• Der Terrorprozess
    Eine komplexe Verhandlung gegen mögliche Komplizen

Allmählich drängte die Zeit. Am 18. Oktober standen die sechs Hauptbeschuldigten in Bezug auf den Terroranschlag in Wien erstmals vor Gericht. So richtig in die Tiefe wird die Verhandlung aber erst Anfang Dezember gehen, Urteile werden frühestens im Februar erwartet. Der frühere Prozessauftakt lässt sich damit erklären, dass zwei der Angeklagten bald zwingend in Freiheit gewesen wären. Die beiden wurden kurz nach dem Anschlag im November 2020 in U-Haft genommen. Diese darf aber höchstens zwei Jahre dauern.

Einer hingegen ist schon länger auf freiem Fuß. Nämlich jener Angeklagte, der den amtsbekannten Jihadisten K. F. im Sommer 2020 in die Slowakei gefahren hatte. Dort versuchte der spätere Attentäter Munition für ein Sturmgewehr zu kaufen, an das er über zwielichtige Kreise gelangt war. Eine Meldung der slowakischen Behörden dazu verstaubte in Wien, was dem Verfassungsschutz als Versagen ausgelegt wird.

Inwieweit der Angeklagte aber tatsächlich in die Pläne des Terroristen eingeweiht gewesen sein könnte, ist mitunter eine der wohl kniffligsten Fragen des Prozesses.

27 Personen brachten Ermittler zunächst mit dem Anschlag in Verbindung. Sechs davon müssen als Hauptbeschuldigte vor Gericht.
Foto: Reuters/Leonhard Foeger

In ähnlicher Weise trifft das aber auch auf jene zwei Männer zu, die dem Terroristen kurz vor dem Anschlag bloß ein Buch vorbeigebracht haben wollen. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings eher davon aus, dass die Angeklagten in dessen Wohnung gewesen sein könnten, um ihn zu unterstützen, als dieser sein Bekennervideo aufnahm. Einer davon wollte jedenfalls im Jahr 2018 mit K. F. nach Syrien ausreisen, um sich dem IS anzuschließen. Beide wurden deshalb auch rechtskräftig verurteilt.

Nicht weniger komplex erscheint der Fall eines mutmaßlichen Kontaktmanns, dessen DNA-Profil zwar auf den Waffen und Patronen gefunden wurde. Ob jener Mann, dessen Familie als radikalislamischer Clan gilt und der zwischenzeitlich in der Wohnung des Attentäters lebte, den Anschlag aber wirklich mit geplant hat, trifft auf ein uneindeutiges Indizienfeld.

Klarer verliefen die Ermittlungen in Sachen Waffen und Munition, weil sich die Beteiligten geständig zeigten. Ein wegen IS-Propaganda verurteilter Kindheitsfreund des Attentäters aus Wien-Liesing legte aus dem Gefängnis heraus den Draht zu einem Waffenduo. Während der mögliche Dealer zugibt, K. F. zumindest das Sturmgewehr und Munition übergeben zu haben, wird der mutmaßliche Lieferant aus Slowenien nur als Zeuge vor Gericht geladen. Man konnte ihm nicht nachweisen, dass er von den Anschlagsplänen gewusst hatte.

  • Die Opfer
    Es wird vereinzelt noch um Entschädigungen gekämpft

Am Ende erreichte Mathias Burger sein Ziel. Er vertrat heuer im Mai die Angehörigen eines 21-Jährigen vor dem Zivilgericht, der bei dem Terroranschlag ums Leben gekommen war. Burger war der Meinung, dass die Republik ob der Behördenfehler vor dem Attentat haftbar gemacht werden kann. Und dass der Familie mehr Entschädigung zusteht, als bis dahin ausbezahlt wurde. Der Versuch scheiterte.

Doch dabei blieb es nicht. Burger einigte sich außergerichtlich mit der Republik, wie er erzählt. Die Familie bekam einen sechsstelligen Betrag aus dem Terroropferfonds. Burger ist zufrieden.

Das ist Karl Newole noch nicht. Der Anwalt vertritt die Familie eines getöteten Restaurantbesitzers. Bisher bekam diese etwa Schmerzensgeld und Entschädigungen für Begräbniskosten und Psychotherapien zugesprochen, ebenfalls in sechsstelliger Höhe. Aber die Frage des Unterhaltsentgangs sei offen, auch das Geschäft habe liquidiert werden müssen, sagt Newole.

Ähnlich sieht die Situation im Fall der getöteten deutschen Studentin aus. Bisher sei nur ein erster Pauschalbetrag unter Vorbehalt geflossen, der zurückgefordert werden könne, sagt Anwalt Lukas Bittighofer. Auf Geld aus dem Terroropferfonds wartet die Mutter der Studentin noch. Gegen eine abgewiesene Amtshaftungsklage brachte die Kanzlei Rechtsmittel ein.

1,95 Millionen Euro ausbezahlt

Opfer und Hinterbliebene konnten auf zwei Ebenen ihre Ansprüche geltend machen. Erstens nach dem Verbrechensopfergesetz – die Beträge sind aber meistens nicht sehr hoch. Die Auszahlungen belaufen sich laut Sozialressort auf knapp 300.000 Euro. 116 Opfer erhielten Hilfeleistungen, die meisten davon eine Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld.

Monate nach dem Anschlag wurde auch ein Entschädigungsfonds eingerichtet, der von der Opferhilfsorganisation Weißer Ring bearbeitet wird. Bisher seien laut Ministerium 1,95 Millionen Euro an 51 Personen ausbezahlt worden. Weitere 24 Ansuchen sollen bis Jahresende erledigt sein.

  • Die "Terroristenhaft"
    Ein türkises Überbleibsel wird derzeit noch verhandelt

Nach dem Anschlag wollte die türkis-grüne Bundesregierung rasch Härte zeigen. Geschnürt wurde unter anderem ein Antiterrorpaket. Dieses enthielt neben dem neu geschaffenen Straftatbestand "religiös motivierter Extremismus" etwa auch Entlassungskonferenzen, im Zuge derer Gerichte von Sicherheitsbehörden, Deradikalisierungsexperten und der Bewährungshilfe eine Einschätzung vor bedingten Haftentlassungen bekommen.

Noch nicht einig war sich die Koalition damals über eine neue Regelung für Jihadisten. Konkret wollte Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bereits verurteilte Terroristen nach ihrer Haft auf unbestimmte Zeit weiter eingesperrt wissen, solange sie nicht deradikalisiert seien. Man dachte daran, sie im Maßnahmenvollzug unterzubringen. Dort sitzen in Österreich für gewöhnlich geistig abnorme Rechtsbrecher.

Justizministerin Alma Zadić plant Änderungen im Maßnahmenvollzug.
Foto: APA/Helmut Fohringer

Dann wurde es lange still um die türkisen Pläne. Ad acta gelegt sind sie allerdings nicht. Die "Terroristenhaft" wird gerade im Zuge einer Reform des Maßnahmenvollzugs verhandelt, wie das grüne Justizministerium dem STANDARD gegenüber bestätigt. Details bleiben noch unter Verschluss.

Experten sahen die Pläne kritisch. Ob Jihadisten in den überfüllten Maßnahmenvollzug gehören, blieb ein Streitpunkt. Ebenso die Begutachtung der Radikalisierung. Terroristen seien hoch zurechnungsfähig und könnten Psychologen täuschen.

  • Ein Dienst ohne Kontrolle
    Parteienduell um die Staatsschutzkommission

Seit bald einem Jahr führt der ÖVP-nahe Beamte Omar Haijawi-Pirchner die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) an – allerdings ohne die vorgesehene weisungsfreie dreiköpfige Kontrollkommission. Diese soll die Behördenabläufe kritisch im Blick behalten, aber die Parteien im Parlament können sich auf keine Besetzung einigen.

Es geht um ein Herzstück des neuen Staatsschutzes, der viel Vertrauen eingebüßt hat. Unter Ex-Innenminister Herbert Klickl wurde das ehemalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Februar 2018 mit einer Razzia demoliert und gegenüber ausländischen Partnerdiensten isoliert. Auch in den Monaten vor dem Terroranschlag in Wien unterliefen den Behörden grobe Fehler.

Drei Kandidaten, zwei Plätze

Die Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes untersuchte die Behördenvorgänge um das Attentat und stellte ein verheerendes Zeugnis aus. Sie gilt seit Monaten als Favoritin für die Leitung der Kontrollkommission. Wohl zu ihrem Leidwesen duelliert sich die Politik aber seit langem um die restlichen Plätze. Die ÖVP hätte gern den langjährigen Chef der Bundeswettbewerbsbehörde, Theodor Tanner. Aus Sicht der SPÖ macht es ob der ÖVP-nahen Bestellungen in der Direktion des neuen Staatsschutzes aber kein gutes Bild, wenn mit dem 62-Jährigen ein ehemaliger Kabinettschef von Ex-Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) einzieht. Sie präferiert Christopf Tschohl. Der 44-jährige Vorarlberger ist wissenschaftlicher Leiter des Research Institute – Digital Human Rights Center. Die SPÖ glaubt, dass Tschohl wichtige Datenschutzkompetenzen einbringen könnte.

Zerbes, die für den STANDARD nicht erreichbar war, soll sich für den 1973 geborenen Leiter des Instituts für Menschenrechte in Salzburg, Reinhard Klaushofer, einsetzen. In der Volksanwaltschaft leitet der Polizeirechtler die Kommission für Straf- und Maßnahmenvollzug. Auf ihn dürfte sich die Politik aber nicht einigen können. (Jan Michael Marchart, 2.11.2022)