dass eine vermeintliche Übermacht nicht automatisch einen schnellen Sieg garantiert. Die Bevölkerung der Inseldemokratie stellt sich den Aggressionen Pekings seit Jahren mit großer Widerstandskraft in den Weg.

Falsche Behauptung

Taiwan ist ein entscheidender Baustein in Xi Jinpings Expansionsstrategie, aber der Machthaber hat es nicht nur auf das demokratische Eiland abgesehen. Gleichzeitig zu den Manövern um Taiwan herum hat Peking angekündigt, für vier Wochen ähnliche Drills in der Nähe der Philippinen abzuhalten. Auch dort will China Land. Seine Söldner halten seit März vergangenen Jahres Teile der Spratly-Inseln besetzt. Peking behauptet, sie seien chinesisches Territorium. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat zwar entschieden, dass diese Behauptung falsch ist. Machthaber Xi ficht das nicht an. Die USA haben schon in Richtung Manila erklärt, ihrem Partner beizustehen, sollte Peking auch gegenüber den Philippinen in Kriegsvorbereitungen treten.

Die KP legt auch gegenüber Washington nach. Die Absage von Treffen und Zusammenarbeit im Bereich Militär und Klimaschutz soll das signalisieren. Xi, dessen innenpolitische Bilanz schlecht ist, muss gegenüber seinen Landsleuten, die unter seiner verfehlten Covid-Politik und dem Einbruch der Wirtschaft leiden, mit nationalistischen Tönen zu punkten versuchen. Anders als bei der letzten Krise in der Taiwanstraße 1995/96 will Peking nicht wieder abziehen und seine Provokationen gegenüber Taiwan einstellen müssen. Die Blockade damals dauerte acht Monate, dann machte die US-Armee dem Spuk ein Ende und sandte einen Flugzeugträger, um Peking seine Verteidigungsbereitschaft für Taiwan zu signalisieren.

Nicht wundern

Für Taiwans Wirtschaft wird es eng, sollte Peking die Zufahrt zu den Häfen der Inseldemokratie durch seine Manöver, bei denen scharfe Munition verwendet wird, wieder auf Monate hinaus unsicher machen. Schon in den ersten Tagen der Seeblockade warteten Tanker und Frachtschiffe außerhalb der Gefahrenzone darauf, dass das "Manöver" zu Ende geht und sie wieder sicher in Taiwan anlegen können.

Es sollt niemanden wundern, wenn aus der Generalprobe der Ernstfall wird und Xi Jinping die Insel angreifen lässt. Der Machthaber hat ein Interesse daran, dass dies vor dem XX. Parteikongress im Oktober passiert. Denn nur so kann er sich als Oberbefehlshaber der Truppen für eine weitere, dritte Amtszeit empfehlen, die ihm das Tor zu lebenslanger Herrschaft öffnen soll.

Die freie Welt darf nicht innerhalb kürzester Zeit einem weiteren Diktator auf den Leim gehen, weil sie sich in der rationalen Argumentation sicher wähnt, dass ein Krieg in niemandes Interesse sei. Die Eskalation über Taiwan ist absolut in Xis Interesse. Und er allein bestimmt, wo es in China langgeht. (Alexander Görlach, 11.8.2022)