Will erst nach einer Grundsatzdebatte zum ORF über die künftige Finanzierung des ORF diskutieren: Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter.

Foto: Florian Albert

Wien – Im Sommer hat Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter mit ihrer Forderung, ORF.at abzuschaffen, für große Aufregung gesorgt. Auch wenn die nicht ganz neu war. Der Vorstoß "war für mich ein Vehikel, um eine größere Debatte anzustoßen", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Nämlich: "Was soll der ORF leisten, was soll er können, und für wen sollte er das tun?"

"Braucht der ORF vier Fernsehsender?"

Antworten auf die Grundsatzfragen führen für Brandstötter zu Fragen wie: "Braucht der ORF vier Fernsehsender? Wie viele Radiosender braucht er? Braucht der ORF einen öffentlich-rechtlichen Privatsender wie Ö3?" Und natürlich führt das auch zur Frage, was der ORF online dürfen soll.

Erst nach dieser Grundsatzdebatte sei sie bereit, über die künftige Finanzierung des ORF zu diskutieren – der Verfassungsgerichtshof verlangte im Juni eine Neuregelung bis Ende 2023, die auch Beiträge für Streamingnutzung verlangt.

"Erst ORF-Aufgabe, dann Finanzierung"

Was sagt Brandstötter zum Vorstoß von Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger im STANDARD-Interview, den ORF doch aus dem Bundesbudget zu finanzieren, aber mit Zweidrittelmehrheit wertgesichert und automatisch inflationsangepasst? "Ich lese hier bei Blimlinger keinen konkreten Vorschlag, sondern sehe einen Kessel Buntes voller Konjunktive. Die Art und Weise, wie die Debatte geführt wird, ist unwürdig gegenüber dem ORF." Sie bleibt dabei: "Wir müssen zuerst über seine Aufgabe sprechen, dann über die Finanzierung."

"Mich interessiert nicht, wie viele Meldungen mit wie vielen Zeichen ORF.at pro Tag publiziert", sagt Brandstötter. Einige private Medienhäuser – vor allem verlegerischer Herkunft – verlangten schon vor der Neos-Mediensprecherin ein Ende der textbasierten ORF-Nachrichtenseite oder massive Einschränkungen des aus ihrer Sicht "zeitungsähnlichen" Textangebots auf ORF.at. ORF-General Roland Weißmann bot im September eine Halbierung des Textangebots an, um im Gegenzug die stockenden Verhandlungen über eine Digitalnovelle für den ORF wieder in Gang zu bringen. Der ORF will Formate alleine oder zuerst für Online produzieren dürfen und mehr Möglichkeiten auf Social Media bekommen.

ORF-Player soll "online alles dürfen"

Eine Streamingplattform des ORF – Arbeitstitel: ORF-Player – soll nach Ansicht Brandstötters "online alles dürfen", ohne Einschränkungen. "In Zeiten von Fake News soll sich ein verlässlicher öffentlich-rechtlicher Rundfunk in die digitale Welt ausbreiten, so weit es geht." Junge Menschen seien nun einmal auf Tiktok zu erreichen – und auch nicht von dort zur "Zeit im Bild" um 19.30 Uhr zu locken.

Beim ORF als weitaus größtem österreichischem Player mit gut einer Milliarde Umsatz und seiner Rolle in diesem Medienmarkt würde Brandstötter eine grundlegende Debatte beginnen, was dieser "dysfunktionale Markt" der Medien in Österreich braucht, um "ein gutes Umfeld für die Demokratie" zu sein.

Werbefrei ab 20 Uhr

Was soll der ORF aus ihrer Sicht leisten? "Bilden, wahrhaftig berichten, möglichst umfassend und ausgewogen, weitestmöglich entpolitisiert, aus den Regionen und aus aller Welt, für möglichst alle Menschen, und Public Value liefern. Und zwar in allen Kanälen, statt ihn in Spartensendern zu verstecken. Dazu sollte ihn ein neues Gesetz zwingen. Den Begriff Public Value sollte man in einer so grundsätzlichen Debatte auch wieder einmal klären." Und wofür ist er nicht da? "Zum Beispiel ist der ORF nicht dafür da, Privatsendern im Werbemarkt Konkurrenz zu machen", sagt Brandstötter. Sie plädiert etwa für werbefreie TV-Programme ab 20 Uhr wie in Deutschlands öffentlich-rechtlichen Kanälen. Und sie rätselt weiterhin, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Beteiligung an den Österreichischen Lotterien hält.

Das wäre eine Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, über bestehende private Medien, aber auch über neue, rein digitale Medien und insbesondere Medien-Start-ups. Start-ups in diesem Sektor fördert bisher etwa die Stadt Wien mit ihrer "Medieninitiative"; in der republikseigenen, dem Bundeskanzleramt organisatorisch unterstellten "Wiener Zeitung" soll es einen "Media Hub" geben, der sich als eine Art Inkubator betätigt, wenn die "Wiener Zeitung", wie im Gesetzesentwurf vorgesehen, nach dem Ende der Pflichtveröffentlichungen für Unternehmen nicht mehr als Tageszeitung erscheint.

Wiener Zeitung "in die Freiheit entlassen"

Neos-Mediensprecherin Brandstötter plädiert dafür, die "Wiener Zeitung" selbst "in die unternehmerische Freiheit zu entlassen". Nach ihren Informationen – die sie nicht näher ausführt – formierten sich jedenfalls "zwei Gruppen mit Interesse" an der Zeitung und ihrer privaten Fortführung.

Sie verlangt die "Stopptaste" für den Umbau laut Begutachtungsentwurf, man solle "alle Konzepte ernsthaft diskutieren". Leitlinie: "Weg aus politischer Hand, weg vom Bundeskanzleramt, in die Freiheit entlassen." Ob nun als "Genossenschaft wie die 'Tageszeitung/Taz' in Berlin", ob mit Investoren oder ob es "die Redaktion schafft, sich selbst auf dem Markt zu etablieren".

"Sterben auf Raten"

Schon bisher seien nach ihrer Wahrnehmung Konzepte für eine Übernahme der "Wiener Zeitung" nicht geprüft worden. Brandstötter: "Offenbar will die Republik die Redaktion am Gängelband halten, als digitales Irgendwas mit, wenn noch Geld übrig ist, ein bisschen Print. Das wird weder der 'Wiener Zeitung' mit ihrer Historie als ältester noch erscheinender Tageszeitung der Welt noch den Leserinnen und Lesern noch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gerecht. Das ist ein Sterben auf Raten."

Aus der "Wiener Zeitung" werde nun ein weiterhin politiknahes Unternehmen gebaut, mit Michaela Huber (ÖBB) als Aufsichtsratsvorsitzender und ÖVP-Anwalt Werner Suppan als stellvertretendem Vorsitzenden. Dieses Unternehmen soll künftig von der Republik sechs Millionen Euro pro Jahr für die Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten bekommen, für Start-up-Hilfe und Vermittlung von Medienkompetenz. Das ist etwa das zehnfache Budget bestehender Medien- und Journalismusausbildungsinstitutionen. Brandstötter hält das für einen Irrweg: "Der Staat organisiert eine eigene Journalismusausbildung und zugleich eine vielfach höher dotierte Konkurrenz zu den Institutionen im Markt."

Die Content-Agentur der "Wiener Zeitung" für Einrichtungen des Bundes hinterfragt Brandstötter gerade mit einer Anfragenserie an Ministerien. Sie will von allen Publikationen dieser Agentur für die Republik wissen, welche Kosten verrechnet werden – und wer dort um wie viel Geld Inserate gebucht hat.

Journalismusförderung: Mut gesucht

Mit der "Wiener Zeitung" im Medienpaket der Regierung ist eine neue, mit 20 Millionen Euro dotierte "Förderung des qualitätsvollen Journalismus in Medien des Print- und Online-Bereichs".

Brandstötter vermisst "Mut", auch die bestehende Presseförderung für Kaufzeitungen zu reformieren; die Neos-Abgeordnete geht davon aus, dass die EU auch eine Änderung akzeptiert – im Fachjargon: notifiziert – hätte. Einige Juristen sehen das anders: Die EU habe die Presseförderung bei Österreichs Beitritt als alte Beihilfe akzeptiert, eine wesentliche Änderung wäre heikel.

Die Regierung löst das mit einer zweiten, neuen Förderung (in die Elemente der Presseförderung für Medienkompetenz, für Korrespondentinnen und Korrespondenten, Journalismusausbildung, Meidenforschung, Presseclubs, Presserat verlegt werden, teils gekürzt).

Die Neos-Mediensprecherin gratuliert dem Zeitungsverband VÖZ zur "effektiven Interessenvertretung", die "mehr Geld für alle" bringe – jedenfalls im Printbereich mit mindestens drei Menschen, die ähnlich wie im Journalismus-Kollektivverttrag angestellt sind. Onlinemedien werde das mit der Hürde von mindestens 30 Millionen Zeichen redaktioneller Inhalte pro Jahr "absurd" erschwert.

Höhere Hürde

"Man hätte die grundsätzliche Hürde viel höher machen sollen", findet Brandstötter. Sie verlangt als Grundbedingung für die Förderung eine Mitgliedschaft in einem Selbstkontrollorgan und Anstellungen nach Journalismus-KV sowie Kriterien, für die es nun laut Entwurf einen Zehn-Prozent-Bonus auf die Förderung gibt, sie nennt etwa internes Fehlermanagement, Qualitätskontrolle, Redaktionsstatut.

"Völlig fehlt" nach ihrem Befund ein Ausschluss von der Förderung für wiederholte medienrechtliche Verurteilungen. Das müsste aus ihrer Sicht ein "Basiskriterium sein". Derzeit sieht der Entwurf einen Förderausschluss für Gewaltaufrufe gegen Demokratie und Rechtsstaat, gegen Menschen sowie Hass und Gewaltaufrufe gegen Gruppen von Menschen vor.

Transparenz für RTR-Entscheidungen

Presseförderung, Publizistikförderung und die neue Journalismusförderung vergibt die unabhängige Medienbehörde KommAustria. Der Geschäftsführer der – sie unterstützenden – RTR GmbH vergibt wiederum Privatrundfunkförderung, Fernsehfonds und die neue Digitaltransformationsförderung. Brandstötter verlangt hier die Veröffentlichung von Beiratsempfehlungen; wenn der RTR-Geschäftsführer anders als die Empfehlungen vergibt, solle er das öffentlich begründen müssen. (Harald Fidler, 24.11.2022)